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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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fern es gerathen sey, Theobalden schon jezt seine
Pflichten für die Verlobte aufzudringen, eine reifliche
Ueberlegung. -- Wir überlassen ihn jezt seinen Ge-
danken und kehren in das Zarlin'sche Haus zurück.

Dort meldete sich des andern Tages gegen Abend
ein vornehmer Besuch. Herzog Adolph erschien,
und Constanze, in Abwesenheit ihres Bruders,
empfing ihn allein. Das ungewöhnlich blasse und ver-
störte Aussehen der schönen Frau mochte ihm sogleich
auffallen, er erkundigte sich auf das Angelegentlichste
nach ihrem Befinden, ging dann mit einer leichten
Wendung auf sein eigenes Anliegen über und erzählte
mit sichtbarem Verdrusse, was ihm gestern von einer
höchst ärgerlichen Sache bekannt geworden, wobei er
bedaure, daß sie gerade in diesem, ihm so höchst
schätzbaren, Hause habe vorfallen müssen. Der König,
sein Bruder, dessen Ehre dabei betheiligt wäre, sey
auf das genaueste davon unterrichtet und aus dessen
eigenem Munde habe er es gehört.

Constanze erschrack, erklärte, wie sie zwar an
jenem Abende die allgemeine Bewegung der Gesell-
schaft wahrgenommen, wie auch sie nachher den Grund
davon erfahren, wie sie aber an einen solchen Frevel
von solchen Männern nicht sogleich habe glauben kön-
nen. Sie bat, man möge doch wenigstens sie aller
Stimme dabei überheben, da Leute von besserer Ein-
sicht, von bedeutenderem Urtheil zugegen gewesen.
Aber der Herzog gestand, daß der König die vorläu-

fern es gerathen ſey, Theobalden ſchon jezt ſeine
Pflichten für die Verlobte aufzudringen, eine reifliche
Ueberlegung. — Wir überlaſſen ihn jezt ſeinen Ge-
danken und kehren in das Zarlin’ſche Haus zurück.

Dort meldete ſich des andern Tages gegen Abend
ein vornehmer Beſuch. Herzog Adolph erſchien,
und Conſtanze, in Abweſenheit ihres Bruders,
empfing ihn allein. Das ungewöhnlich blaſſe und ver-
ſtörte Ausſehen der ſchönen Frau mochte ihm ſogleich
auffallen, er erkundigte ſich auf das Angelegentlichſte
nach ihrem Befinden, ging dann mit einer leichten
Wendung auf ſein eigenes Anliegen über und erzählte
mit ſichtbarem Verdruſſe, was ihm geſtern von einer
höchſt ärgerlichen Sache bekannt geworden, wobei er
bedaure, daß ſie gerade in dieſem, ihm ſo höchſt
ſchätzbaren, Hauſe habe vorfallen müſſen. Der König,
ſein Bruder, deſſen Ehre dabei betheiligt wäre, ſey
auf das genaueſte davon unterrichtet und aus deſſen
eigenem Munde habe er es gehört.

Conſtanze erſchrack, erklärte, wie ſie zwar an
jenem Abende die allgemeine Bewegung der Geſell-
ſchaft wahrgenommen, wie auch ſie nachher den Grund
davon erfahren, wie ſie aber an einen ſolchen Frevel
von ſolchen Männern nicht ſogleich habe glauben kön-
nen. Sie bat, man möge doch wenigſtens ſie aller
Stimme dabei überheben, da Leute von beſſerer Ein-
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[236/0244] fern es gerathen ſey, Theobalden ſchon jezt ſeine Pflichten für die Verlobte aufzudringen, eine reifliche Ueberlegung. — Wir überlaſſen ihn jezt ſeinen Ge- danken und kehren in das Zarlin’ſche Haus zurück. Dort meldete ſich des andern Tages gegen Abend ein vornehmer Beſuch. Herzog Adolph erſchien, und Conſtanze, in Abweſenheit ihres Bruders, empfing ihn allein. Das ungewöhnlich blaſſe und ver- ſtörte Ausſehen der ſchönen Frau mochte ihm ſogleich auffallen, er erkundigte ſich auf das Angelegentlichſte nach ihrem Befinden, ging dann mit einer leichten Wendung auf ſein eigenes Anliegen über und erzählte mit ſichtbarem Verdruſſe, was ihm geſtern von einer höchſt ärgerlichen Sache bekannt geworden, wobei er bedaure, daß ſie gerade in dieſem, ihm ſo höchſt ſchätzbaren, Hauſe habe vorfallen müſſen. Der König, ſein Bruder, deſſen Ehre dabei betheiligt wäre, ſey auf das genaueſte davon unterrichtet und aus deſſen eigenem Munde habe er es gehört. Conſtanze erſchrack, erklärte, wie ſie zwar an jenem Abende die allgemeine Bewegung der Geſell- ſchaft wahrgenommen, wie auch ſie nachher den Grund davon erfahren, wie ſie aber an einen ſolchen Frevel von ſolchen Männern nicht ſogleich habe glauben kön- nen. Sie bat, man möge doch wenigſtens ſie aller Stimme dabei überheben, da Leute von beſſerer Ein- ſicht, von bedeutenderem Urtheil zugegen geweſen. Aber der Herzog geſtand, daß der König die vorläu-

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/244>, abgerufen am 29.04.2024.