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Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763.

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Das verlohrne Paradies.

Die erfreuliche Vothschaft, vom Himmel gesendet, empfangen.
Wenn sie nun endlich ihr Amt vollbracht; die rühmliche Laufbahn
Wohl gelaufen, und ihre Lehren, und ihre Geschichte,
Aufgezeichnet in Schriften, und späteren Zeiten gelassen;
535Werden sie sterben. Es werden indeß nach ihnen für Lehrer

Reißende Wölfe kommen, (wie sie vor diesen Verderbern
Schon gewarnt,) die werden des Himmels heiligste Lehren
Nur nach eigenem Sinn' und schändlichem Vortheil verdrehen,
Und nach Ehrsucht und Geiz; mit abergläubischen Dingen,
540Und mit Menschenerfindung die reine Wahrheit beflecken,

Die in den heiligen Schriften allein sich lauter erhalten,
Aber die niemand ohne den Geist gehörig verstehet.
Alsdann werden sie trachten, mit Aemtern, Namen, und Titeln,
Sich zu erheben, und weltliche Macht mit ihnen verbinden;
545Wenn sie gleich thun, als ob sie allein nach der geistlichen handeln;

Werden sich rühmen, den Geist des Höchsten allein zu besitzen,
Ob er ihn allen Gläubigen gleich versprochen, und allen
Auch gleich mittheilt. Es werden dadurch mit sklavischem Zwange
Kirchengesetze mit weltlicher Macht die Gewissen beherrschen;
550Solche Gesetze, die sie in den göttlichen Schriften nicht fanden,

Oder in dem, was der Geist in Gläubiger Herzen gepräget.
Und was suchen sie sonst, als selber den Geist der Gnade
Einzuschränken, und seine Gefährtinn, die Freyheit, zu binden?
Seine lebendigen Tempel in Gläubigen abzubrechen,
555Die erbaut sind, aufrecht zu stehn, zu stehen durch eignen,

Und nicht eines andern, Glauben. Denn wer ist auf Erden,

Dem

Das verlohrne Paradies.

Die erfreuliche Vothſchaft, vom Himmel geſendet, empfangen.
Wenn ſie nun endlich ihr Amt vollbracht; die ruͤhmliche Laufbahn
Wohl gelaufen, und ihre Lehren, und ihre Geſchichte,
Aufgezeichnet in Schriften, und ſpaͤteren Zeiten gelaſſen;
535Werden ſie ſterben. Es werden indeß nach ihnen fuͤr Lehrer

Reißende Woͤlfe kommen, (wie ſie vor dieſen Verderbern
Schon gewarnt,) die werden des Himmels heiligſte Lehren
Nur nach eigenem Sinn’ und ſchaͤndlichem Vortheil verdrehen,
Und nach Ehrſucht und Geiz; mit aberglaͤubiſchen Dingen,
540Und mit Menſchenerfindung die reine Wahrheit beflecken,

Die in den heiligen Schriften allein ſich lauter erhalten,
Aber die niemand ohne den Geiſt gehoͤrig verſtehet.
Alsdann werden ſie trachten, mit Aemtern, Namen, und Titeln,
Sich zu erheben, und weltliche Macht mit ihnen verbinden;
545Wenn ſie gleich thun, als ob ſie allein nach der geiſtlichen handeln;

Werden ſich ruͤhmen, den Geiſt des Hoͤchſten allein zu beſitzen,
Ob er ihn allen Glaͤubigen gleich verſprochen, und allen
Auch gleich mittheilt. Es werden dadurch mit ſklaviſchem Zwange
Kirchengeſetze mit weltlicher Macht die Gewiſſen beherrſchen;
550Solche Geſetze, die ſie in den goͤttlichen Schriften nicht fanden,

Oder in dem, was der Geiſt in Glaͤubiger Herzen gepraͤget.
Und was ſuchen ſie ſonſt, als ſelber den Geiſt der Gnade
Einzuſchraͤnken, und ſeine Gefaͤhrtinn, die Freyheit, zu binden?
Seine lebendigen Tempel in Glaͤubigen abzubrechen,
555Die erbaut ſind, aufrecht zu ſtehn, zu ſtehen durch eignen,

Und nicht eines andern, Glauben. Denn wer iſt auf Erden,

Dem
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[242/0268] Das verlohrne Paradies. Die erfreuliche Vothſchaft, vom Himmel geſendet, empfangen. Wenn ſie nun endlich ihr Amt vollbracht; die ruͤhmliche Laufbahn Wohl gelaufen, und ihre Lehren, und ihre Geſchichte, Aufgezeichnet in Schriften, und ſpaͤteren Zeiten gelaſſen; Werden ſie ſterben. Es werden indeß nach ihnen fuͤr Lehrer Reißende Woͤlfe kommen, (wie ſie vor dieſen Verderbern Schon gewarnt,) die werden des Himmels heiligſte Lehren Nur nach eigenem Sinn’ und ſchaͤndlichem Vortheil verdrehen, Und nach Ehrſucht und Geiz; mit aberglaͤubiſchen Dingen, Und mit Menſchenerfindung die reine Wahrheit beflecken, Die in den heiligen Schriften allein ſich lauter erhalten, Aber die niemand ohne den Geiſt gehoͤrig verſtehet. Alsdann werden ſie trachten, mit Aemtern, Namen, und Titeln, Sich zu erheben, und weltliche Macht mit ihnen verbinden; Wenn ſie gleich thun, als ob ſie allein nach der geiſtlichen handeln; Werden ſich ruͤhmen, den Geiſt des Hoͤchſten allein zu beſitzen, Ob er ihn allen Glaͤubigen gleich verſprochen, und allen Auch gleich mittheilt. Es werden dadurch mit ſklaviſchem Zwange Kirchengeſetze mit weltlicher Macht die Gewiſſen beherrſchen; Solche Geſetze, die ſie in den goͤttlichen Schriften nicht fanden, Oder in dem, was der Geiſt in Glaͤubiger Herzen gepraͤget. Und was ſuchen ſie ſonſt, als ſelber den Geiſt der Gnade Einzuſchraͤnken, und ſeine Gefaͤhrtinn, die Freyheit, zu binden? Seine lebendigen Tempel in Glaͤubigen abzubrechen, Die erbaut ſind, aufrecht zu ſtehn, zu ſtehen durch eignen, Und nicht eines andern, Glauben. Denn wer iſt auf Erden, Dem

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Zitationshilfe: Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies02_1763/268>, abgerufen am 28.04.2024.