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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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Herzog mit wenigen scharfen Zügen ein Bild der
geographischen Lage seiner Heimat und ordnete ihr
Thälergewirr nach den darin entspringenden und nach
drei verschiedenen Meeren sich wendenden Strömen.
Dann sprach er von den zahlreichen Bergübergängen
und hob, sich erwärmend, mit Vorliebe und über¬
raschender Sachkenntniß deren militärische Bedeutung
hervor.

Der Herzog war mit sichtlichem Wohlgefallen und
steigendem Interesse der raschen Auseinandersetzung ge¬
folgt, jetzt aber erhob er sein mildes, durchdringendes
Auge zu dem neben ihm stehenden Bündner und ließ
es nachdenklich auf ihm ruhen.

"Ich bin ein Kriegsmann und rühme mich dessen,"
sagte er, "aber es giebt Augenblicke, wo ich diejenigen
glücklich preise, die dem Volke predigen dürfen: "Selig
sind die Friedfertigen. -- Heutzutage darf nicht mehr
dieselbe Hand das Schwert des Apostels und das
Schwert des Feldherrn führen. Wir sind im neuen
Bunde, Herr Pastor, nicht mehr im alten der Helden
und Propheten. Die Doppelrolle eines Samuel und
Gideon ist nicht mehr die unsrige. Heute warte Jeder
in Treue des eignen Amtes. Ich achte es für ein
schweres Unglück," hier seufzte er, "daß in meinem
Frankreich die evangelischen Geistlichen durch ihren Eifer

Herzog mit wenigen ſcharfen Zügen ein Bild der
geographiſchen Lage ſeiner Heimat und ordnete ihr
Thälergewirr nach den darin entſpringenden und nach
drei verſchiedenen Meeren ſich wendenden Strömen.
Dann ſprach er von den zahlreichen Bergübergängen
und hob, ſich erwärmend, mit Vorliebe und über¬
raſchender Sachkenntniß deren militäriſche Bedeutung
hervor.

Der Herzog war mit ſichtlichem Wohlgefallen und
ſteigendem Intereſſe der raſchen Auseinanderſetzung ge¬
folgt, jetzt aber erhob er ſein mildes, durchdringendes
Auge zu dem neben ihm ſtehenden Bündner und ließ
es nachdenklich auf ihm ruhen.

„Ich bin ein Kriegsmann und rühme mich deſſen,“
ſagte er, „aber es giebt Augenblicke, wo ich diejenigen
glücklich preiſe, die dem Volke predigen dürfen: „Selig
ſind die Friedfertigen. — Heutzutage darf nicht mehr
dieſelbe Hand das Schwert des Apoſtels und das
Schwert des Feldherrn führen. Wir ſind im neuen
Bunde, Herr Paſtor, nicht mehr im alten der Helden
und Propheten. Die Doppelrolle eines Samuel und
Gideon iſt nicht mehr die unſrige. Heute warte Jeder
in Treue des eignen Amtes. Ich achte es für ein
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[76/0086] Herzog mit wenigen ſcharfen Zügen ein Bild der geographiſchen Lage ſeiner Heimat und ordnete ihr Thälergewirr nach den darin entſpringenden und nach drei verſchiedenen Meeren ſich wendenden Strömen. Dann ſprach er von den zahlreichen Bergübergängen und hob, ſich erwärmend, mit Vorliebe und über¬ raſchender Sachkenntniß deren militäriſche Bedeutung hervor. Der Herzog war mit ſichtlichem Wohlgefallen und ſteigendem Intereſſe der raſchen Auseinanderſetzung ge¬ folgt, jetzt aber erhob er ſein mildes, durchdringendes Auge zu dem neben ihm ſtehenden Bündner und ließ es nachdenklich auf ihm ruhen. „Ich bin ein Kriegsmann und rühme mich deſſen,“ ſagte er, „aber es giebt Augenblicke, wo ich diejenigen glücklich preiſe, die dem Volke predigen dürfen: „Selig ſind die Friedfertigen. — Heutzutage darf nicht mehr dieſelbe Hand das Schwert des Apoſtels und das Schwert des Feldherrn führen. Wir ſind im neuen Bunde, Herr Paſtor, nicht mehr im alten der Helden und Propheten. Die Doppelrolle eines Samuel und Gideon iſt nicht mehr die unſrige. Heute warte Jeder in Treue des eignen Amtes. Ich achte es für ein ſchweres Unglück,“ hier ſeufzte er, „daß in meinem Frankreich die evangeliſchen Geiſtlichen durch ihren Eifer

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/86>, abgerufen am 29.04.2024.