Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

gestaltete sich mit jedem Tage besser und bereits blüht
eine zweite Generation in dem Zeitpunkte, wo unser
heutiges Schauspiel sich eröffnet.

Was nun diese dramatische, oder vielmehr sehr
undramatische Kleinigkeit betrifft, so sind meine Wün-
sche erfüllt, wenn die verehrten Zuschauer sich mit
einiger Theilnahme in die geistige Temperatur meiner
Insel sollten finden können, wenn sie für die will-
kürliche Oekonomie meines Stückes einen freund-
schaftlichen Maaßstab mitbringen und sich mehr nur
an den Charakter, an das Pathologische der Sache
halten. Das ganze Ding machte sich, ich weiß nicht
wie, vor Kurzem erst, nachdem mir seit langer Zeit
wieder einmal eines Abends die alten Erinnerungen
in den Ohren summten. Eine längst gehegte tragische
Lieblingsvorstellung drang sich vorzüglich in dem Cha-
rakter des lezten Königs von Orplid auf; dagegen gab
es Veranlassung, zwei moderne, aus dem Leben gegrif-
fene Nebenfiguren lustig einzuflechten, wovon die eine
in der Laufbahn meines Freundes Nolten dergestalt
Epoche gemacht, daß diese Person -- und sie soll ja
neuerdings wieder in unserer Stadt spucken. -- sogar
einigen der Anwesenden als eine nicht ganz unbekannte
Fratze wieder begegnen wird.

Hier steckten sich einige begierige Köpfe zusammen,
und als es hieß, daß jener diebische Bediente Nol-
tens
im Schattenspiel seine Aufwartung machen werde,
verlautete allgemein ein herzliches Vergnügen; man

10

geſtaltete ſich mit jedem Tage beſſer und bereits blüht
eine zweite Generation in dem Zeitpunkte, wo unſer
heutiges Schauſpiel ſich eröffnet.

Was nun dieſe dramatiſche, oder vielmehr ſehr
undramatiſche Kleinigkeit betrifft, ſo ſind meine Wün-
ſche erfüllt, wenn die verehrten Zuſchauer ſich mit
einiger Theilnahme in die geiſtige Temperatur meiner
Inſel ſollten finden können, wenn ſie für die will-
kürliche Oekonomie meines Stückes einen freund-
ſchaftlichen Maaßſtab mitbringen und ſich mehr nur
an den Charakter, an das Pathologiſche der Sache
halten. Das ganze Ding machte ſich, ich weiß nicht
wie, vor Kurzem erſt, nachdem mir ſeit langer Zeit
wieder einmal eines Abends die alten Erinnerungen
in den Ohren ſummten. Eine längſt gehegte tragiſche
Lieblingsvorſtellung drang ſich vorzüglich in dem Cha-
rakter des lezten Königs von Orplid auf; dagegen gab
es Veranlaſſung, zwei moderne, aus dem Leben gegrif-
fene Nebenfiguren luſtig einzuflechten, wovon die eine
in der Laufbahn meines Freundes Nolten dergeſtalt
Epoche gemacht, daß dieſe Perſon — und ſie ſoll ja
neuerdings wieder in unſerer Stadt ſpucken. — ſogar
einigen der Anweſenden als eine nicht ganz unbekannte
Fratze wieder begegnen wird.

Hier ſteckten ſich einige begierige Köpfe zuſammen,
und als es hieß, daß jener diebiſche Bediente Nol-
tens
im Schattenſpiel ſeine Aufwartung machen werde,
verlautete allgemein ein herzliches Vergnügen; man

10
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0153" n="145"/>
ge&#x017F;taltete &#x017F;ich mit jedem Tage be&#x017F;&#x017F;er und bereits blüht<lb/>
eine zweite Generation in dem Zeitpunkte, wo un&#x017F;er<lb/>
heutiges Schau&#x017F;piel &#x017F;ich eröffnet.</p><lb/>
          <p>Was nun die&#x017F;e dramati&#x017F;che, oder vielmehr &#x017F;ehr<lb/>
undramati&#x017F;che Kleinigkeit betrifft, &#x017F;o &#x017F;ind meine Wün-<lb/>
&#x017F;che erfüllt, wenn die verehrten Zu&#x017F;chauer &#x017F;ich mit<lb/>
einiger Theilnahme in die gei&#x017F;tige Temperatur meiner<lb/>
In&#x017F;el &#x017F;ollten finden können, wenn &#x017F;ie für die will-<lb/>
kürliche Oekonomie meines Stückes einen freund-<lb/>
&#x017F;chaftlichen Maaß&#x017F;tab mitbringen und &#x017F;ich mehr nur<lb/>
an den Charakter, an das Pathologi&#x017F;che der Sache<lb/>
halten. Das ganze Ding machte &#x017F;ich, ich weiß nicht<lb/>
wie, vor Kurzem er&#x017F;t, nachdem mir &#x017F;eit langer Zeit<lb/>
wieder einmal eines Abends die alten Erinnerungen<lb/>
in den Ohren &#x017F;ummten. Eine läng&#x017F;t gehegte tragi&#x017F;che<lb/>
Lieblingsvor&#x017F;tellung drang &#x017F;ich vorzüglich in dem Cha-<lb/>
rakter des lezten Königs von Orplid auf; dagegen gab<lb/>
es Veranla&#x017F;&#x017F;ung, zwei moderne, aus dem Leben gegrif-<lb/>
fene Nebenfiguren lu&#x017F;tig einzuflechten, wovon die eine<lb/>
in der Laufbahn meines Freundes <hi rendition="#g">Nolten</hi> derge&#x017F;talt<lb/>
Epoche gemacht, daß die&#x017F;e Per&#x017F;on &#x2014; und &#x017F;ie &#x017F;oll ja<lb/>
neuerdings wieder in un&#x017F;erer Stadt &#x017F;pucken. &#x2014; &#x017F;ogar<lb/>
einigen der Anwe&#x017F;enden als eine nicht ganz unbekannte<lb/>
Fratze wieder begegnen wird.</p><lb/>
          <p>Hier &#x017F;teckten &#x017F;ich einige begierige Köpfe zu&#x017F;ammen,<lb/>
und als es hieß, daß jener diebi&#x017F;che Bediente <hi rendition="#g">Nol-<lb/>
tens</hi> im Schatten&#x017F;piel &#x017F;eine Aufwartung machen werde,<lb/>
verlautete allgemein ein herzliches Vergnügen; man<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">10</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[145/0153] geſtaltete ſich mit jedem Tage beſſer und bereits blüht eine zweite Generation in dem Zeitpunkte, wo unſer heutiges Schauſpiel ſich eröffnet. Was nun dieſe dramatiſche, oder vielmehr ſehr undramatiſche Kleinigkeit betrifft, ſo ſind meine Wün- ſche erfüllt, wenn die verehrten Zuſchauer ſich mit einiger Theilnahme in die geiſtige Temperatur meiner Inſel ſollten finden können, wenn ſie für die will- kürliche Oekonomie meines Stückes einen freund- ſchaftlichen Maaßſtab mitbringen und ſich mehr nur an den Charakter, an das Pathologiſche der Sache halten. Das ganze Ding machte ſich, ich weiß nicht wie, vor Kurzem erſt, nachdem mir ſeit langer Zeit wieder einmal eines Abends die alten Erinnerungen in den Ohren ſummten. Eine längſt gehegte tragiſche Lieblingsvorſtellung drang ſich vorzüglich in dem Cha- rakter des lezten Königs von Orplid auf; dagegen gab es Veranlaſſung, zwei moderne, aus dem Leben gegrif- fene Nebenfiguren luſtig einzuflechten, wovon die eine in der Laufbahn meines Freundes Nolten dergeſtalt Epoche gemacht, daß dieſe Perſon — und ſie ſoll ja neuerdings wieder in unſerer Stadt ſpucken. — ſogar einigen der Anweſenden als eine nicht ganz unbekannte Fratze wieder begegnen wird. Hier ſteckten ſich einige begierige Köpfe zuſammen, und als es hieß, daß jener diebiſche Bediente Nol- tens im Schattenſpiel ſeine Aufwartung machen werde, verlautete allgemein ein herzliches Vergnügen; man 10

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/153
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/153>, abgerufen am 01.05.2024.