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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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wandeln. Er ahnte, daß, was er geschaut, schweres
Unheil bedeute und daß ihm der Zufall nur einen
geringen, für ihn zusammenhangslosen und unverständ¬
lichen Theil sich vorbereitender ungeheurer Schicksale
enthülle. Trotz seines leichten Jugendblutes war er
davon tief erschüttert, denn zwei der hier sich feindlich
entgegengetriebenen Persönlichkeiten, sein Freund und
Herr Pompejus, besaßen, wenn auch auf verschiedene
Weise, seine Liebe und Bewunderung.

Und wie eigen, bezaubernd und schauerlich, war
diese jetzt vom Morgen geröthete Gegend. Unten eine
grüne Seetiefe, umkränzt von üppig bewachsenen Vor¬
sprüngen und buschigen Inselchen, versenkt in eine überall,
überall sich zudrängende unendliche Wildniß dunkelroth
blühender Alpenrosen wie in ein blutiges Tuch. Ringsum
ragten senkrechte schimmernde Felswände, durchzogen von
den silbernen Schlangenwindungen stürzender Gletscher¬
bäche, und im Süden, wo der im Zickzack sich aufwärts
windende Pfad den einzigen Ausgang aus dem Thal¬
runde verrieth, blendete den Blick ein glänzendes Schnee¬
feld, aus dem röthliche Klippen und Pyramiden hervor¬
stachen.

Jetzt hatte Waser seinen Vormann erreicht und
suchte grüßend ein Gespräch mit dem Schweigsamen
anzuknüpfen, der, in langsames Brüten vertieft, ihn

wandeln. Er ahnte, daß, was er geſchaut, ſchweres
Unheil bedeute und daß ihm der Zufall nur einen
geringen, für ihn zuſammenhangsloſen und unverſtänd¬
lichen Theil ſich vorbereitender ungeheurer Schickſale
enthülle. Trotz ſeines leichten Jugendblutes war er
davon tief erſchüttert, denn zwei der hier ſich feindlich
entgegengetriebenen Perſönlichkeiten, ſein Freund und
Herr Pompejus, beſaßen, wenn auch auf verſchiedene
Weiſe, ſeine Liebe und Bewunderung.

Und wie eigen, bezaubernd und ſchauerlich, war
dieſe jetzt vom Morgen geröthete Gegend. Unten eine
grüne Seetiefe, umkränzt von üppig bewachſenen Vor¬
ſprüngen und buſchigen Inſelchen, verſenkt in eine überall,
überall ſich zudrängende unendliche Wildniß dunkelroth
blühender Alpenroſen wie in ein blutiges Tuch. Ringsum
ragten ſenkrechte ſchimmernde Felswände, durchzogen von
den ſilbernen Schlangenwindungen ſtürzender Gletſcher¬
bäche, und im Süden, wo der im Zickzack ſich aufwärts
windende Pfad den einzigen Ausgang aus dem Thal¬
runde verrieth, blendete den Blick ein glänzendes Schnee¬
feld, aus dem röthliche Klippen und Pyramiden hervor¬
ſtachen.

Jetzt hatte Waſer ſeinen Vormann erreicht und
ſuchte grüßend ein Geſpräch mit dem Schweigſamen
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[42/0052] wandeln. Er ahnte, daß, was er geſchaut, ſchweres Unheil bedeute und daß ihm der Zufall nur einen geringen, für ihn zuſammenhangsloſen und unverſtänd¬ lichen Theil ſich vorbereitender ungeheurer Schickſale enthülle. Trotz ſeines leichten Jugendblutes war er davon tief erſchüttert, denn zwei der hier ſich feindlich entgegengetriebenen Perſönlichkeiten, ſein Freund und Herr Pompejus, beſaßen, wenn auch auf verſchiedene Weiſe, ſeine Liebe und Bewunderung. Und wie eigen, bezaubernd und ſchauerlich, war dieſe jetzt vom Morgen geröthete Gegend. Unten eine grüne Seetiefe, umkränzt von üppig bewachſenen Vor¬ ſprüngen und buſchigen Inſelchen, verſenkt in eine überall, überall ſich zudrängende unendliche Wildniß dunkelroth blühender Alpenroſen wie in ein blutiges Tuch. Ringsum ragten ſenkrechte ſchimmernde Felswände, durchzogen von den ſilbernen Schlangenwindungen ſtürzender Gletſcher¬ bäche, und im Süden, wo der im Zickzack ſich aufwärts windende Pfad den einzigen Ausgang aus dem Thal¬ runde verrieth, blendete den Blick ein glänzendes Schnee¬ feld, aus dem röthliche Klippen und Pyramiden hervor¬ ſtachen. Jetzt hatte Waſer ſeinen Vormann erreicht und ſuchte grüßend ein Geſpräch mit dem Schweigſamen anzuknüpfen, der, in langſames Brüten vertieft, ihn

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/52>, abgerufen am 29.04.2024.