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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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wältigte sie der Drang ihrer Gefühle; sie sank unwill-
kürlich auf die Kniee nieder, und indem sie die Hände
faltete, wußte sie kaum, was Alles in ihrem Innern
durcheinander fluthete; und doch, ihr Mund bewegte
sich leise zu Worten des brünstigen Dankes, der innig-
sten Bitten.

Nachdem sie sich wieder erhoben, glaubte sie, der
Himmel wolle ihr in der ruhigen Heiterkeit, wovon
ihre Seele jezt wie getragen war, Erhörung ihres
Gebets ankündigen. In der That, jezt war sie auch
beherzt genug, um endlich nicht länger die Frage ab-
zuweisen: was denn zulezt von dieser Liebe zu hoffen
oder zu fürchten sey? was es mit Theobald, was
es mit ihr werden solle? Sie stellte sich aufrichtig
alle Verhältnisse vor, sie verschwieg sich kein Beden-
ken, keine Schwierigkeit, sie wog Jegliches gegen ein-
ander ab, und mehr und mehr vertraute sie der Mög-
lichkeit einer ehrenvollen und glücklichen Vereinigung,
ja, wenn sie sich genauer prüfte, so fand sie diese Hoff-
nung längst vorbereitet im Hintergrund ihrer Seele
gelegen. Aber nicht allzukühn durfte sie ihr sich über-
lassen, denn schon der nächste Augenblick wies ihr so
manches Hinderniß, worunter der Adelstolz der Fa-
milie keineswegs das geringste war, in einem stren-
geren Lichte, als es ihr noch kaum vorher erschien.
Es bemächtigte sich ihrer eine nie empfundene Angst;
sie wollte sich für heute der Sache ganz entschla-
gen, sie griff nach einem Buche: umsonst, kein Ge-

wältigte ſie der Drang ihrer Gefühle; ſie ſank unwill-
kürlich auf die Kniee nieder, und indem ſie die Hände
faltete, wußte ſie kaum, was Alles in ihrem Innern
durcheinander fluthete; und doch, ihr Mund bewegte
ſich leiſe zu Worten des brünſtigen Dankes, der innig-
ſten Bitten.

Nachdem ſie ſich wieder erhoben, glaubte ſie, der
Himmel wolle ihr in der ruhigen Heiterkeit, wovon
ihre Seele jezt wie getragen war, Erhörung ihres
Gebets ankündigen. In der That, jezt war ſie auch
beherzt genug, um endlich nicht länger die Frage ab-
zuweiſen: was denn zulezt von dieſer Liebe zu hoffen
oder zu fürchten ſey? was es mit Theobald, was
es mit ihr werden ſolle? Sie ſtellte ſich aufrichtig
alle Verhältniſſe vor, ſie verſchwieg ſich kein Beden-
ken, keine Schwierigkeit, ſie wog Jegliches gegen ein-
ander ab, und mehr und mehr vertraute ſie der Mög-
lichkeit einer ehrenvollen und glücklichen Vereinigung,
ja, wenn ſie ſich genauer prüfte, ſo fand ſie dieſe Hoff-
nung längſt vorbereitet im Hintergrund ihrer Seele
gelegen. Aber nicht allzukühn durfte ſie ihr ſich über-
laſſen, denn ſchon der nächſte Augenblick wies ihr ſo
manches Hinderniß, worunter der Adelſtolz der Fa-
milie keineswegs das geringſte war, in einem ſtren-
geren Lichte, als es ihr noch kaum vorher erſchien.
Es bemächtigte ſich ihrer eine nie empfundene Angſt;
ſie wollte ſich für heute der Sache ganz entſchla-
gen, ſie griff nach einem Buche: umſonſt, kein Ge-

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[219/0227] wältigte ſie der Drang ihrer Gefühle; ſie ſank unwill- kürlich auf die Kniee nieder, und indem ſie die Hände faltete, wußte ſie kaum, was Alles in ihrem Innern durcheinander fluthete; und doch, ihr Mund bewegte ſich leiſe zu Worten des brünſtigen Dankes, der innig- ſten Bitten. Nachdem ſie ſich wieder erhoben, glaubte ſie, der Himmel wolle ihr in der ruhigen Heiterkeit, wovon ihre Seele jezt wie getragen war, Erhörung ihres Gebets ankündigen. In der That, jezt war ſie auch beherzt genug, um endlich nicht länger die Frage ab- zuweiſen: was denn zulezt von dieſer Liebe zu hoffen oder zu fürchten ſey? was es mit Theobald, was es mit ihr werden ſolle? Sie ſtellte ſich aufrichtig alle Verhältniſſe vor, ſie verſchwieg ſich kein Beden- ken, keine Schwierigkeit, ſie wog Jegliches gegen ein- ander ab, und mehr und mehr vertraute ſie der Mög- lichkeit einer ehrenvollen und glücklichen Vereinigung, ja, wenn ſie ſich genauer prüfte, ſo fand ſie dieſe Hoff- nung längſt vorbereitet im Hintergrund ihrer Seele gelegen. Aber nicht allzukühn durfte ſie ihr ſich über- laſſen, denn ſchon der nächſte Augenblick wies ihr ſo manches Hinderniß, worunter der Adelſtolz der Fa- milie keineswegs das geringſte war, in einem ſtren- geren Lichte, als es ihr noch kaum vorher erſchien. Es bemächtigte ſich ihrer eine nie empfundene Angſt; ſie wollte ſich für heute der Sache ganz entſchla- gen, ſie griff nach einem Buche: umſonſt, kein Ge-

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/227>, abgerufen am 29.04.2024.