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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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bild?" fragt er Adelheiden, während Theobald sich
auf den Gang hinaus schleicht. Das Mädchen berichtete,
was es wußte, und sezte zulezt noch hinzu, daß der
Bruder von einem Bilde gesagt, welches er schon als
Kind öfters in einer Dachkammer gesehen und das
die wunderbarste Aehnlichkeit mit dem Mädchen habe.
Der Pfarrer winkte verdrießlich mit der Hand und
seufzte laut. Er schien in der That über die Person
der Fremden mehr im Reinen zu seyn, als ihm selber
lieb seyn mochte, und der lezte Zweifel verschwand vol-
lends während einer Unterredung, welche er, so gut es
gehen mochte, mit Elisabeth unter vier Augen auf
seiner Studirstube vornahm. Er ward überzeugt, daß
er hier die traurige Frucht eines längst mit Stillschwei-
gen zugedeckten Verhältnisses vor sich habe, das einst
unabschbares Aergerniß und unsäglichen Jammer in
seiner Familie angerichtet hatte. Was jedoch Elisa-
beth
jezt über ihr bisheriges Schicksal vorbrachte, war
nicht viel mehr, als was die Andern bereits von ihr
wußten, und der Pfarrer fand nicht für gut, sie über
das Geheimniß ihrer Geburt und somit über die nahe
Beziehung aufzuklären, worin sie dadurch zu seinem
Hause stand. Den auffallenden Umstand aber, daß die
Flüchtige just in diese Gegend gerieth, machten einige
Aeußerungen des Mädchens klar, aus welchen hervor-
ging, daß ein unzufriedenes Mitglied jener Bande sich
an dem Anführer durch die Entfernung Elisabeths
rächen wollte, wozu ihm die Leztere selbst durch die häu-

bild?“ fragt er Adelheiden, während Theobald ſich
auf den Gang hinaus ſchleicht. Das Mädchen berichtete,
was es wußte, und ſezte zulezt noch hinzu, daß der
Bruder von einem Bilde geſagt, welches er ſchon als
Kind öfters in einer Dachkammer geſehen und das
die wunderbarſte Aehnlichkeit mit dem Mädchen habe.
Der Pfarrer winkte verdrießlich mit der Hand und
ſeufzte laut. Er ſchien in der That über die Perſon
der Fremden mehr im Reinen zu ſeyn, als ihm ſelber
lieb ſeyn mochte, und der lezte Zweifel verſchwand vol-
lends während einer Unterredung, welche er, ſo gut es
gehen mochte, mit Eliſabeth unter vier Augen auf
ſeiner Studirſtube vornahm. Er ward überzeugt, daß
er hier die traurige Frucht eines längſt mit Stillſchwei-
gen zugedeckten Verhältniſſes vor ſich habe, das einſt
unabſchbares Aergerniß und unſäglichen Jammer in
ſeiner Familie angerichtet hatte. Was jedoch Eliſa-
beth
jezt über ihr bisheriges Schickſal vorbrachte, war
nicht viel mehr, als was die Andern bereits von ihr
wußten, und der Pfarrer fand nicht für gut, ſie über
das Geheimniß ihrer Geburt und ſomit über die nahe
Beziehung aufzuklären, worin ſie dadurch zu ſeinem
Hauſe ſtand. Den auffallenden Umſtand aber, daß die
Flüchtige juſt in dieſe Gegend gerieth, machten einige
Aeußerungen des Mädchens klar, aus welchen hervor-
ging, daß ein unzufriedenes Mitglied jener Bande ſich
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[296/0304] bild?“ fragt er Adelheiden, während Theobald ſich auf den Gang hinaus ſchleicht. Das Mädchen berichtete, was es wußte, und ſezte zulezt noch hinzu, daß der Bruder von einem Bilde geſagt, welches er ſchon als Kind öfters in einer Dachkammer geſehen und das die wunderbarſte Aehnlichkeit mit dem Mädchen habe. Der Pfarrer winkte verdrießlich mit der Hand und ſeufzte laut. Er ſchien in der That über die Perſon der Fremden mehr im Reinen zu ſeyn, als ihm ſelber lieb ſeyn mochte, und der lezte Zweifel verſchwand vol- lends während einer Unterredung, welche er, ſo gut es gehen mochte, mit Eliſabeth unter vier Augen auf ſeiner Studirſtube vornahm. Er ward überzeugt, daß er hier die traurige Frucht eines längſt mit Stillſchwei- gen zugedeckten Verhältniſſes vor ſich habe, das einſt unabſchbares Aergerniß und unſäglichen Jammer in ſeiner Familie angerichtet hatte. Was jedoch Eliſa- beth jezt über ihr bisheriges Schickſal vorbrachte, war nicht viel mehr, als was die Andern bereits von ihr wußten, und der Pfarrer fand nicht für gut, ſie über das Geheimniß ihrer Geburt und ſomit über die nahe Beziehung aufzuklären, worin ſie dadurch zu ſeinem Hauſe ſtand. Den auffallenden Umſtand aber, daß die Flüchtige juſt in dieſe Gegend gerieth, machten einige Aeußerungen des Mädchens klar, aus welchen hervor- ging, daß ein unzufriedenes Mitglied jener Bande ſich an dem Anführer durch die Entfernung Eliſabeths rächen wollte, wozu ihm die Leztere ſelbſt durch die häu-

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/304>, abgerufen am 02.05.2024.