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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

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Etwas zur Verbesserung
spinnen, und in der Zahl der Armen bekannt zu seyn, wird
den fleißigen und empfindlichen Mann hinlänglich abhalten,
seine Hand sinken zu lassen. Hingegen ist eben dieser Schimpf
nicht unschwer für diejenige zu tragen, die sonst auf den Gassen
betteln, und von Obrigkeitswegen in die zweyte Klasse gesetzt
sind. Die Anstalt wird den Betrug verhüten, und bey ei-
nem Lichte und einer Wärme können mehrere Personen zu-
sammen sitzen, mithin vieles ersparen. Dabey hat jeder
Arme seine Freyheit zu gehen und zu kommen, und wenn er
des Tages eine bessere Arbeit findet, solcher nachzugehen.

So bald ist aber nicht die öffentliche Anstalt gemacht:
so muß keiner sich unterstehen zu betteln; oder er muß sich
gefallen lassen in die dritte Klasse gesetzt ins Werkhaus einge-
sperret und zur Arbeit gezwungen zu werden. Denn nun ist
die Entschuldigung, daß er keine Gelegenheit habe sein Brod
zu verdienen, gehoben, und folglich die Obrigkeit berechtiget,
das letzte Mittel zu gebrauchen.

Die Armengelder in hiesiger Stadt, welche von Obrig-
keitswegen gesammlet, und vor den Thüren gegeben werden,
belaufen sich des Jahrs zum allerwenigsten auf 12000 Thaler.
Davon sollen 40 Hausarme einen jährlichen Zuschuß von 50
Thaler empfangen: so bleiben noch 10000 Tahler übrig.
Wenn diese auf obige Art verwendet werden: so können 150
Arme der zweyten Klasse, jeder das Jahr 100 Thaler ver-
dienen; und so viel Arme finden sich hoffentlich nicht.

Man wird einwenden: "Die Anstalt sey ganz gut,
"wenn man jährlich mit Gewißheit auf eine sichere Summe
"rechnen könnte." Allein warum kann man das nicht?
In der Stadt London sind die Almosen von jedem Hause
fixirt und zum Etat gebracht. In Deutschland, oder doch
wenigstens in einem großen Theil desselben, hat man die un-
beständigsten Gefälle zu fixiren gewußt. Warum solte dieses

nicht

Etwas zur Verbeſſerung
ſpinnen, und in der Zahl der Armen bekannt zu ſeyn, wird
den fleißigen und empfindlichen Mann hinlaͤnglich abhalten,
ſeine Hand ſinken zu laſſen. Hingegen iſt eben dieſer Schimpf
nicht unſchwer fuͤr diejenige zu tragen, die ſonſt auf den Gaſſen
betteln, und von Obrigkeitswegen in die zweyte Klaſſe geſetzt
ſind. Die Anſtalt wird den Betrug verhuͤten, und bey ei-
nem Lichte und einer Waͤrme koͤnnen mehrere Perſonen zu-
ſammen ſitzen, mithin vieles erſparen. Dabey hat jeder
Arme ſeine Freyheit zu gehen und zu kommen, und wenn er
des Tages eine beſſere Arbeit findet, ſolcher nachzugehen.

So bald iſt aber nicht die oͤffentliche Anſtalt gemacht:
ſo muß keiner ſich unterſtehen zu betteln; oder er muß ſich
gefallen laſſen in die dritte Klaſſe geſetzt ins Werkhaus einge-
ſperret und zur Arbeit gezwungen zu werden. Denn nun iſt
die Entſchuldigung, daß er keine Gelegenheit habe ſein Brod
zu verdienen, gehoben, und folglich die Obrigkeit berechtiget,
das letzte Mittel zu gebrauchen.

Die Armengelder in hieſiger Stadt, welche von Obrig-
keitswegen geſammlet, und vor den Thuͤren gegeben werden,
belaufen ſich des Jahrs zum allerwenigſten auf 12000 Thaler.
Davon ſollen 40 Hausarme einen jaͤhrlichen Zuſchuß von 50
Thaler empfangen: ſo bleiben noch 10000 Tahler uͤbrig.
Wenn dieſe auf obige Art verwendet werden: ſo koͤnnen 150
Arme der zweyten Klaſſe, jeder das Jahr 100 Thaler ver-
dienen; und ſo viel Arme finden ſich hoffentlich nicht.

Man wird einwenden: „Die Anſtalt ſey ganz gut,
〟wenn man jaͤhrlich mit Gewißheit auf eine ſichere Summe
〟rechnen koͤnnte.„ Allein warum kann man das nicht?
In der Stadt London ſind die Almoſen von jedem Hauſe
fixirt und zum Etat gebracht. In Deutſchland, oder doch
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beſtaͤndigſten Gefaͤlle zu fixiren gewußt. Warum ſolte dieſes

nicht
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[78/0096] Etwas zur Verbeſſerung ſpinnen, und in der Zahl der Armen bekannt zu ſeyn, wird den fleißigen und empfindlichen Mann hinlaͤnglich abhalten, ſeine Hand ſinken zu laſſen. Hingegen iſt eben dieſer Schimpf nicht unſchwer fuͤr diejenige zu tragen, die ſonſt auf den Gaſſen betteln, und von Obrigkeitswegen in die zweyte Klaſſe geſetzt ſind. Die Anſtalt wird den Betrug verhuͤten, und bey ei- nem Lichte und einer Waͤrme koͤnnen mehrere Perſonen zu- ſammen ſitzen, mithin vieles erſparen. Dabey hat jeder Arme ſeine Freyheit zu gehen und zu kommen, und wenn er des Tages eine beſſere Arbeit findet, ſolcher nachzugehen. So bald iſt aber nicht die oͤffentliche Anſtalt gemacht: ſo muß keiner ſich unterſtehen zu betteln; oder er muß ſich gefallen laſſen in die dritte Klaſſe geſetzt ins Werkhaus einge- ſperret und zur Arbeit gezwungen zu werden. Denn nun iſt die Entſchuldigung, daß er keine Gelegenheit habe ſein Brod zu verdienen, gehoben, und folglich die Obrigkeit berechtiget, das letzte Mittel zu gebrauchen. Die Armengelder in hieſiger Stadt, welche von Obrig- keitswegen geſammlet, und vor den Thuͤren gegeben werden, belaufen ſich des Jahrs zum allerwenigſten auf 12000 Thaler. Davon ſollen 40 Hausarme einen jaͤhrlichen Zuſchuß von 50 Thaler empfangen: ſo bleiben noch 10000 Tahler uͤbrig. Wenn dieſe auf obige Art verwendet werden: ſo koͤnnen 150 Arme der zweyten Klaſſe, jeder das Jahr 100 Thaler ver- dienen; und ſo viel Arme finden ſich hoffentlich nicht. Man wird einwenden: „Die Anſtalt ſey ganz gut, 〟wenn man jaͤhrlich mit Gewißheit auf eine ſichere Summe 〟rechnen koͤnnte.„ Allein warum kann man das nicht? In der Stadt London ſind die Almoſen von jedem Hauſe fixirt und zum Etat gebracht. In Deutſchland, oder doch wenigſtens in einem großen Theil deſſelben, hat man die un- beſtaͤndigſten Gefaͤlle zu fixiren gewußt. Warum ſolte dieſes nicht

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/96>, abgerufen am 26.04.2024.