Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

verbitte mir das," wehrte Waser mit möglichst kalter
Miene ab.

Da legte ihm der Andere liebkosend den starken
Arm um die Schultern und sagte mit zärtlicher Wärme:
"Sei offen, Herzenswaserchen! Du verkennst mich!
Nicht für meine Person sorg' ich, sondern für mein
vieltheures Bünden. Wer weiß, vielleicht hängt an
Deinen Lippen seine Rettung und das Leben von
Tausenden!" . . .

"Schweigen ist hier Ehrensache," versetzte Waser
und machte einen Versuch sich der leidenschaftlichen
Umarmung zu entziehen.

Jetzt fuhr eine düstere Flamme über das Antlitz
des Bündners. "Bei Gott," rief er, den Freund an
sich pressend, "sprichst Du nicht, so erwürg' ich Dich,
Waser!" und als der Erschrockene schwieg, griff er nach
dem Dolchmesser, womit er Brot geschnitten, und richtete
die drohende Spitze desselben gegen die Halskrause des
Zürchers.

Dieser wäre sicherlich auch jetzt noch standhaft ge¬
blieben, denn er war im Innersten empört; aber bei
einer unvorsichtigen Bewegung des Sträubens, die er
gemacht, hatte der scharfe Stahl seinen Hals geritzt
und ein paar Blutstropfen waren, unheimlich warm,
daran heruntergerieselt.

verbitte mir das,“ wehrte Waſer mit möglichſt kalter
Miene ab.

Da legte ihm der Andere liebkoſend den ſtarken
Arm um die Schultern und ſagte mit zärtlicher Wärme:
„Sei offen, Herzenswaſerchen! Du verkennſt mich!
Nicht für meine Perſon ſorg' ich, ſondern für mein
vieltheures Bünden. Wer weiß, vielleicht hängt an
Deinen Lippen ſeine Rettung und das Leben von
Tauſenden!“ . . .

„Schweigen iſt hier Ehrenſache,“ verſetzte Waſer
und machte einen Verſuch ſich der leidenſchaftlichen
Umarmung zu entziehen.

Jetzt fuhr eine düſtere Flamme über das Antlitz
des Bündners. „Bei Gott,“ rief er, den Freund an
ſich preſſend, „ſprichſt Du nicht, ſo erwürg' ich Dich,
Waſer!“ und als der Erſchrockene ſchwieg, griff er nach
dem Dolchmeſſer, womit er Brot geſchnitten, und richtete
die drohende Spitze deſſelben gegen die Halskrauſe des
Zürchers.

Dieſer wäre ſicherlich auch jetzt noch ſtandhaft ge¬
blieben, denn er war im Innerſten empört; aber bei
einer unvorſichtigen Bewegung des Sträubens, die er
gemacht, hatte der ſcharfe Stahl ſeinen Hals geritzt
und ein paar Blutstropfen waren, unheimlich warm,
daran heruntergerieſelt.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0073" n="63"/>
verbitte mir das,&#x201C; wehrte Wa&#x017F;er mit möglich&#x017F;t kalter<lb/>
Miene ab.</p><lb/>
          <p>Da legte ihm der Andere liebko&#x017F;end den &#x017F;tarken<lb/>
Arm um die Schultern und &#x017F;agte mit zärtlicher Wärme:<lb/>
&#x201E;Sei offen, Herzenswa&#x017F;erchen! Du verkenn&#x017F;t mich!<lb/>
Nicht für meine Per&#x017F;on &#x017F;org' ich, &#x017F;ondern für mein<lb/>
vieltheures Bünden. Wer weiß, vielleicht hängt an<lb/>
Deinen Lippen &#x017F;eine Rettung und das Leben von<lb/>
Tau&#x017F;enden!&#x201C; . . .</p><lb/>
          <p>&#x201E;Schweigen i&#x017F;t hier Ehren&#x017F;ache,&#x201C; ver&#x017F;etzte Wa&#x017F;er<lb/>
und machte einen Ver&#x017F;uch &#x017F;ich der leiden&#x017F;chaftlichen<lb/>
Umarmung zu entziehen.</p><lb/>
          <p>Jetzt fuhr eine dü&#x017F;tere Flamme über das Antlitz<lb/>
des Bündners. &#x201E;Bei Gott,&#x201C; rief er, den Freund an<lb/>
&#x017F;ich pre&#x017F;&#x017F;end, &#x201E;&#x017F;prich&#x017F;t Du nicht, &#x017F;o erwürg' ich Dich,<lb/>
Wa&#x017F;er!&#x201C; und als der Er&#x017F;chrockene &#x017F;chwieg, griff er nach<lb/>
dem Dolchme&#x017F;&#x017F;er, womit er Brot ge&#x017F;chnitten, und richtete<lb/>
die drohende Spitze de&#x017F;&#x017F;elben gegen die Halskrau&#x017F;e des<lb/>
Zürchers.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;er wäre &#x017F;icherlich auch jetzt noch &#x017F;tandhaft ge¬<lb/>
blieben, denn er war im Inner&#x017F;ten empört; aber bei<lb/>
einer unvor&#x017F;ichtigen Bewegung des Sträubens, die er<lb/>
gemacht, hatte der &#x017F;charfe Stahl &#x017F;einen Hals geritzt<lb/>
und ein paar Blutstropfen waren, unheimlich warm,<lb/>
daran heruntergerie&#x017F;elt.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[63/0073] verbitte mir das,“ wehrte Waſer mit möglichſt kalter Miene ab. Da legte ihm der Andere liebkoſend den ſtarken Arm um die Schultern und ſagte mit zärtlicher Wärme: „Sei offen, Herzenswaſerchen! Du verkennſt mich! Nicht für meine Perſon ſorg' ich, ſondern für mein vieltheures Bünden. Wer weiß, vielleicht hängt an Deinen Lippen ſeine Rettung und das Leben von Tauſenden!“ . . . „Schweigen iſt hier Ehrenſache,“ verſetzte Waſer und machte einen Verſuch ſich der leidenſchaftlichen Umarmung zu entziehen. Jetzt fuhr eine düſtere Flamme über das Antlitz des Bündners. „Bei Gott,“ rief er, den Freund an ſich preſſend, „ſprichſt Du nicht, ſo erwürg' ich Dich, Waſer!“ und als der Erſchrockene ſchwieg, griff er nach dem Dolchmeſſer, womit er Brot geſchnitten, und richtete die drohende Spitze deſſelben gegen die Halskrauſe des Zürchers. Dieſer wäre ſicherlich auch jetzt noch ſtandhaft ge¬ blieben, denn er war im Innerſten empört; aber bei einer unvorſichtigen Bewegung des Sträubens, die er gemacht, hatte der ſcharfe Stahl ſeinen Hals geritzt und ein paar Blutstropfen waren, unheimlich warm, daran heruntergerieſelt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/73
Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/73>, abgerufen am 29.04.2024.