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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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Das ist ja herrlich! O, Sie sind das liebste und
gefälligste Mädchen von der Welt! -- Aber,
sagte Siegwart, wir müssen nur nicht viel Um-
stände mit dem Abschiednehmen machen! Das
muß ein schaaler Kopf gewesen seyn, ders erfun-
den hat! Wenn ich mich von einem Freund tren-
ne, da wünsch ich ihm gewiß von Herzen alles
Gutes, und da brauchts der vielen Worte nicht!
-- Gut, gut! Wir wollens kurz machen! sagte
Therese. Aber unter Abschiednehmen und Ab-
schiednehmen ist doch auch ein grosser Unterschied!
Nicht wahr, Herr von Kronhelm? Hier sah sie
ihn mit einem unbeschreiblichen, mit Wehmuth
und Liebe untermischten Lächeln an. -- Da ha-
ben Sie auch ein Vergißmeinnicht! sagte sie zu
Kronhelm, als sie an einer Quelle, die den Berg
hinab rieselte, vorbeykamen, und gab es ihm.
Er küste ihr die Hand, und steckte es auf seinen
Hut. Da soll es immer bleiben, sagte er, und
mich tausendmal des Tags an Sie erinnern!
Aber nun leb wol, Berg! Nun werd ich dich
wol so bald nicht wieder sehen! -- Vielleicht in
diesem Leben nicht mehr, sagte Therese. --
Nein, das wolle Gott nicht! rief er heftig aus.
Wo bringen Sie die trübseligen Gedanken her?
Jn drey, vier, Jahren kann sich viel ändern! --
Ja wohl, viel ändern! setzte sie hinzu. -- Drauf
giengen sie allmählich wieder dem Dorfe zu.
Vor demselben trafen sie die Kutsche mit der
kranken Bäurinn an. Gott! sagte Therese;
wie der Mensch sich so schnell ändern kann! Vor
etlich Tagen sah dieß Weib noch wie eine Rose
aus; nun ist sie so bleich, und eingesallen, wie
der Tod, daß man sie kaum mehr kennt! Es wä-
re doch recht lächerlich, wenn man sich auf sein



Das iſt ja herrlich! O, Sie ſind das liebſte und
gefaͤlligſte Maͤdchen von der Welt! — Aber,
ſagte Siegwart, wir muͤſſen nur nicht viel Um-
ſtaͤnde mit dem Abſchiednehmen machen! Das
muß ein ſchaaler Kopf geweſen ſeyn, ders erfun-
den hat! Wenn ich mich von einem Freund tren-
ne, da wuͤnſch ich ihm gewiß von Herzen alles
Gutes, und da brauchts der vielen Worte nicht!
— Gut, gut! Wir wollens kurz machen! ſagte
Thereſe. Aber unter Abſchiednehmen und Ab-
ſchiednehmen iſt doch auch ein groſſer Unterſchied!
Nicht wahr, Herr von Kronhelm? Hier ſah ſie
ihn mit einem unbeſchreiblichen, mit Wehmuth
und Liebe untermiſchten Laͤcheln an. — Da ha-
ben Sie auch ein Vergißmeinnicht! ſagte ſie zu
Kronhelm, als ſie an einer Quelle, die den Berg
hinab rieſelte, vorbeykamen, und gab es ihm.
Er kuͤſte ihr die Hand, und ſteckte es auf ſeinen
Hut. Da ſoll es immer bleiben, ſagte er, und
mich tauſendmal des Tags an Sie erinnern!
Aber nun leb wol, Berg! Nun werd ich dich
wol ſo bald nicht wieder ſehen! — Vielleicht in
dieſem Leben nicht mehr, ſagte Thereſe.
Nein, das wolle Gott nicht! rief er heftig aus.
Wo bringen Sie die truͤbſeligen Gedanken her?
Jn drey, vier, Jahren kann ſich viel aͤndern! —
Ja wohl, viel aͤndern! ſetzte ſie hinzu. — Drauf
giengen ſie allmaͤhlich wieder dem Dorfe zu.
Vor demſelben trafen ſie die Kutſche mit der
kranken Baͤurinn an. Gott! ſagte Thereſe;
wie der Menſch ſich ſo ſchnell aͤndern kann! Vor
etlich Tagen ſah dieß Weib noch wie eine Roſe
aus; nun iſt ſie ſo bleich, und eingeſallen, wie
der Tod, daß man ſie kaum mehr kennt! Es waͤ-
re doch recht laͤcherlich, wenn man ſich auf ſein

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[420/0424] Das iſt ja herrlich! O, Sie ſind das liebſte und gefaͤlligſte Maͤdchen von der Welt! — Aber, ſagte Siegwart, wir muͤſſen nur nicht viel Um- ſtaͤnde mit dem Abſchiednehmen machen! Das muß ein ſchaaler Kopf geweſen ſeyn, ders erfun- den hat! Wenn ich mich von einem Freund tren- ne, da wuͤnſch ich ihm gewiß von Herzen alles Gutes, und da brauchts der vielen Worte nicht! — Gut, gut! Wir wollens kurz machen! ſagte Thereſe. Aber unter Abſchiednehmen und Ab- ſchiednehmen iſt doch auch ein groſſer Unterſchied! Nicht wahr, Herr von Kronhelm? Hier ſah ſie ihn mit einem unbeſchreiblichen, mit Wehmuth und Liebe untermiſchten Laͤcheln an. — Da ha- ben Sie auch ein Vergißmeinnicht! ſagte ſie zu Kronhelm, als ſie an einer Quelle, die den Berg hinab rieſelte, vorbeykamen, und gab es ihm. Er kuͤſte ihr die Hand, und ſteckte es auf ſeinen Hut. Da ſoll es immer bleiben, ſagte er, und mich tauſendmal des Tags an Sie erinnern! Aber nun leb wol, Berg! Nun werd ich dich wol ſo bald nicht wieder ſehen! — Vielleicht in dieſem Leben nicht mehr, ſagte Thereſe. — Nein, das wolle Gott nicht! rief er heftig aus. Wo bringen Sie die truͤbſeligen Gedanken her? Jn drey, vier, Jahren kann ſich viel aͤndern! — Ja wohl, viel aͤndern! ſetzte ſie hinzu. — Drauf giengen ſie allmaͤhlich wieder dem Dorfe zu. Vor demſelben trafen ſie die Kutſche mit der kranken Baͤurinn an. Gott! ſagte Thereſe; wie der Menſch ſich ſo ſchnell aͤndern kann! Vor etlich Tagen ſah dieß Weib noch wie eine Roſe aus; nun iſt ſie ſo bleich, und eingeſallen, wie der Tod, daß man ſie kaum mehr kennt! Es waͤ- re doch recht laͤcherlich, wenn man ſich auf ſein

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 420. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/424>, abgerufen am 29.04.2024.