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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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habt; das Mädel hätte sich zu Tod gegrämt, sey
schon ganz abgezehrt, und hab ihm sagen lassen:
Er soll ihr nur bald mit der Leiche gehn; sie ha-
be schon die Todtenuhr schlagen, und die Sterbe-
glocken läuten hören. Und da sey er eben in Got-
tes Namen wieder hingegangen. -- -- Jns Teu-
fels Namen, sagt ich, du verdammter Kerl! Komm
nur! Morgen sollst's schon hören. Heut will ich mei-
ne Nachbarn nicht mehr aufwecken um so eines Bu-
bens willen. Jch gieng, fluchte so vor mich hin,
und der Kerl hinterdrein; er war mäuschenstill,
nur zuweilen schluchzte er, als ob er die Seel' aus
dem Leib heraus weinen wollte. Die ganze Nacht
über konnt ich kein Auge zuthun. Mein
Weib wollt ihm noch die Stange halten, und da
sah ich wohl, daß sies mit ihm hielte; das brachte
mir noch mehr Herzeleid. Gleich am Morgen
ließ ich ihn heraufkommen; stellt' ihm Himmel
und Hölle vor; sagt' ihm, was da zuletzt heraus-
kommen wolle? daß ichs schlechterdings nie zuge-
ben werde. Wenn du sie nicht lassen willst, sagt'
ich endlich, so kannst du dich packen, wo du hin willst. --
Ja das will ich thun, gab er mir zur Antwort;
denn, weiß Gott! ich kann das Mädel nicht sitzen
lassen, Jhr mögt mit mir anfangen, was Jhr
wollt; es ist im ganzen Dorf keine Dirne wie sie, so



habt; das Maͤdel haͤtte ſich zu Tod gegraͤmt, ſey
ſchon ganz abgezehrt, und hab ihm ſagen laſſen:
Er ſoll ihr nur bald mit der Leiche gehn; ſie ha-
be ſchon die Todtenuhr ſchlagen, und die Sterbe-
glocken laͤuten hoͤren. Und da ſey er eben in Got-
tes Namen wieder hingegangen. — — Jns Teu-
fels Namen, ſagt ich, du verdammter Kerl! Komm
nur! Morgen ſollſt’s ſchon hoͤren. Heut will ich mei-
ne Nachbarn nicht mehr aufwecken um ſo eines Bu-
bens willen. Jch gieng, fluchte ſo vor mich hin,
und der Kerl hinterdrein; er war maͤuschenſtill,
nur zuweilen ſchluchzte er, als ob er die Seel’ aus
dem Leib heraus weinen wollte. Die ganze Nacht
uͤber konnt ich kein Auge zuthun. Mein
Weib wollt ihm noch die Stange halten, und da
ſah ich wohl, daß ſies mit ihm hielte; das brachte
mir noch mehr Herzeleid. Gleich am Morgen
ließ ich ihn heraufkommen; ſtellt’ ihm Himmel
und Hoͤlle vor; ſagt’ ihm, was da zuletzt heraus-
kommen wolle? daß ichs ſchlechterdings nie zuge-
ben werde. Wenn du ſie nicht laſſen willſt, ſagt’
ich endlich, ſo kannſt du dich packen, wo du hin willſt. —
Ja das will ich thun, gab er mir zur Antwort;
denn, weiß Gott! ich kann das Maͤdel nicht ſitzen
laſſen, Jhr moͤgt mit mir anfangen, was Jhr
wollt; es iſt im ganzen Dorf keine Dirne wie ſie, ſo

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[72/0076] habt; das Maͤdel haͤtte ſich zu Tod gegraͤmt, ſey ſchon ganz abgezehrt, und hab ihm ſagen laſſen: Er ſoll ihr nur bald mit der Leiche gehn; ſie ha- be ſchon die Todtenuhr ſchlagen, und die Sterbe- glocken laͤuten hoͤren. Und da ſey er eben in Got- tes Namen wieder hingegangen. — — Jns Teu- fels Namen, ſagt ich, du verdammter Kerl! Komm nur! Morgen ſollſt’s ſchon hoͤren. Heut will ich mei- ne Nachbarn nicht mehr aufwecken um ſo eines Bu- bens willen. Jch gieng, fluchte ſo vor mich hin, und der Kerl hinterdrein; er war maͤuschenſtill, nur zuweilen ſchluchzte er, als ob er die Seel’ aus dem Leib heraus weinen wollte. Die ganze Nacht uͤber konnt ich kein Auge zuthun. Mein Weib wollt ihm noch die Stange halten, und da ſah ich wohl, daß ſies mit ihm hielte; das brachte mir noch mehr Herzeleid. Gleich am Morgen ließ ich ihn heraufkommen; ſtellt’ ihm Himmel und Hoͤlle vor; ſagt’ ihm, was da zuletzt heraus- kommen wolle? daß ichs ſchlechterdings nie zuge- ben werde. Wenn du ſie nicht laſſen willſt, ſagt’ ich endlich, ſo kannſt du dich packen, wo du hin willſt. — Ja das will ich thun, gab er mir zur Antwort; denn, weiß Gott! ich kann das Maͤdel nicht ſitzen laſſen, Jhr moͤgt mit mir anfangen, was Jhr wollt; es iſt im ganzen Dorf keine Dirne wie ſie, ſo

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/76>, abgerufen am 30.04.2024.