Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Mozart auf der Reise nach Prag. Stuttgart u. a., 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

erquickliche Frische, im plötzlichen Wechsel gegen die
außerhalb herrschende Gluth, hätte dem sorglosen
Mann ohne die Vorsicht der Begleiterin gefährlich
werden können. Mit Mühe drang sie ihm das in
Bereitschaft gehaltene Kleidungsstück auf. -- "Gott,
welche Herrlichkeit!" rief er, an den hohen Stämmen
hinaufblickend, aus: "man ist als wie in einer Kirche!
Mir däucht, ich war niemals in einem Wald, und
besinne mich jetzt erst, was es doch heißt, ein ganzes
Volk von Bäumen bei einander! Keine Menschenhand
hat sie gepflanzt, sind alle selbst gekommen, und stehen
so, nur eben weil es lustig ist beisammen wohnen
und wirthschaften. Siehst du, mit jungen Jahren
fuhr ich doch in halb Europa hin und her, habe die
Alpen gesehn und das Meer, das Größeste und
Schönste, was erschaffen ist: jetzt steht von ungefähr
der Gimpel in einem ordinären Tannenwald an der
böhmischen Grenze, verwundert und verzückt, daß sol¬
ches Wesen irgend existirt, nicht etwa nur so una
finzione di poeti
ist, wie ihre Nymphen, Faune
und dergleichen mehr, auch kein Comödienwald, nein
aus dem Erdboden heraus gewachsen, von Feuchtig¬
keit und Wärmelicht der Sonne groß gezogen! Hier
ist zu Haus der Hirsch, mit seinem wundersamen

erquickliche Friſche, im plötzlichen Wechſel gegen die
außerhalb herrſchende Gluth, hätte dem ſorgloſen
Mann ohne die Vorſicht der Begleiterin gefährlich
werden können. Mit Mühe drang ſie ihm das in
Bereitſchaft gehaltene Kleidungsſtück auf. — „Gott,
welche Herrlichkeit!“ rief er, an den hohen Stämmen
hinaufblickend, aus: „man iſt als wie in einer Kirche!
Mir däucht, ich war niemals in einem Wald, und
beſinne mich jetzt erſt, was es doch heißt, ein ganzes
Volk von Bäumen bei einander! Keine Menſchenhand
hat ſie gepflanzt, ſind alle ſelbſt gekommen, und ſtehen
ſo, nur eben weil es luſtig iſt beiſammen wohnen
und wirthſchaften. Siehſt du, mit jungen Jahren
fuhr ich doch in halb Europa hin und her, habe die
Alpen geſehn und das Meer, das Größeſte und
Schönſte, was erſchaffen iſt: jetzt ſteht von ungefähr
der Gimpel in einem ordinären Tannenwald an der
böhmiſchen Grenze, verwundert und verzückt, daß ſol¬
ches Weſen irgend exiſtirt, nicht etwa nur ſo una
finzione di poeti
iſt, wie ihre Nymphen, Faune
und dergleichen mehr, auch kein Comödienwald, nein
aus dem Erdboden heraus gewachſen, von Feuchtig¬
keit und Wärmelicht der Sonne groß gezogen! Hier
iſt zu Haus der Hirſch, mit ſeinem wunderſamen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0017" n="5"/>
erquickliche Fri&#x017F;che, im plötzlichen Wech&#x017F;el gegen die<lb/>
außerhalb herr&#x017F;chende Gluth, hätte dem &#x017F;orglo&#x017F;en<lb/>
Mann ohne die Vor&#x017F;icht der Begleiterin gefährlich<lb/>
werden können. Mit Mühe drang &#x017F;ie ihm das in<lb/>
Bereit&#x017F;chaft gehaltene Kleidungs&#x017F;tück auf. &#x2014; &#x201E;Gott,<lb/>
welche Herrlichkeit!&#x201C; rief er, an den hohen Stämmen<lb/>
hinaufblickend, aus: &#x201E;man i&#x017F;t als wie in einer Kirche!<lb/>
Mir däucht, ich war niemals in einem Wald, und<lb/>
be&#x017F;inne mich jetzt er&#x017F;t, was es doch heißt, ein ganzes<lb/>
Volk von Bäumen bei einander! Keine Men&#x017F;chenhand<lb/>
hat &#x017F;ie gepflanzt, &#x017F;ind alle &#x017F;elb&#x017F;t gekommen, und &#x017F;tehen<lb/>
&#x017F;o, nur eben weil es lu&#x017F;tig i&#x017F;t bei&#x017F;ammen wohnen<lb/>
und wirth&#x017F;chaften. Sieh&#x017F;t du, mit jungen Jahren<lb/>
fuhr ich doch in halb Europa hin und her, habe die<lb/>
Alpen ge&#x017F;ehn und das Meer, das Größe&#x017F;te und<lb/>
Schön&#x017F;te, was er&#x017F;chaffen i&#x017F;t: jetzt &#x017F;teht von ungefähr<lb/>
der Gimpel in einem ordinären Tannenwald an der<lb/>
böhmi&#x017F;chen Grenze, verwundert und verzückt, daß &#x017F;ol¬<lb/>
ches We&#x017F;en irgend exi&#x017F;tirt, nicht etwa nur &#x017F;o <hi rendition="#aq">una<lb/>
finzione di poeti</hi> i&#x017F;t, wie ihre Nymphen, Faune<lb/>
und dergleichen mehr, auch kein Comödienwald, nein<lb/>
aus dem Erdboden heraus gewach&#x017F;en, von Feuchtig¬<lb/>
keit und Wärmelicht der Sonne groß gezogen! Hier<lb/>
i&#x017F;t zu Haus der Hir&#x017F;ch, mit &#x017F;einem wunder&#x017F;amen<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[5/0017] erquickliche Friſche, im plötzlichen Wechſel gegen die außerhalb herrſchende Gluth, hätte dem ſorgloſen Mann ohne die Vorſicht der Begleiterin gefährlich werden können. Mit Mühe drang ſie ihm das in Bereitſchaft gehaltene Kleidungsſtück auf. — „Gott, welche Herrlichkeit!“ rief er, an den hohen Stämmen hinaufblickend, aus: „man iſt als wie in einer Kirche! Mir däucht, ich war niemals in einem Wald, und beſinne mich jetzt erſt, was es doch heißt, ein ganzes Volk von Bäumen bei einander! Keine Menſchenhand hat ſie gepflanzt, ſind alle ſelbſt gekommen, und ſtehen ſo, nur eben weil es luſtig iſt beiſammen wohnen und wirthſchaften. Siehſt du, mit jungen Jahren fuhr ich doch in halb Europa hin und her, habe die Alpen geſehn und das Meer, das Größeſte und Schönſte, was erſchaffen iſt: jetzt ſteht von ungefähr der Gimpel in einem ordinären Tannenwald an der böhmiſchen Grenze, verwundert und verzückt, daß ſol¬ ches Weſen irgend exiſtirt, nicht etwa nur ſo una finzione di poeti iſt, wie ihre Nymphen, Faune und dergleichen mehr, auch kein Comödienwald, nein aus dem Erdboden heraus gewachſen, von Feuchtig¬ keit und Wärmelicht der Sonne groß gezogen! Hier iſt zu Haus der Hirſch, mit ſeinem wunderſamen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_mozart_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_mozart_1856/17
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Mozart auf der Reise nach Prag. Stuttgart u. a., 1856, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_mozart_1856/17>, abgerufen am 27.04.2024.