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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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Verhältniß dieser Person zum verstorbenen Regenten
nicht ganz getroffen seyn mochte, so war die schein-
barste Seite davon doch so charakteristisch herausge-
hoben, daß man nicht läugnen konnte, ein sehr frap-
pantes Bild von Viktoriens Erscheinung vor sich
zu haben. Die Zeichnung des selbstsüchtigen schalk-
haften und doch wieder so innigen Wesens ahmte
wirklich die leisesten Nüancen nach. Das Alles hätte
noch hingehen mögen. Aber diese Dame glänzte noch
am Hofe, das Vertrauen, das Nikolaus ihr ge-
schenkt hatte, ward noch vom Sohne geehrt. In so
ferne müssen wir jenes Spiel höchst unbedachtsam
nennen. Dennoch hätte es vielleicht dem Herzog nicht
schwer seyn müssen, den möglichen Schaden abzulenken,
wäre nicht der König selbst in einer müßigen Stunde
auf das verschrieene Manuscript neugierig gewesen.
Hier entging ihm denn so manche Verwandtschaft kei-
neswegs, er äußerte sich mit großer Unzufriedenheit
über eine so unschickliche Anspielung, namentlich die
leichtfertige oder ernste Einführung der bewußten
werthgeschäzten Frau empörte ihn als eine unverzeih-
liche Vermessenheit. Der Herzog besänftigte ihn vor-
läufig, indem er Dieses und Jenes noch problematisch
darstellte, versprach, das Ganze nochmals genau zu
durchgehen, so wie auch nähere Erkundigungen einzu-
ziehen; weil er aber doch ein gerechtes Gefühl des
Bruders nicht schlechterdings umgehen und das Zu-
trauen nicht mißbrauchen wollte, womit dieser ihm die

Verhältniß dieſer Perſon zum verſtorbenen Regenten
nicht ganz getroffen ſeyn mochte, ſo war die ſchein-
barſte Seite davon doch ſo charakteriſtiſch herausge-
hoben, daß man nicht läugnen konnte, ein ſehr frap-
pantes Bild von Viktoriens Erſcheinung vor ſich
zu haben. Die Zeichnung des ſelbſtſüchtigen ſchalk-
haften und doch wieder ſo innigen Weſens ahmte
wirklich die leiſeſten Nüancen nach. Das Alles hätte
noch hingehen mögen. Aber dieſe Dame glänzte noch
am Hofe, das Vertrauen, das Nikolaus ihr ge-
ſchenkt hatte, ward noch vom Sohne geehrt. In ſo
ferne müſſen wir jenes Spiel höchſt unbedachtſam
nennen. Dennoch hätte es vielleicht dem Herzog nicht
ſchwer ſeyn müſſen, den möglichen Schaden abzulenken,
wäre nicht der König ſelbſt in einer müßigen Stunde
auf das verſchrieene Manuſcript neugierig geweſen.
Hier entging ihm denn ſo manche Verwandtſchaft kei-
neswegs, er äußerte ſich mit großer Unzufriedenheit
über eine ſo unſchickliche Anſpielung, namentlich die
leichtfertige oder ernſte Einführung der bewußten
werthgeſchäzten Frau empörte ihn als eine unverzeih-
liche Vermeſſenheit. Der Herzog beſänftigte ihn vor-
läufig, indem er Dieſes und Jenes noch problematiſch
darſtellte, verſprach, das Ganze nochmals genau zu
durchgehen, ſo wie auch nähere Erkundigungen einzu-
ziehen; weil er aber doch ein gerechtes Gefühl des
Bruders nicht ſchlechterdings umgehen und das Zu-
trauen nicht mißbrauchen wollte, womit dieſer ihm die

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[240/0248] Verhältniß dieſer Perſon zum verſtorbenen Regenten nicht ganz getroffen ſeyn mochte, ſo war die ſchein- barſte Seite davon doch ſo charakteriſtiſch herausge- hoben, daß man nicht läugnen konnte, ein ſehr frap- pantes Bild von Viktoriens Erſcheinung vor ſich zu haben. Die Zeichnung des ſelbſtſüchtigen ſchalk- haften und doch wieder ſo innigen Weſens ahmte wirklich die leiſeſten Nüancen nach. Das Alles hätte noch hingehen mögen. Aber dieſe Dame glänzte noch am Hofe, das Vertrauen, das Nikolaus ihr ge- ſchenkt hatte, ward noch vom Sohne geehrt. In ſo ferne müſſen wir jenes Spiel höchſt unbedachtſam nennen. Dennoch hätte es vielleicht dem Herzog nicht ſchwer ſeyn müſſen, den möglichen Schaden abzulenken, wäre nicht der König ſelbſt in einer müßigen Stunde auf das verſchrieene Manuſcript neugierig geweſen. Hier entging ihm denn ſo manche Verwandtſchaft kei- neswegs, er äußerte ſich mit großer Unzufriedenheit über eine ſo unſchickliche Anſpielung, namentlich die leichtfertige oder ernſte Einführung der bewußten werthgeſchäzten Frau empörte ihn als eine unverzeih- liche Vermeſſenheit. Der Herzog beſänftigte ihn vor- läufig, indem er Dieſes und Jenes noch problematiſch darſtellte, verſprach, das Ganze nochmals genau zu durchgehen, ſo wie auch nähere Erkundigungen einzu- ziehen; weil er aber doch ein gerechtes Gefühl des Bruders nicht ſchlechterdings umgehen und das Zu- trauen nicht mißbrauchen wollte, womit dieſer ihm die

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/248>, abgerufen am 29.04.2024.