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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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Schleife an Jhrem Arm. Geben Sie mir ein
Andenken! sagte er. -- Was wollen Sie für
eins? fragte sie. -- Diese Schleife hier, war
seine Antwort. -- Gut, die können Sie haben,
wenn sie ihnen lieb ist! Und nun nahm sie sie
ab, und gab sie ihm. Sie war ihm so heilig,
wie eine Reliquie, und er sah sie nachher oft halbe
Stunden lang an, und drückte sie an seinen
Mund. Jch kann Jhnen nichts dafür geben, sag-
te er, und küßte sie. -- Endlich giengen sie wie-
der langsam den Berg hinab, dem Dorfe zu, und
sahen sich noch oft nach dem Berg und der Lau-
be um. Als sie zu Haus wieder ankamen, fan-
den sie folgenden Brief von der Amtmänninn in
Belldorf mit der Ueberschrift an Kronhelm, den
sie durch einen eignen Boten hatte überbringen
lassen.

Hochwolgeborener Herre!
Hochge Ehrtester Herre!

Hoffe und wünsche, Sie werden gestern mit
Jhrer wolansehnlichen Gesellschaft glücklich und
gesundt wieder zu Haus angelanget seyn, welches
mich herzlich erfreuen thun wirt. Betaure nur,
daß wir Sie so schlechte haben bewirten können,



Schleife an Jhrem Arm. Geben Sie mir ein
Andenken! ſagte er. — Was wollen Sie fuͤr
eins? fragte ſie. — Dieſe Schleife hier, war
ſeine Antwort. — Gut, die koͤnnen Sie haben,
wenn ſie ihnen lieb iſt! Und nun nahm ſie ſie
ab, und gab ſie ihm. Sie war ihm ſo heilig,
wie eine Reliquie, und er ſah ſie nachher oft halbe
Stunden lang an, und druͤckte ſie an ſeinen
Mund. Jch kann Jhnen nichts dafuͤr geben, ſag-
te er, und kuͤßte ſie. — Endlich giengen ſie wie-
der langſam den Berg hinab, dem Dorfe zu, und
ſahen ſich noch oft nach dem Berg und der Lau-
be um. Als ſie zu Haus wieder ankamen, fan-
den ſie folgenden Brief von der Amtmaͤnninn in
Belldorf mit der Ueberſchrift an Kronhelm, den
ſie durch einen eignen Boten hatte uͤberbringen
laſſen.

Hochwolgeborener Herre!
Hochge Ehrteſter Herre!

Hoffe und wuͤnſche, Sie werden geſtern mit
Jhrer wolanſehnlichen Geſellſchaft gluͤcklich und
geſundt wieder zu Haus angelanget ſeyn, welches
mich herzlich erfreuen thun wirt. Betaure nur,
daß wir Sie ſo ſchlechte haben bewirten koͤnnen,

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[411/0415] Schleife an Jhrem Arm. Geben Sie mir ein Andenken! ſagte er. — Was wollen Sie fuͤr eins? fragte ſie. — Dieſe Schleife hier, war ſeine Antwort. — Gut, die koͤnnen Sie haben, wenn ſie ihnen lieb iſt! Und nun nahm ſie ſie ab, und gab ſie ihm. Sie war ihm ſo heilig, wie eine Reliquie, und er ſah ſie nachher oft halbe Stunden lang an, und druͤckte ſie an ſeinen Mund. Jch kann Jhnen nichts dafuͤr geben, ſag- te er, und kuͤßte ſie. — Endlich giengen ſie wie- der langſam den Berg hinab, dem Dorfe zu, und ſahen ſich noch oft nach dem Berg und der Lau- be um. Als ſie zu Haus wieder ankamen, fan- den ſie folgenden Brief von der Amtmaͤnninn in Belldorf mit der Ueberſchrift an Kronhelm, den ſie durch einen eignen Boten hatte uͤberbringen laſſen. Hochwolgeborener Herre! Hochge Ehrteſter Herre! Hoffe und wuͤnſche, Sie werden geſtern mit Jhrer wolanſehnlichen Geſellſchaft gluͤcklich und geſundt wieder zu Haus angelanget ſeyn, welches mich herzlich erfreuen thun wirt. Betaure nur, daß wir Sie ſo ſchlechte haben bewirten koͤnnen,

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/415>, abgerufen am 29.04.2024.