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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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Es zuckt in der Mitte! O Himmel, ach hilf!
Ich glaube, sie nahen, sie kommen!
Es orgelt im Rohr und es klirret im Schilf;
Nur hurtig, die Flucht nur genommen!
Davon!
Sie wittern, sie haschen mich schon!

(Die Kinder entfliehen. Der Zug streicht wieder den Berg
hinan. Während er verschwindet, ruft der König mit
ausgestreckten Armen nach.)
König.
Halt! Haltet! Steht! Hier ist der König Ulmon!
Ihr habt den leeren Sarg versenkt, o kommt!
Ich, der ihn füllen sollte, bin noch hier.
Almissa, Königin! hier ist dein Gatte!
Hörst du nicht meine Stimme? kennst sie nimmer?
Nein, kennst sie nimmer. Weh, o weh mir, weh!
Könnt' ich zur Leiche werden, sie vergönnten
Mir auch so kühles Grab. Leb' ich denn noch?
Wach' ich denn stets?
Mir däucht, ich lag in dem krystallnen Sarge,
Mein Weib, die göttliche Gestalt, sie beugte
Sich über mich mit Lächeln; wohl erkannt' ich
Sie wieder und ihr liebes Angesicht.
Fluch! wenn sie einen Anderen begraben,
Wenn einem Fremden sie so freundlich that!
Wie? so starb Lieb' und Treue vor mir hin?
Freilich, zu lange säumt' ich hier im Leben --
O Weyla, hilf! laß schnell den Tod mich haben!
Auf kurze Weile nur führ' mich hinab
In's Reich der Abgeschied'nen, daß ich eilig
Es zuckt in der Mitte! O Himmel, ach hilf!
Ich glaube, ſie nahen, ſie kommen!
Es orgelt im Rohr und es klirret im Schilf;
Nur hurtig, die Flucht nur genommen!
Davon!
Sie wittern, ſie haſchen mich ſchon!

(Die Kinder entfliehen. Der Zug ſtreicht wieder den Berg
hinan. Während er verſchwindet, ruft der König mit
ausgeſtreckten Armen nach.)
König.
Halt! Haltet! Steht! Hier iſt der König Ulmon!
Ihr habt den leeren Sarg verſenkt, o kommt!
Ich, der ihn füllen ſollte, bin noch hier.
Almiſſa, Königin! hier iſt dein Gatte!
Hörſt du nicht meine Stimme? kennſt ſie nimmer?
Nein, kennſt ſie nimmer. Weh, o weh mir, weh!
Könnt’ ich zur Leiche werden, ſie vergönnten
Mir auch ſo kühles Grab. Leb’ ich denn noch?
Wach’ ich denn ſtets?
Mir däucht, ich lag in dem kryſtallnen Sarge,
Mein Weib, die göttliche Geſtalt, ſie beugte
Sich über mich mit Lächeln; wohl erkannt’ ich
Sie wieder und ihr liebes Angeſicht.
Fluch! wenn ſie einen Anderen begraben,
Wenn einem Fremden ſie ſo freundlich that!
Wie? ſo ſtarb Lieb’ und Treue vor mir hin?
Freilich, zu lange ſäumt’ ich hier im Leben —
O Weyla, hilf! laß ſchnell den Tod mich haben!
Auf kurze Weile nur führ’ mich hinab
In’s Reich der Abgeſchied’nen, daß ich eilig
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[191/0199] Es zuckt in der Mitte! O Himmel, ach hilf! Ich glaube, ſie nahen, ſie kommen! Es orgelt im Rohr und es klirret im Schilf; Nur hurtig, die Flucht nur genommen! Davon! Sie wittern, ſie haſchen mich ſchon! (Die Kinder entfliehen. Der Zug ſtreicht wieder den Berg hinan. Während er verſchwindet, ruft der König mit ausgeſtreckten Armen nach.) König. Halt! Haltet! Steht! Hier iſt der König Ulmon! Ihr habt den leeren Sarg verſenkt, o kommt! Ich, der ihn füllen ſollte, bin noch hier. Almiſſa, Königin! hier iſt dein Gatte! Hörſt du nicht meine Stimme? kennſt ſie nimmer? Nein, kennſt ſie nimmer. Weh, o weh mir, weh! Könnt’ ich zur Leiche werden, ſie vergönnten Mir auch ſo kühles Grab. Leb’ ich denn noch? Wach’ ich denn ſtets? Mir däucht, ich lag in dem kryſtallnen Sarge, Mein Weib, die göttliche Geſtalt, ſie beugte Sich über mich mit Lächeln; wohl erkannt’ ich Sie wieder und ihr liebes Angeſicht. Fluch! wenn ſie einen Anderen begraben, Wenn einem Fremden ſie ſo freundlich that! Wie? ſo ſtarb Lieb’ und Treue vor mir hin? Freilich, zu lange ſäumt’ ich hier im Leben — O Weyla, hilf! laß ſchnell den Tod mich haben! Auf kurze Weile nur führ’ mich hinab In’s Reich der Abgeſchied’nen, daß ich eilig

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/199>, abgerufen am 30.04.2024.