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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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finden seines jungen Bekannten sich erkundigte, erhielt
er die knappe Antwort: Verreist. Wie er darauf Arg¬
wohn schöpfte und weiter fragte, wohin und auf wie
lange, hinzufügend, daß er noch etwas vom Besitze des
Jünglings in Händen habe, versetzte der Spanier bitter:
Dorthin. Auf immer. Ihr könnt Euch als seinen
Erben betrachten. -- Dabei streckte er den Zeigefinger
seiner Knochenhand nach den dunkeln Cypressen einer
unsern gelegenen Begräbnißkirche aus. Dann gab er
der Schildwache einen Befehl und wandte den Beiden
den Rücken.

Da Jenatsch kein anderes Mittel kannte, in die
streng bewachte Festung einzudringen, schlug er dem
Freunde vor, weiter zu reiten bis an das Gestade des
Comersee's, den sie in geringer Entfernung lieblich
leuchten sahen. Bald erreichten sie den belebten Lan¬
dungsplatz seines nördlichen Endes. Kühl hauchte ihnen
die blaue, vom Geflatter heller Segel belebte Flut ent¬
gegen. Die Bucht war mit Schiffen gefüllt, die gerade
ihrer Ladung entledigt wurden. Oel, Wein, rohe Seide
und andere Erzeugnisse der fetten Lombardei wurden
zum Transport über das Gebirge auf Karren und
Mäuler geladen. Der Platz vor der großen steinernen
Herberge bot den Anblick eines bunten Marktes mit
seinem betäubenden Lärm und fröhlichen Gedränge.

finden ſeines jungen Bekannten ſich erkundigte, erhielt
er die knappe Antwort: Verreiſt. Wie er darauf Arg¬
wohn ſchöpfte und weiter fragte, wohin und auf wie
lange, hinzufügend, daß er noch etwas vom Beſitze des
Jünglings in Händen habe, verſetzte der Spanier bitter:
Dorthin. Auf immer. Ihr könnt Euch als ſeinen
Erben betrachten. — Dabei ſtreckte er den Zeigefinger
ſeiner Knochenhand nach den dunkeln Cypreſſen einer
unſern gelegenen Begräbnißkirche aus. Dann gab er
der Schildwache einen Befehl und wandte den Beiden
den Rücken.

Da Jenatſch kein anderes Mittel kannte, in die
ſtreng bewachte Feſtung einzudringen, ſchlug er dem
Freunde vor, weiter zu reiten bis an das Geſtade des
Comerſee's, den ſie in geringer Entfernung lieblich
leuchten ſahen. Bald erreichten ſie den belebten Lan¬
dungsplatz ſeines nördlichen Endes. Kühl hauchte ihnen
die blaue, vom Geflatter heller Segel belebte Flut ent¬
gegen. Die Bucht war mit Schiffen gefüllt, die gerade
ihrer Ladung entledigt wurden. Oel, Wein, rohe Seide
und andere Erzeugniſſe der fetten Lombardei wurden
zum Transport über das Gebirge auf Karren und
Mäuler geladen. Der Platz vor der großen ſteinernen
Herberge bot den Anblick eines bunten Marktes mit
ſeinem betäubenden Lärm und fröhlichen Gedränge.

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[72/0082] finden ſeines jungen Bekannten ſich erkundigte, erhielt er die knappe Antwort: Verreiſt. Wie er darauf Arg¬ wohn ſchöpfte und weiter fragte, wohin und auf wie lange, hinzufügend, daß er noch etwas vom Beſitze des Jünglings in Händen habe, verſetzte der Spanier bitter: Dorthin. Auf immer. Ihr könnt Euch als ſeinen Erben betrachten. — Dabei ſtreckte er den Zeigefinger ſeiner Knochenhand nach den dunkeln Cypreſſen einer unſern gelegenen Begräbnißkirche aus. Dann gab er der Schildwache einen Befehl und wandte den Beiden den Rücken. Da Jenatſch kein anderes Mittel kannte, in die ſtreng bewachte Feſtung einzudringen, ſchlug er dem Freunde vor, weiter zu reiten bis an das Geſtade des Comerſee's, den ſie in geringer Entfernung lieblich leuchten ſahen. Bald erreichten ſie den belebten Lan¬ dungsplatz ſeines nördlichen Endes. Kühl hauchte ihnen die blaue, vom Geflatter heller Segel belebte Flut ent¬ gegen. Die Bucht war mit Schiffen gefüllt, die gerade ihrer Ladung entledigt wurden. Oel, Wein, rohe Seide und andere Erzeugniſſe der fetten Lombardei wurden zum Transport über das Gebirge auf Karren und Mäuler geladen. Der Platz vor der großen ſteinernen Herberge bot den Anblick eines bunten Marktes mit ſeinem betäubenden Lärm und fröhlichen Gedränge.

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/82>, abgerufen am 29.04.2024.