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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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lassen, etwas im Hintergrunde hielten, durch ein anderes
Augenspiel angezogen. Die Blicke, die sie fesselten,
waren nicht die wunderbaren des von Tizian gemalten
Kindes, auch durfte der Küster sich nicht erst bemühen,
sie auf diesen natürlichen Zauber aufmerksam zu machen.
Am Fuße des nächsten Pfeilers knieten ein paar Vene¬
tianerinnen. Jugendlich weiche Gestalten! Durch die
das Angesicht verhüllenden schwarzen Spitzenschleier
schienen schwärzere Brauen und Wimpern und flogen
Blicke, deren schmachtendes Feuer zwischen der Himmels¬
königin und ihren kriegerischen Beschauern sich theilten.
Nicht zu Ungunsten der Letztern, die ihrerseits den Dank
nicht schuldig blieben.

"Wie schön wäre diese Gruppe," sagte jetzt die
ebenso kunstbegeisterte als gut protestantische Herzogin,
indem sie den Arm erhob und mit dem geöffneten Fächer
die Madonna mit den drei Heiligen ihrem Blicke ver¬
deckte. "Wie schön wäre diese Gruppe, wenn die gottes¬
fürchtige Familie ihre Andacht ohne die Vermittlung
dieses obern Hofstaates vor den Thron des Unsicht¬
baren brächte!"

"Ihr sprecht als gute Protestantin," lächelte der
Herzog, "aber ich fürchte, Meister Tiziano wäre nicht
mit Euch zufrieden. Ihr müßtet schließlich über die
ganze heilige Kunst den Stab brechen; denn unser

laſſen, etwas im Hintergrunde hielten, durch ein anderes
Augenſpiel angezogen. Die Blicke, die ſie feſſelten,
waren nicht die wunderbaren des von Tizian gemalten
Kindes, auch durfte der Küſter ſich nicht erſt bemühen,
ſie auf dieſen natürlichen Zauber aufmerkſam zu machen.
Am Fuße des nächſten Pfeilers knieten ein paar Vene¬
tianerinnen. Jugendlich weiche Geſtalten! Durch die
das Angeſicht verhüllenden ſchwarzen Spitzenſchleier
ſchienen ſchwärzere Brauen und Wimpern und flogen
Blicke, deren ſchmachtendes Feuer zwiſchen der Himmels¬
königin und ihren kriegeriſchen Beſchauern ſich theilten.
Nicht zu Ungunſten der Letztern, die ihrerſeits den Dank
nicht ſchuldig blieben.

„Wie ſchön wäre dieſe Gruppe,“ ſagte jetzt die
ebenſo kunſtbegeiſterte als gut proteſtantiſche Herzogin,
indem ſie den Arm erhob und mit dem geöffneten Fächer
die Madonna mit den drei Heiligen ihrem Blicke ver¬
deckte. „Wie ſchön wäre dieſe Gruppe, wenn die gottes¬
fürchtige Familie ihre Andacht ohne die Vermittlung
dieſes obern Hofſtaates vor den Thron des Unſicht¬
baren brächte!“

„Ihr ſprecht als gute Proteſtantin,“ lächelte der
Herzog, „aber ich fürchte, Meiſter Tiziano wäre nicht
mit Euch zufrieden. Ihr müßtet ſchließlich über die
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[142/0152] laſſen, etwas im Hintergrunde hielten, durch ein anderes Augenſpiel angezogen. Die Blicke, die ſie feſſelten, waren nicht die wunderbaren des von Tizian gemalten Kindes, auch durfte der Küſter ſich nicht erſt bemühen, ſie auf dieſen natürlichen Zauber aufmerkſam zu machen. Am Fuße des nächſten Pfeilers knieten ein paar Vene¬ tianerinnen. Jugendlich weiche Geſtalten! Durch die das Angeſicht verhüllenden ſchwarzen Spitzenſchleier ſchienen ſchwärzere Brauen und Wimpern und flogen Blicke, deren ſchmachtendes Feuer zwiſchen der Himmels¬ königin und ihren kriegeriſchen Beſchauern ſich theilten. Nicht zu Ungunſten der Letztern, die ihrerſeits den Dank nicht ſchuldig blieben. „Wie ſchön wäre dieſe Gruppe,“ ſagte jetzt die ebenſo kunſtbegeiſterte als gut proteſtantiſche Herzogin, indem ſie den Arm erhob und mit dem geöffneten Fächer die Madonna mit den drei Heiligen ihrem Blicke ver¬ deckte. „Wie ſchön wäre dieſe Gruppe, wenn die gottes¬ fürchtige Familie ihre Andacht ohne die Vermittlung dieſes obern Hofſtaates vor den Thron des Unſicht¬ baren brächte!“ „Ihr ſprecht als gute Proteſtantin,“ lächelte der Herzog, „aber ich fürchte, Meiſter Tiziano wäre nicht mit Euch zufrieden. Ihr müßtet ſchließlich über die ganze heilige Kunſt den Stab brechen; denn unſer

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/152>, abgerufen am 30.04.2024.