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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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arbeitsam und fromm und redlich, und das muß
ihr auch ihr ärgster Feind nachsagen. Was habt Jhr
denn gegen Sie? Daß sie nicht so viel hat, wie
ich? Nun sie hat doch genug. Arm ist sie auch
nicht; und dann hat sie ein redlich christlich Ge-
müth, und würde für mich leben und sterben. Das
ist mehr, als Geld und Gut. Gesunde starke
Händ haben wir auch, und sind das Arbeiten von
Jugend auf gewohnt, und dann läst Gott keinen
Vogel Hungers sterben, geschweige denn einen
Menschen, der sich redlich durch die Welt bringt.
Jch habs Euch gesagt, Vater, ich kann und darf
sie nicht lassen, denn ich hab ihrs zugeschworen;
und wenn ihrs nicht anders wollt, so werd ich
Soldat, da kann ich sie heyrathen heut und mor-
gen, und behalt ein gutes Gewissen, und krieg ein
bravs Weib; nun bedenkt, was Jhr thun wollt?

Sehen Sie, Jhr Wohlehrwürd, so hat er
gesagt, und dann gieng er weg. Jch stand da,
wie vom Wetter getroffen; seine Reden vom Sol-
datenwerden giengen mir stark im Kopf herum.
Es ist mein einziger Sohn, und er ist mir lieb,
weil er sonst immer brav war, und mir nie nichts
zu Leid gethan hat. Es soll jetzt wieder Krieg
werden; wenn ihm eine Kugel vor den Kopf ge-



arbeitſam und fromm und redlich, und das muß
ihr auch ihr aͤrgſter Feind nachſagen. Was habt Jhr
denn gegen Sie? Daß ſie nicht ſo viel hat, wie
ich? Nun ſie hat doch genug. Arm iſt ſie auch
nicht; und dann hat ſie ein redlich chriſtlich Ge-
muͤth, und wuͤrde fuͤr mich leben und ſterben. Das
iſt mehr, als Geld und Gut. Geſunde ſtarke
Haͤnd haben wir auch, und ſind das Arbeiten von
Jugend auf gewohnt, und dann laͤſt Gott keinen
Vogel Hungers ſterben, geſchweige denn einen
Menſchen, der ſich redlich durch die Welt bringt.
Jch habs Euch geſagt, Vater, ich kann und darf
ſie nicht laſſen, denn ich hab ihrs zugeſchworen;
und wenn ihrs nicht anders wollt, ſo werd ich
Soldat, da kann ich ſie heyrathen heut und mor-
gen, und behalt ein gutes Gewiſſen, und krieg ein
bravs Weib; nun bedenkt, was Jhr thun wollt?

Sehen Sie, Jhr Wohlehrwuͤrd, ſo hat er
geſagt, und dann gieng er weg. Jch ſtand da,
wie vom Wetter getroffen; ſeine Reden vom Sol-
datenwerden giengen mir ſtark im Kopf herum.
Es iſt mein einziger Sohn, und er iſt mir lieb,
weil er ſonſt immer brav war, und mir nie nichts
zu Leid gethan hat. Es ſoll jetzt wieder Krieg
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[73/0077] arbeitſam und fromm und redlich, und das muß ihr auch ihr aͤrgſter Feind nachſagen. Was habt Jhr denn gegen Sie? Daß ſie nicht ſo viel hat, wie ich? Nun ſie hat doch genug. Arm iſt ſie auch nicht; und dann hat ſie ein redlich chriſtlich Ge- muͤth, und wuͤrde fuͤr mich leben und ſterben. Das iſt mehr, als Geld und Gut. Geſunde ſtarke Haͤnd haben wir auch, und ſind das Arbeiten von Jugend auf gewohnt, und dann laͤſt Gott keinen Vogel Hungers ſterben, geſchweige denn einen Menſchen, der ſich redlich durch die Welt bringt. Jch habs Euch geſagt, Vater, ich kann und darf ſie nicht laſſen, denn ich hab ihrs zugeſchworen; und wenn ihrs nicht anders wollt, ſo werd ich Soldat, da kann ich ſie heyrathen heut und mor- gen, und behalt ein gutes Gewiſſen, und krieg ein bravs Weib; nun bedenkt, was Jhr thun wollt? Sehen Sie, Jhr Wohlehrwuͤrd, ſo hat er geſagt, und dann gieng er weg. Jch ſtand da, wie vom Wetter getroffen; ſeine Reden vom Sol- datenwerden giengen mir ſtark im Kopf herum. Es iſt mein einziger Sohn, und er iſt mir lieb, weil er ſonſt immer brav war, und mir nie nichts zu Leid gethan hat. Es ſoll jetzt wieder Krieg werden; wenn ihm eine Kugel vor den Kopf ge-

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/77>, abgerufen am 30.04.2024.