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Modestinus, Theophilus: Freymüthige Doch Bescheidene Unterredungen Von Kirchen- Religions- Politischen- und Natur-Sachen. Frankfurt (Main) u. a., 1737.

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Modestin. Unser Herr Alamodan wirfft das/ was
vom Temperament des Geitzes herkommt; mit dem
was die Armuth betrifft/ unter einander; welches
doch gantz unterschiedene Dinge sind. Es ist zwar
nicht ohne: daß ein armer Mensch/ doch nach Un-
terscheid der Temperamenten/ die meiste Versu-
chung habe/ von der Sorge der Nahrung: wie
hingegen der Reiche vom wollüstigen Leben. Es ist
aber doch dabey noch nicht ausgemacht: welches am
sichresten zu ertragen/ und zu welchem von beyden
die stärckste Schultern erfodert werden: zum Reich-
thum/ oder zur Armuth? Gewiß ist es/ daß beyde
Extremitäten sehr beschwerlich und gefährlich/ Ar-
muth aber an sich selbsten reitzet den Menschen nicht
zu mißhandeln gegen seinen Nächsten; sondern ei-
gentlich das Böse/ zum Geitz/ Falschheit/ Betrug/ List
und Lügen geneigte Hertz. Jsts nun/ daß gar der
unterdrückende Ehrgeitz und ein brutelle Wollust
dem herrschenden Geitz ihre hülffliche Hand leisten:
so entstehen daraus die gewaltthätigste Schinde-
reyen/ Diebstahl/ Morden/ Fressen und derglei-
chen Tyranney; und Summa alle grausamste Un-
gerechtigkeiten und himmelschreyende Sünden.
Wie weit aber diese und dergleichen Laster von dem
wahren Christenthum entfernet seyen/ (ob sie gleich
unter denen so genannten Christen täglich practici-
ret werden und fast aller Orten im Schwange ge-
hen/) laß ich einen jeden Verständigen selbst urthei-
len. Wir wollen aber noch von denen Subtilern
Hindernissen reden/ welche nicht jederman so in die
Augen leuchten/ als da sind: Der Mangel einer
recht-


Modeſtin. Unſer Herr Alamodan wirfft das/ was
vom Temperament des Geitzes herkommt; mit dem
was die Armuth betrifft/ unter einander; welches
doch gantz unterſchiedene Dinge ſind. Es iſt zwar
nicht ohne: daß ein armer Menſch/ doch nach Un-
terſcheid der Temperamenten/ die meiſte Verſu-
chung habe/ von der Sorge der Nahrung: wie
hingegen der Reiche vom wolluͤſtigen Leben. Es iſt
aber doch dabey noch nicht ausgemacht: welches am
ſichreſten zu ertragen/ und zu welchem von beyden
die ſtaͤrckſte Schultern erfodert werden: zum Reich-
thum/ oder zur Armuth? Gewiß iſt es/ daß beyde
Extremitaͤten ſehr beſchwerlich und gefaͤhrlich/ Ar-
muth aber an ſich ſelbſten reitzet den Menſchen nicht
zu mißhandeln gegen ſeinen Naͤchſten; ſondern ei-
gentlich das Boͤſe/ zum Geitz/ Falſchheit/ Betrug/ Liſt
und Luͤgen geneigte Hertz. Jſts nun/ daß gar der
unterdruͤckende Ehrgeitz und ein brutelle Wolluſt
dem herrſchenden Geitz ihre huͤlffliche Hand leiſten:
ſo entſtehen daraus die gewaltthaͤtigſte Schinde-
reyen/ Diebſtahl/ Morden/ Freſſen und derglei-
chen Tyranney; und Summa alle grauſamſte Un-
gerechtigkeiten und himmelſchreyende Suͤnden.
Wie weit aber dieſe und dergleichen Laſter von dem
wahren Chriſtenthum entfernet ſeyen/ (ob ſie gleich
unter denen ſo genannten Chriſten taͤglich practici-
ret werden und faſt aller Orten im Schwange ge-
hen/) laß ich einen jeden Verſtaͤndigen ſelbſt urthei-
len. Wir wollen aber noch von denen Subtilern
Hinderniſſen reden/ welche nicht jederman ſo in die
Augen leuchten/ als da ſind: Der Mangel einer
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[98/0104] Modeſtin. Unſer Herr Alamodan wirfft das/ was vom Temperament des Geitzes herkommt; mit dem was die Armuth betrifft/ unter einander; welches doch gantz unterſchiedene Dinge ſind. Es iſt zwar nicht ohne: daß ein armer Menſch/ doch nach Un- terſcheid der Temperamenten/ die meiſte Verſu- chung habe/ von der Sorge der Nahrung: wie hingegen der Reiche vom wolluͤſtigen Leben. Es iſt aber doch dabey noch nicht ausgemacht: welches am ſichreſten zu ertragen/ und zu welchem von beyden die ſtaͤrckſte Schultern erfodert werden: zum Reich- thum/ oder zur Armuth? Gewiß iſt es/ daß beyde Extremitaͤten ſehr beſchwerlich und gefaͤhrlich/ Ar- muth aber an ſich ſelbſten reitzet den Menſchen nicht zu mißhandeln gegen ſeinen Naͤchſten; ſondern ei- gentlich das Boͤſe/ zum Geitz/ Falſchheit/ Betrug/ Liſt und Luͤgen geneigte Hertz. Jſts nun/ daß gar der unterdruͤckende Ehrgeitz und ein brutelle Wolluſt dem herrſchenden Geitz ihre huͤlffliche Hand leiſten: ſo entſtehen daraus die gewaltthaͤtigſte Schinde- reyen/ Diebſtahl/ Morden/ Freſſen und derglei- chen Tyranney; und Summa alle grauſamſte Un- gerechtigkeiten und himmelſchreyende Suͤnden. Wie weit aber dieſe und dergleichen Laſter von dem wahren Chriſtenthum entfernet ſeyen/ (ob ſie gleich unter denen ſo genannten Chriſten taͤglich practici- ret werden und faſt aller Orten im Schwange ge- hen/) laß ich einen jeden Verſtaͤndigen ſelbſt urthei- len. Wir wollen aber noch von denen Subtilern Hinderniſſen reden/ welche nicht jederman ſo in die Augen leuchten/ als da ſind: Der Mangel einer recht-

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Zitationshilfe: Modestinus, Theophilus: Freymüthige Doch Bescheidene Unterredungen Von Kirchen- Religions- Politischen- und Natur-Sachen. Frankfurt (Main) u. a., 1737. , S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/modestinus_unterredungen_1737/104>, abgerufen am 29.04.2024.