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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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erschien des Kapuziners keckes Betragen, seine Lustig¬
keit und Selbstbeherrschung etwas zweideutig und ver¬
dächtig. Aber sein Mißtrauen schwand, als er die un¬
geschminkt herzliche Besorgniß des Paters um das Schick¬
sal seiner bündnerischen Landsleute wahrnahm und er
mußte bewundern, wie richtig Pancraz die gefährlichen
Verhältnisse auffaßte, wie scharf er die Vorzeichen des
herannahenden Sturmes beobachtet hatte.

"Ich fürchte, es sind große Herren," sagte der
Pater, "Spanier, vielleicht auch Bündner, die diesmal
das Spiel in Händen halten und zu ihren habgierigen
und herrschsüchtigen Zwecken den frommen, einfältigen
Glauben des Veltlinervolks mißbrauchen. Wehe, sie
schüren einen höllischen Brand, das Blut, das sie ver¬
gießen, wird ihnen bis an die Kehle steigen und sie
ersäufen. -- In Morbegno hieß es, die Mordbanden
des Robustell seien schon auf dem Wege das Thal her¬
unter. Gott gebe, daß solcher Greuel nur in den wel¬
schen Köpfen spukt! Eins aber ist gewiß -- und das
beherzigt, ihr Männer" -- sprach er aufstehend und
an die drei Bündner sich wendend: "des Bleibens der
Protestanten im Veltlin ist nicht mehr."

Jetzt erhob Jenatsch die Stimme. "Kein Zweifel,
Brüder, die Gefahr ist vor der Thür!" sagte er. "Kein
Augenblick ist zu verlieren. Fort müssen wir. Wir sammeln

erſchien des Kapuziners keckes Betragen, ſeine Luſtig¬
keit und Selbſtbeherrſchung etwas zweideutig und ver¬
dächtig. Aber ſein Mißtrauen ſchwand, als er die un¬
geſchminkt herzliche Beſorgniß des Paters um das Schick¬
ſal ſeiner bündneriſchen Landsleute wahrnahm und er
mußte bewundern, wie richtig Pancraz die gefährlichen
Verhältniſſe auffaßte, wie ſcharf er die Vorzeichen des
herannahenden Sturmes beobachtet hatte.

„Ich fürchte, es ſind große Herren,“ ſagte der
Pater, „Spanier, vielleicht auch Bündner, die diesmal
das Spiel in Händen halten und zu ihren habgierigen
und herrſchſüchtigen Zwecken den frommen, einfältigen
Glauben des Veltlinervolks mißbrauchen. Wehe, ſie
ſchüren einen hölliſchen Brand, das Blut, das ſie ver¬
gießen, wird ihnen bis an die Kehle ſteigen und ſie
erſäufen. — In Morbegno hieß es, die Mordbanden
des Robuſtell ſeien ſchon auf dem Wege das Thal her¬
unter. Gott gebe, daß ſolcher Greuel nur in den wel¬
ſchen Köpfen ſpukt! Eins aber iſt gewiß — und das
beherzigt, ihr Männer“ — ſprach er aufſtehend und
an die drei Bündner ſich wendend: „des Bleibens der
Proteſtanten im Veltlin iſt nicht mehr.“

Jetzt erhob Jenatſch die Stimme. „Kein Zweifel,
Brüder, die Gefahr iſt vor der Thür!“ ſagte er. „Kein
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[89/0099] erſchien des Kapuziners keckes Betragen, ſeine Luſtig¬ keit und Selbſtbeherrſchung etwas zweideutig und ver¬ dächtig. Aber ſein Mißtrauen ſchwand, als er die un¬ geſchminkt herzliche Beſorgniß des Paters um das Schick¬ ſal ſeiner bündneriſchen Landsleute wahrnahm und er mußte bewundern, wie richtig Pancraz die gefährlichen Verhältniſſe auffaßte, wie ſcharf er die Vorzeichen des herannahenden Sturmes beobachtet hatte. „Ich fürchte, es ſind große Herren,“ ſagte der Pater, „Spanier, vielleicht auch Bündner, die diesmal das Spiel in Händen halten und zu ihren habgierigen und herrſchſüchtigen Zwecken den frommen, einfältigen Glauben des Veltlinervolks mißbrauchen. Wehe, ſie ſchüren einen hölliſchen Brand, das Blut, das ſie ver¬ gießen, wird ihnen bis an die Kehle ſteigen und ſie erſäufen. — In Morbegno hieß es, die Mordbanden des Robuſtell ſeien ſchon auf dem Wege das Thal her¬ unter. Gott gebe, daß ſolcher Greuel nur in den wel¬ ſchen Köpfen ſpukt! Eins aber iſt gewiß — und das beherzigt, ihr Männer“ — ſprach er aufſtehend und an die drei Bündner ſich wendend: „des Bleibens der Proteſtanten im Veltlin iſt nicht mehr.“ Jetzt erhob Jenatſch die Stimme. „Kein Zweifel, Brüder, die Gefahr iſt vor der Thür!“ ſagte er. „Kein Augenblick iſt zu verlieren. Fort müſſen wir. Wir ſammeln

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/99>, abgerufen am 29.04.2024.