Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

auch nur durch das Interesse an der ungewöhnlichen
Mischung dieses Charakters.

Aeußerungen eines feinen Verstandes und einer
kindischen Unschuld, trockner Ernst und plötzliche An-
wandlung ausgelassener Munterkeit wechseln in einem
durchaus ungesuchten und höchst anmuthigen Kontraste
mit einander ab und machen das bezauberndste Far-
benspiel. Das Unbegreifliche dieser Komposition und
dieser Uebergänge ist auch bloß scheinbar; für mich
hat das Alles bereits die nothwendige Ordnung einer
schönen Harmonie angenommen. Erstaunlich ist zu-
weilen die Behendigkeit ihrer äußern Bewegungen und
herrlich das Lächeln der Ueberlegenheit, wenn es ihr
mitunter gefällt, die Gefahr gleichsam zu necken. Mit
Zittern seh ich zu, wie sie einen jähen Abhang hin-
unter rennt und so von Baum zu Baum stürzend sich
nur einen kurzen Anhalt gibt; oder wenn sie sich auf
den Rücken eines am Boden ruhenden Pferdes wirft
und es durch Schläge zum plötzlichen Aufstehen zwingt.
Unter den Uebrigen bildet sie indessen eine ziemlich
isolirte Figur; man läßt sie auch gehen, weil man
ihre Art schon kennt, und doch hängen Alle mit einer
gewissen Vorliebe an ihr. Besonders scheint der Sohn
des Anführers, ein gescheidter männlich schöner Kerl,
größere Aufmerksamkeit für sie zu haben, als ich leiden
mag, wobei mich zwar eines Theils ihre Kälte freut,
auf der andern Seite aber sein heimlicher Verdruß doch
wieder herzlich rührt. Mich mag sie gerne um sich dul-

auch nur durch das Intereſſe an der ungewöhnlichen
Miſchung dieſes Charakters.

Aeußerungen eines feinen Verſtandes und einer
kindiſchen Unſchuld, trockner Ernſt und plötzliche An-
wandlung ausgelaſſener Munterkeit wechſeln in einem
durchaus ungeſuchten und höchſt anmuthigen Kontraſte
mit einander ab und machen das bezauberndſte Far-
benſpiel. Das Unbegreifliche dieſer Kompoſition und
dieſer Uebergänge iſt auch bloß ſcheinbar; für mich
hat das Alles bereits die nothwendige Ordnung einer
ſchönen Harmonie angenommen. Erſtaunlich iſt zu-
weilen die Behendigkeit ihrer äußern Bewegungen und
herrlich das Lächeln der Ueberlegenheit, wenn es ihr
mitunter gefällt, die Gefahr gleichſam zu necken. Mit
Zittern ſeh ich zu, wie ſie einen jähen Abhang hin-
unter rennt und ſo von Baum zu Baum ſtürzend ſich
nur einen kurzen Anhalt gibt; oder wenn ſie ſich auf
den Rücken eines am Boden ruhenden Pferdes wirft
und es durch Schläge zum plötzlichen Aufſtehen zwingt.
Unter den Uebrigen bildet ſie indeſſen eine ziemlich
iſolirte Figur; man läßt ſie auch gehen, weil man
ihre Art ſchon kennt, und doch hängen Alle mit einer
gewiſſen Vorliebe an ihr. Beſonders ſcheint der Sohn
des Anführers, ein geſcheidter männlich ſchöner Kerl,
größere Aufmerkſamkeit für ſie zu haben, als ich leiden
mag, wobei mich zwar eines Theils ihre Kälte freut,
auf der andern Seite aber ſein heimlicher Verdruß doch
wieder herzlich rührt. Mich mag ſie gerne um ſich dul-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0314" n="306"/>
auch nur durch das Intere&#x017F;&#x017F;e an der ungewöhnlichen<lb/>
Mi&#x017F;chung die&#x017F;es Charakters.</p><lb/>
          <p>Aeußerungen eines feinen Ver&#x017F;tandes und einer<lb/>
kindi&#x017F;chen Un&#x017F;chuld, trockner Ern&#x017F;t und plötzliche An-<lb/>
wandlung ausgela&#x017F;&#x017F;ener Munterkeit wech&#x017F;eln in einem<lb/>
durchaus unge&#x017F;uchten und höch&#x017F;t anmuthigen Kontra&#x017F;te<lb/>
mit einander ab und machen das bezaubernd&#x017F;te Far-<lb/>
ben&#x017F;piel. Das Unbegreifliche die&#x017F;er Kompo&#x017F;ition und<lb/>
die&#x017F;er Uebergänge i&#x017F;t auch bloß &#x017F;cheinbar; für mich<lb/>
hat das Alles bereits die nothwendige Ordnung einer<lb/>
&#x017F;chönen Harmonie angenommen. Er&#x017F;taunlich i&#x017F;t zu-<lb/>
weilen die Behendigkeit ihrer äußern Bewegungen und<lb/>
herrlich das Lächeln der Ueberlegenheit, wenn es ihr<lb/>
mitunter gefällt, die Gefahr gleich&#x017F;am zu necken. Mit<lb/>
Zittern &#x017F;eh ich zu, wie &#x017F;ie einen jähen Abhang hin-<lb/>
unter rennt und &#x017F;o von Baum zu Baum &#x017F;türzend &#x017F;ich<lb/>
nur einen kurzen Anhalt gibt; oder wenn &#x017F;ie &#x017F;ich auf<lb/>
den Rücken eines am Boden ruhenden Pferdes wirft<lb/>
und es durch Schläge zum plötzlichen Auf&#x017F;tehen zwingt.<lb/>
Unter den Uebrigen bildet &#x017F;ie inde&#x017F;&#x017F;en eine ziemlich<lb/>
i&#x017F;olirte Figur; man läßt &#x017F;ie auch gehen, weil man<lb/>
ihre Art &#x017F;chon kennt, und doch hängen Alle mit einer<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;en Vorliebe an ihr. Be&#x017F;onders &#x017F;cheint der Sohn<lb/>
des Anführers, ein ge&#x017F;cheidter männlich &#x017F;chöner Kerl,<lb/>
größere Aufmerk&#x017F;amkeit für &#x017F;ie zu haben, als ich leiden<lb/>
mag, wobei mich zwar eines Theils ihre Kälte freut,<lb/>
auf der andern Seite aber &#x017F;ein heimlicher Verdruß doch<lb/>
wieder herzlich rührt. Mich mag &#x017F;ie gerne um &#x017F;ich dul-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[306/0314] auch nur durch das Intereſſe an der ungewöhnlichen Miſchung dieſes Charakters. Aeußerungen eines feinen Verſtandes und einer kindiſchen Unſchuld, trockner Ernſt und plötzliche An- wandlung ausgelaſſener Munterkeit wechſeln in einem durchaus ungeſuchten und höchſt anmuthigen Kontraſte mit einander ab und machen das bezauberndſte Far- benſpiel. Das Unbegreifliche dieſer Kompoſition und dieſer Uebergänge iſt auch bloß ſcheinbar; für mich hat das Alles bereits die nothwendige Ordnung einer ſchönen Harmonie angenommen. Erſtaunlich iſt zu- weilen die Behendigkeit ihrer äußern Bewegungen und herrlich das Lächeln der Ueberlegenheit, wenn es ihr mitunter gefällt, die Gefahr gleichſam zu necken. Mit Zittern ſeh ich zu, wie ſie einen jähen Abhang hin- unter rennt und ſo von Baum zu Baum ſtürzend ſich nur einen kurzen Anhalt gibt; oder wenn ſie ſich auf den Rücken eines am Boden ruhenden Pferdes wirft und es durch Schläge zum plötzlichen Aufſtehen zwingt. Unter den Uebrigen bildet ſie indeſſen eine ziemlich iſolirte Figur; man läßt ſie auch gehen, weil man ihre Art ſchon kennt, und doch hängen Alle mit einer gewiſſen Vorliebe an ihr. Beſonders ſcheint der Sohn des Anführers, ein geſcheidter männlich ſchöner Kerl, größere Aufmerkſamkeit für ſie zu haben, als ich leiden mag, wobei mich zwar eines Theils ihre Kälte freut, auf der andern Seite aber ſein heimlicher Verdruß doch wieder herzlich rührt. Mich mag ſie gerne um ſich dul-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/314
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/314>, abgerufen am 03.05.2024.