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Mörike, Eduard: Mozart auf der Reise nach Prag. Stuttgart u. a., 1856.

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beliebten, leicht faßlichen Kost. Zwar hatten sich die
Wiener an Belmonte und Constanze -- Dank den
populären Elementen dieses Stücks -- seiner Zeit
kaum ersättigen können, hingegen that, einige Jahre
später, Figaro, und sicher nicht allein durch die In¬
triguen des Direktors, im Wettstreit mit der lieb¬
lichen, doch weit geringeren Cosa rara, einen uner¬
warteten, kläglichen Fall; derselbe Figaro, den gleich
darauf die gebildetern oder unbefangenern Prager mit
solchem Enthusiasmus aufnahmen, daß der Meister,
in dankbarer Rührung darüber, seine nächste große
Oper eigens für sie zu schreiben beschloß. -- Trotz
der Ungunst der Zeit und dem Einfluß der Feinde
hätte Mozart mit etwas mehr Umsicht und Klugheit
noch immer einen sehr ansehnlichen Gewinn von sei¬
ner Kunst gezogen: so aber kam er selbst bei jenen
Unternehmungen zu kurz, wo auch der große Haufen
ihm Beifall zujauchzen mußte. Genug, es wirkte
eben alles, Schicksal und Naturell und eigene Schuld
zusammen, den einzigen Mann nicht gedeihen zu lassen.

Welch einen schlimmen Stand nun aber eine Haus¬
frau, sofern sie ihre Aufgabe kannte, unter solchen
Umständen gehabt haben müsse, begreifen wir leicht.
Obgleich selbst jung und lebensfroh, als Tochter

beliebten, leicht faßlichen Koſt. Zwar hatten ſich die
Wiener an Belmonte und Conſtanze — Dank den
populären Elementen dieſes Stücks — ſeiner Zeit
kaum erſättigen können, hingegen that, einige Jahre
ſpäter, Figaro, und ſicher nicht allein durch die In¬
triguen des Direktors, im Wettſtreit mit der lieb¬
lichen, doch weit geringeren Coſa rara, einen uner¬
warteten, kläglichen Fall; derſelbe Figaro, den gleich
darauf die gebildetern oder unbefangenern Prager mit
ſolchem Enthuſiasmus aufnahmen, daß der Meiſter,
in dankbarer Rührung darüber, ſeine nächſte große
Oper eigens für ſie zu ſchreiben beſchloß. — Trotz
der Ungunſt der Zeit und dem Einfluß der Feinde
hätte Mozart mit etwas mehr Umſicht und Klugheit
noch immer einen ſehr anſehnlichen Gewinn von ſei¬
ner Kunſt gezogen: ſo aber kam er ſelbſt bei jenen
Unternehmungen zu kurz, wo auch der große Haufen
ihm Beifall zujauchzen mußte. Genug, es wirkte
eben alles, Schickſal und Naturell und eigene Schuld
zuſammen, den einzigen Mann nicht gedeihen zu laſſen.

Welch einen ſchlimmen Stand nun aber eine Haus¬
frau, ſofern ſie ihre Aufgabe kannte, unter ſolchen
Umſtänden gehabt haben müſſe, begreifen wir leicht.
Obgleich ſelbſt jung und lebensfroh, als Tochter

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[15/0027] beliebten, leicht faßlichen Koſt. Zwar hatten ſich die Wiener an Belmonte und Conſtanze — Dank den populären Elementen dieſes Stücks — ſeiner Zeit kaum erſättigen können, hingegen that, einige Jahre ſpäter, Figaro, und ſicher nicht allein durch die In¬ triguen des Direktors, im Wettſtreit mit der lieb¬ lichen, doch weit geringeren Coſa rara, einen uner¬ warteten, kläglichen Fall; derſelbe Figaro, den gleich darauf die gebildetern oder unbefangenern Prager mit ſolchem Enthuſiasmus aufnahmen, daß der Meiſter, in dankbarer Rührung darüber, ſeine nächſte große Oper eigens für ſie zu ſchreiben beſchloß. — Trotz der Ungunſt der Zeit und dem Einfluß der Feinde hätte Mozart mit etwas mehr Umſicht und Klugheit noch immer einen ſehr anſehnlichen Gewinn von ſei¬ ner Kunſt gezogen: ſo aber kam er ſelbſt bei jenen Unternehmungen zu kurz, wo auch der große Haufen ihm Beifall zujauchzen mußte. Genug, es wirkte eben alles, Schickſal und Naturell und eigene Schuld zuſammen, den einzigen Mann nicht gedeihen zu laſſen. Welch einen ſchlimmen Stand nun aber eine Haus¬ frau, ſofern ſie ihre Aufgabe kannte, unter ſolchen Umſtänden gehabt haben müſſe, begreifen wir leicht. Obgleich ſelbſt jung und lebensfroh, als Tochter

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Mozart auf der Reise nach Prag. Stuttgart u. a., 1856, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_mozart_1856/27>, abgerufen am 28.04.2024.