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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

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unter den Deutschen.
edelste Muth daran haben kann. Eine einförmige Uebung
und ein einziger allgemeiner Charakter bezeichnet das Heer;
und Homer selbst würde nicht im Stande seyn, drey Personen
daraus in ihrem eignen Charakter handeln oder streiten zu
lassen.

Eine solche Verfassung muß nothwendig alle individuelle
Mannigfaltigkeit und Vollkommenheit, welche doch einzig und
allein eine Nation groß machen kann, unterdrücken. Sie
muß, wie sie auch würklich thut, wenig jugendliche Uebung
erfordern, nicht den geringsten Wetteifer reizen und die Fuß-
maaße zur Berechnung der Talente gebrauchen. Aber auf
diesem Wege kann unsre Nation nie zu der Größe gelangen,
welche die Natur für sie allein zu bestimmen schien, als sie
den allmählig ausartenden Bürgern der Griechischen und Rö-
mischen Städte den Meißel und Pinsel in die Hand gab.

Ich will jezt der Turnire nicht gedenken, welche als
nothwendige Uebungen mit dem ehmaligen Faustrechte ver-
knüpft waren, ohnerachtet ihre Einrichtung den Geist von mehr
als einen Lycurg zeigt; und alles dasjenige weit hinter sich
zurück läßt, was die Spartaner zur Bildung ihrer Jugend
und ihrer Krieger eingeführet hatten; ich will die Vortheile
nicht ausführen, welche eine wahre Tapferkeit, ein beständi-
ger Wetteifer, und ein hohes Gefühl der Ehre, das wir jezt
zu unser Schande abentheuerlich finden, nachdem wir uns
auch selbst in unser Einbildung nicht mehr zu den ritterlichen
Sitten der alten Zeiten hinaufschwingen können, auf eine
ganze Nation verbreiten mußten. Ich will nichts davon er-
wehnen, wie gemein die großen Thaten seyn mußten, da die
Dichter das Reich der Ungeheuer und Drachen als die unterste
Stuffe betrachteten, worauf sie ihren idealischen Helden Proben
ihres Muths ablegen liessen. Nein, meine Absicht ist blos
die Vollkommenheit des Faustrechts, als eines ehmaligen

Krie-

unter den Deutſchen.
edelſte Muth daran haben kann. Eine einfoͤrmige Uebung
und ein einziger allgemeiner Charakter bezeichnet das Heer;
und Homer ſelbſt wuͤrde nicht im Stande ſeyn, drey Perſonen
daraus in ihrem eignen Charakter handeln oder ſtreiten zu
laſſen.

Eine ſolche Verfaſſung muß nothwendig alle individuelle
Mannigfaltigkeit und Vollkommenheit, welche doch einzig und
allein eine Nation groß machen kann, unterdruͤcken. Sie
muß, wie ſie auch wuͤrklich thut, wenig jugendliche Uebung
erfordern, nicht den geringſten Wetteifer reizen und die Fuß-
maaße zur Berechnung der Talente gebrauchen. Aber auf
dieſem Wege kann unſre Nation nie zu der Groͤße gelangen,
welche die Natur fuͤr ſie allein zu beſtimmen ſchien, als ſie
den allmaͤhlig ausartenden Buͤrgern der Griechiſchen und Roͤ-
miſchen Staͤdte den Meißel und Pinſel in die Hand gab.

Ich will jezt der Turnire nicht gedenken, welche als
nothwendige Uebungen mit dem ehmaligen Fauſtrechte ver-
knuͤpft waren, ohnerachtet ihre Einrichtung den Geiſt von mehr
als einen Lycurg zeigt; und alles dasjenige weit hinter ſich
zuruͤck laͤßt, was die Spartaner zur Bildung ihrer Jugend
und ihrer Krieger eingefuͤhret hatten; ich will die Vortheile
nicht ausfuͤhren, welche eine wahre Tapferkeit, ein beſtaͤndi-
ger Wetteifer, und ein hohes Gefuͤhl der Ehre, das wir jezt
zu unſer Schande abentheuerlich finden, nachdem wir uns
auch ſelbſt in unſer Einbildung nicht mehr zu den ritterlichen
Sitten der alten Zeiten hinaufſchwingen koͤnnen, auf eine
ganze Nation verbreiten mußten. Ich will nichts davon er-
wehnen, wie gemein die großen Thaten ſeyn mußten, da die
Dichter das Reich der Ungeheuer und Drachen als die unterſte
Stuffe betrachteten, worauf ſie ihren idealiſchen Helden Proben
ihres Muths ablegen lieſſen. Nein, meine Abſicht iſt blos
die Vollkommenheit des Fauſtrechts, als eines ehmaligen

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[219/0337] unter den Deutſchen. edelſte Muth daran haben kann. Eine einfoͤrmige Uebung und ein einziger allgemeiner Charakter bezeichnet das Heer; und Homer ſelbſt wuͤrde nicht im Stande ſeyn, drey Perſonen daraus in ihrem eignen Charakter handeln oder ſtreiten zu laſſen. Eine ſolche Verfaſſung muß nothwendig alle individuelle Mannigfaltigkeit und Vollkommenheit, welche doch einzig und allein eine Nation groß machen kann, unterdruͤcken. Sie muß, wie ſie auch wuͤrklich thut, wenig jugendliche Uebung erfordern, nicht den geringſten Wetteifer reizen und die Fuß- maaße zur Berechnung der Talente gebrauchen. Aber auf dieſem Wege kann unſre Nation nie zu der Groͤße gelangen, welche die Natur fuͤr ſie allein zu beſtimmen ſchien, als ſie den allmaͤhlig ausartenden Buͤrgern der Griechiſchen und Roͤ- miſchen Staͤdte den Meißel und Pinſel in die Hand gab. Ich will jezt der Turnire nicht gedenken, welche als nothwendige Uebungen mit dem ehmaligen Fauſtrechte ver- knuͤpft waren, ohnerachtet ihre Einrichtung den Geiſt von mehr als einen Lycurg zeigt; und alles dasjenige weit hinter ſich zuruͤck laͤßt, was die Spartaner zur Bildung ihrer Jugend und ihrer Krieger eingefuͤhret hatten; ich will die Vortheile nicht ausfuͤhren, welche eine wahre Tapferkeit, ein beſtaͤndi- ger Wetteifer, und ein hohes Gefuͤhl der Ehre, das wir jezt zu unſer Schande abentheuerlich finden, nachdem wir uns auch ſelbſt in unſer Einbildung nicht mehr zu den ritterlichen Sitten der alten Zeiten hinaufſchwingen koͤnnen, auf eine ganze Nation verbreiten mußten. Ich will nichts davon er- wehnen, wie gemein die großen Thaten ſeyn mußten, da die Dichter das Reich der Ungeheuer und Drachen als die unterſte Stuffe betrachteten, worauf ſie ihren idealiſchen Helden Proben ihres Muths ablegen lieſſen. Nein, meine Abſicht iſt blos die Vollkommenheit des Fauſtrechts, als eines ehmaligen Krie-

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/337>, abgerufen am 08.05.2024.