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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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sich über die Geistlichen, die aus Neid ihre Mit-
brüder verachteten, und den Hauptvorzug ihres
Klosters in besser Essen und Trinken setzten. Er
fieng jetzt an, seine Jdeen von der Heiligkeit der
Mönche überhaupt, etwas herabzustimmen; doch
nahm er in Gedanken seine Kazpuiner in Fül-
lendorf
gleich wieder davon aus, obwohl der
Schluß sehr natürlich gewesen wäre: Jedes Klo-
ster sieht auf seinen eignen Vortheil, und ist des-
wegen auf jedes andre eifersüchtig. Die Artig-
keit der Paters in Füllendorf hätt er sich auch
leicht daraus erklären können, daß sie sich um ihn
Mühe gaben, und ihm deswegen so höflich begeg-
neten. So erklärte es wenigstens Kronhelm,
dem er seinen Unwillen mirgetheilt hatte, und der
die Gelegenheit wahrnahm, ihm eine Abneigung
gegen die Klöster überhaupt einzuflössen. Aber
das Jdeal steckte noch zu tief in Siegwarts See-
le, als daß es sobald hätte können herausgerissen
werden.

An einem Sonntage nachher gieng Sieg-
wart
in die L. Frauenkirche, die den Nonnen in
der Stadt gehörte. Sie waren, ohne daß man
sie sehen konnte, oben auf der Orgel, die zu oberst
an der Decke gebaut war, und machten eine



ſich uͤber die Geiſtlichen, die aus Neid ihre Mit-
bruͤder verachteten, und den Hauptvorzug ihres
Kloſters in beſſer Eſſen und Trinken ſetzten. Er
fieng jetzt an, ſeine Jdeen von der Heiligkeit der
Moͤnche uͤberhaupt, etwas herabzuſtimmen; doch
nahm er in Gedanken ſeine Kazpuiner in Fuͤl-
lendorf
gleich wieder davon aus, obwohl der
Schluß ſehr natuͤrlich geweſen waͤre: Jedes Klo-
ſter ſieht auf ſeinen eignen Vortheil, und iſt des-
wegen auf jedes andre eiferſuͤchtig. Die Artig-
keit der Paters in Fuͤllendorf haͤtt er ſich auch
leicht daraus erklaͤren koͤnnen, daß ſie ſich um ihn
Muͤhe gaben, und ihm deswegen ſo hoͤflich begeg-
neten. So erklaͤrte es wenigſtens Kronhelm,
dem er ſeinen Unwillen mirgetheilt hatte, und der
die Gelegenheit wahrnahm, ihm eine Abneigung
gegen die Kloͤſter uͤberhaupt einzufloͤſſen. Aber
das Jdeal ſteckte noch zu tief in Siegwarts See-
le, als daß es ſobald haͤtte koͤnnen herausgeriſſen
werden.

An einem Sonntage nachher gieng Sieg-
wart
in die L. Frauenkirche, die den Nonnen in
der Stadt gehoͤrte. Sie waren, ohne daß man
ſie ſehen konnte, oben auf der Orgel, die zu oberſt
an der Decke gebaut war, und machten eine

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[319/0323] ſich uͤber die Geiſtlichen, die aus Neid ihre Mit- bruͤder verachteten, und den Hauptvorzug ihres Kloſters in beſſer Eſſen und Trinken ſetzten. Er fieng jetzt an, ſeine Jdeen von der Heiligkeit der Moͤnche uͤberhaupt, etwas herabzuſtimmen; doch nahm er in Gedanken ſeine Kazpuiner in Fuͤl- lendorf gleich wieder davon aus, obwohl der Schluß ſehr natuͤrlich geweſen waͤre: Jedes Klo- ſter ſieht auf ſeinen eignen Vortheil, und iſt des- wegen auf jedes andre eiferſuͤchtig. Die Artig- keit der Paters in Fuͤllendorf haͤtt er ſich auch leicht daraus erklaͤren koͤnnen, daß ſie ſich um ihn Muͤhe gaben, und ihm deswegen ſo hoͤflich begeg- neten. So erklaͤrte es wenigſtens Kronhelm, dem er ſeinen Unwillen mirgetheilt hatte, und der die Gelegenheit wahrnahm, ihm eine Abneigung gegen die Kloͤſter uͤberhaupt einzufloͤſſen. Aber das Jdeal ſteckte noch zu tief in Siegwarts See- le, als daß es ſobald haͤtte koͤnnen herausgeriſſen werden. An einem Sonntage nachher gieng Sieg- wart in die L. Frauenkirche, die den Nonnen in der Stadt gehoͤrte. Sie waren, ohne daß man ſie ſehen konnte, oben auf der Orgel, die zu oberſt an der Decke gebaut war, und machten eine

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/323>, abgerufen am 14.05.2024.