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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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beschwerliche Nervenkrankheit, aber mehr noch die Sorge,
er genüge als Regent seinem Volke nimmer, verbitterte
ihm vollends das Leben, er sehnte sich mit einer Unge-
duld, deren Ausbrüche oft schauerlich gewesen seyn sol-
len, dem Tode entgegen, und man wollte wissen, daß
er einen mißlungenen Versuch zum Selbstmorde ge-
macht. Bekannt genug war die Anekdote, wonach er
einst in einem Anfall von Verzweiflung bitter scherzend
ausgerufen: "der Himmel will einen neuen Methusalah
aus mir haben, und Viktorie zerrt mich mit Gewalt
in die Jünglingsjahre zurück." Diese Worte klangen
um so komischer, je mehr man der boshaften Meinung
einiger Spötter trauen wollte, daß die schneeweißen
Locken Seiner Majestät sich noch immer nicht ungerne
von den Rosen der jungen Fürstin schmeicheln ließen.
Wie dem auch gewesen seyn mag -- unter denjenigen,
welchen das Gedächtniß dieses merkwürdigen, früher
sehr wohlthätigen Regenten höchst ehrwürdig, ja heilig
blieb, war auch unser Larkens, und zwar abgesehen
von der persönlichen Gunst des Königes gegen ihn als
Schauspieler, war Nikolaus in seinen Augen ein
großartiges tragisches Räthsel der Menschennatur, eine
mächtige graue Trümmer an dem uralten Königspalast.
Geschmäht von dem Geschmacke einer frivolen Zeit, an-
gestaunt von wenigen edleren Geistern, hätte sich die
herrliche Säule, wie sie bereits mit halbem Leibe schon
in die Erde eingesunken war, gramvoll lieber vollends
unter den Boden verborgen mit ihren für dieses Ge-

beſchwerliche Nervenkrankheit, aber mehr noch die Sorge,
er genüge als Regent ſeinem Volke nimmer, verbitterte
ihm vollends das Leben, er ſehnte ſich mit einer Unge-
duld, deren Ausbrüche oft ſchauerlich geweſen ſeyn ſol-
len, dem Tode entgegen, und man wollte wiſſen, daß
er einen mißlungenen Verſuch zum Selbſtmorde ge-
macht. Bekannt genug war die Anekdote, wonach er
einſt in einem Anfall von Verzweiflung bitter ſcherzend
ausgerufen: „der Himmel will einen neuen Methuſalah
aus mir haben, und Viktorie zerrt mich mit Gewalt
in die Jünglingsjahre zurück.“ Dieſe Worte klangen
um ſo komiſcher, je mehr man der boshaften Meinung
einiger Spötter trauen wollte, daß die ſchneeweißen
Locken Seiner Majeſtät ſich noch immer nicht ungerne
von den Roſen der jungen Fürſtin ſchmeicheln ließen.
Wie dem auch geweſen ſeyn mag — unter denjenigen,
welchen das Gedächtniß dieſes merkwürdigen, früher
ſehr wohlthätigen Regenten höchſt ehrwürdig, ja heilig
blieb, war auch unſer Larkens, und zwar abgeſehen
von der perſönlichen Gunſt des Königes gegen ihn als
Schauſpieler, war Nikolaus in ſeinen Augen ein
großartiges tragiſches Räthſel der Menſchennatur, eine
mächtige graue Trümmer an dem uralten Königspalaſt.
Geſchmäht von dem Geſchmacke einer frivolen Zeit, an-
geſtaunt von wenigen edleren Geiſtern, hätte ſich die
herrliche Säule, wie ſie bereits mit halbem Leibe ſchon
in die Erde eingeſunken war, gramvoll lieber vollends
unter den Boden verborgen mit ihren für dieſes Ge-

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[215/0223] beſchwerliche Nervenkrankheit, aber mehr noch die Sorge, er genüge als Regent ſeinem Volke nimmer, verbitterte ihm vollends das Leben, er ſehnte ſich mit einer Unge- duld, deren Ausbrüche oft ſchauerlich geweſen ſeyn ſol- len, dem Tode entgegen, und man wollte wiſſen, daß er einen mißlungenen Verſuch zum Selbſtmorde ge- macht. Bekannt genug war die Anekdote, wonach er einſt in einem Anfall von Verzweiflung bitter ſcherzend ausgerufen: „der Himmel will einen neuen Methuſalah aus mir haben, und Viktorie zerrt mich mit Gewalt in die Jünglingsjahre zurück.“ Dieſe Worte klangen um ſo komiſcher, je mehr man der boshaften Meinung einiger Spötter trauen wollte, daß die ſchneeweißen Locken Seiner Majeſtät ſich noch immer nicht ungerne von den Roſen der jungen Fürſtin ſchmeicheln ließen. Wie dem auch geweſen ſeyn mag — unter denjenigen, welchen das Gedächtniß dieſes merkwürdigen, früher ſehr wohlthätigen Regenten höchſt ehrwürdig, ja heilig blieb, war auch unſer Larkens, und zwar abgeſehen von der perſönlichen Gunſt des Königes gegen ihn als Schauſpieler, war Nikolaus in ſeinen Augen ein großartiges tragiſches Räthſel der Menſchennatur, eine mächtige graue Trümmer an dem uralten Königspalaſt. Geſchmäht von dem Geſchmacke einer frivolen Zeit, an- geſtaunt von wenigen edleren Geiſtern, hätte ſich die herrliche Säule, wie ſie bereits mit halbem Leibe ſchon in die Erde eingeſunken war, gramvoll lieber vollends unter den Boden verborgen mit ihren für dieſes Ge-

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/223>, abgerufen am 29.04.2024.