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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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Entscheidung des keineswegs gleichgültigen Gegenstan-
des überließ, so kam er wirklich mit einer doppelten
Pflicht in's Gedränge, er hätte eben so gerne den
Maler geschont als dem Bruder Genüge gethan; da-
her denn auch jene Anfrage bei Constanze nichts we-
niger als bloße Pantomime war; er dachte sie bei
dieser Gelegenheit ein wenig zu schrauben, fand aber
ein solches Frauen-Orakel wirklich bequem für seine
Unschlüssigkeit, nur glaubte er auf den Fall, daß die
Geschichte Rumor machen könnte, aus Diskretion ge-
gen Viktorie den eigentlichen Grund des Aergernis-
ses verstecken und mehr das Allgemeine vorkehren zu
müssen.

Constanze blickte noch immer ernst vor sich
nieder, ohne eine Miene zu ändern. Den Herzog
rührte ihr Anblick, worin er von jezt an wirklich nur
die edelste Theilnahme an dem Schicksale zweier Haus-
freunde zu lesen glaubte; ihr ganzes Wesen, von die-
sem Kummer leicht beschattet, däuchte ihm nie fo rei-
zend, so weich gewesen zu seyn. Er sezte sich an ihre
Seite und gab dem Gespräch eine andere Richtung,
sie ging so viel möglich darauf ein, und der Zwang,
den sie sich mitunter dabei anthat, machte sie nur
immer liebenswürdiger, kindlicher, unwiderstehlicher.
Dazu kam die einladende Ruhe dieser Stunde, von
zweien auf dem Tische brennenden Kerzen traulich ver-
klärt. Der Herzog ergriff in der Unterhaltung die
Hand seiner schweigsamen Nebensitzerin, er ließ die

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Entſcheidung des keineswegs gleichgültigen Gegenſtan-
des überließ, ſo kam er wirklich mit einer doppelten
Pflicht in’s Gedränge, er hätte eben ſo gerne den
Maler geſchont als dem Bruder Genüge gethan; da-
her denn auch jene Anfrage bei Conſtanze nichts we-
niger als bloße Pantomime war; er dachte ſie bei
dieſer Gelegenheit ein wenig zu ſchrauben, fand aber
ein ſolches Frauen-Orakel wirklich bequem für ſeine
Unſchlüſſigkeit, nur glaubte er auf den Fall, daß die
Geſchichte Rumor machen könnte, aus Diskretion ge-
gen Viktorie den eigentlichen Grund des Aergerniſ-
ſes verſtecken und mehr das Allgemeine vorkehren zu
müſſen.

Conſtanze blickte noch immer ernſt vor ſich
nieder, ohne eine Miene zu ändern. Den Herzog
rührte ihr Anblick, worin er von jezt an wirklich nur
die edelſte Theilnahme an dem Schickſale zweier Haus-
freunde zu leſen glaubte; ihr ganzes Weſen, von die-
ſem Kummer leicht beſchattet, däuchte ihm nie fo rei-
zend, ſo weich geweſen zu ſeyn. Er ſezte ſich an ihre
Seite und gab dem Geſpräch eine andere Richtung,
ſie ging ſo viel möglich darauf ein, und der Zwang,
den ſie ſich mitunter dabei anthat, machte ſie nur
immer liebenswürdiger, kindlicher, unwiderſtehlicher.
Dazu kam die einladende Ruhe dieſer Stunde, von
zweien auf dem Tiſche brennenden Kerzen traulich ver-
klärt. Der Herzog ergriff in der Unterhaltung die
Hand ſeiner ſchweigſamen Nebenſitzerin, er ließ die

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[241/0249] Entſcheidung des keineswegs gleichgültigen Gegenſtan- des überließ, ſo kam er wirklich mit einer doppelten Pflicht in’s Gedränge, er hätte eben ſo gerne den Maler geſchont als dem Bruder Genüge gethan; da- her denn auch jene Anfrage bei Conſtanze nichts we- niger als bloße Pantomime war; er dachte ſie bei dieſer Gelegenheit ein wenig zu ſchrauben, fand aber ein ſolches Frauen-Orakel wirklich bequem für ſeine Unſchlüſſigkeit, nur glaubte er auf den Fall, daß die Geſchichte Rumor machen könnte, aus Diskretion ge- gen Viktorie den eigentlichen Grund des Aergerniſ- ſes verſtecken und mehr das Allgemeine vorkehren zu müſſen. Conſtanze blickte noch immer ernſt vor ſich nieder, ohne eine Miene zu ändern. Den Herzog rührte ihr Anblick, worin er von jezt an wirklich nur die edelſte Theilnahme an dem Schickſale zweier Haus- freunde zu leſen glaubte; ihr ganzes Weſen, von die- ſem Kummer leicht beſchattet, däuchte ihm nie fo rei- zend, ſo weich geweſen zu ſeyn. Er ſezte ſich an ihre Seite und gab dem Geſpräch eine andere Richtung, ſie ging ſo viel möglich darauf ein, und der Zwang, den ſie ſich mitunter dabei anthat, machte ſie nur immer liebenswürdiger, kindlicher, unwiderſtehlicher. Dazu kam die einladende Ruhe dieſer Stunde, von zweien auf dem Tiſche brennenden Kerzen traulich ver- klärt. Der Herzog ergriff in der Unterhaltung die Hand ſeiner ſchweigſamen Nebenſitzerin, er ließ die 16

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/249>, abgerufen am 29.04.2024.