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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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Gott zu erzürnen, wenn ich jemand kränkte, und
da könnt' er mir zur Strafe meinen Sixt neh-
men. Nein, um seinetwillen sind mir alle Men-
schen lieb, und am meisten seine Eltern. Jch
konnt ihnen nie recht böse seyn, wenn sie's auch
schon böse mit mir meynten. Jch bin nie fromm
gewesen, als seit ich meinen Sixt habe, und wenn
er nun erst mein Mann ist, und ich immer um
ihn bin, da werd ich ja noch frömmer werden.
O Herr Pater, Sie können nicht glauben, was
Sie uns für einen Dienst geleistet haben; und ich,
als ein einfältiges Bauermädchen kanns eben
nicht so an Tag legen; aber doch ist mir 's Herz
voll, und Sie müssen mit dem guten Willen vor-
lieb nehmen. Jch wills dafür dem lieben Gott
sagen, was ich denk, und Jhnen Gutes anwünsch!

So giengen sie noch eine gute Strecke Wegs
mit dem Pater und dem jungen Siegwart fort,
und äusserten ihre Gesinnungen, die zwischen Dank-
barkeit und Zärtlichkeit getheilt waren. Man
wird selten in der Stadt, wo die Menschen sich
gewöhnlich aufgeklärter und besser dünken, als die
Landleute, ein Paar finden, das sich mit der rei-
nen unverfälschten Zärtlichkeit, mit der Treue und
Festigkeit liebt, wie unser Pärchen. Aber Un-



Gott zu erzuͤrnen, wenn ich jemand kraͤnkte, und
da koͤnnt’ er mir zur Strafe meinen Sixt neh-
men. Nein, um ſeinetwillen ſind mir alle Men-
ſchen lieb, und am meiſten ſeine Eltern. Jch
konnt ihnen nie recht boͤſe ſeyn, wenn ſie’s auch
ſchon boͤſe mit mir meynten. Jch bin nie fromm
geweſen, als ſeit ich meinen Sixt habe, und wenn
er nun erſt mein Mann iſt, und ich immer um
ihn bin, da werd ich ja noch froͤmmer werden.
O Herr Pater, Sie koͤnnen nicht glauben, was
Sie uns fuͤr einen Dienſt geleiſtet haben; und ich,
als ein einfaͤltiges Bauermaͤdchen kanns eben
nicht ſo an Tag legen; aber doch iſt mir ’s Herz
voll, und Sie muͤſſen mit dem guten Willen vor-
lieb nehmen. Jch wills dafuͤr dem lieben Gott
ſagen, was ich denk, und Jhnen Gutes anwuͤnſch!

So giengen ſie noch eine gute Strecke Wegs
mit dem Pater und dem jungen Siegwart fort,
und aͤuſſerten ihre Geſinnungen, die zwiſchen Dank-
barkeit und Zaͤrtlichkeit getheilt waren. Man
wird ſelten in der Stadt, wo die Menſchen ſich
gewoͤhnlich aufgeklaͤrter und beſſer duͤnken, als die
Landleute, ein Paar finden, das ſich mit der rei-
nen unverfaͤlſchten Zaͤrtlichkeit, mit der Treue und
Feſtigkeit liebt, wie unſer Paͤrchen. Aber Un-

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[85/0089] Gott zu erzuͤrnen, wenn ich jemand kraͤnkte, und da koͤnnt’ er mir zur Strafe meinen Sixt neh- men. Nein, um ſeinetwillen ſind mir alle Men- ſchen lieb, und am meiſten ſeine Eltern. Jch konnt ihnen nie recht boͤſe ſeyn, wenn ſie’s auch ſchon boͤſe mit mir meynten. Jch bin nie fromm geweſen, als ſeit ich meinen Sixt habe, und wenn er nun erſt mein Mann iſt, und ich immer um ihn bin, da werd ich ja noch froͤmmer werden. O Herr Pater, Sie koͤnnen nicht glauben, was Sie uns fuͤr einen Dienſt geleiſtet haben; und ich, als ein einfaͤltiges Bauermaͤdchen kanns eben nicht ſo an Tag legen; aber doch iſt mir ’s Herz voll, und Sie muͤſſen mit dem guten Willen vor- lieb nehmen. Jch wills dafuͤr dem lieben Gott ſagen, was ich denk, und Jhnen Gutes anwuͤnſch! So giengen ſie noch eine gute Strecke Wegs mit dem Pater und dem jungen Siegwart fort, und aͤuſſerten ihre Geſinnungen, die zwiſchen Dank- barkeit und Zaͤrtlichkeit getheilt waren. Man wird ſelten in der Stadt, wo die Menſchen ſich gewoͤhnlich aufgeklaͤrter und beſſer duͤnken, als die Landleute, ein Paar finden, das ſich mit der rei- nen unverfaͤlſchten Zaͤrtlichkeit, mit der Treue und Feſtigkeit liebt, wie unſer Paͤrchen. Aber Un-

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/89>, abgerufen am 30.04.2024.