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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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auf eine gewisse seyrliche Art und mittelst einer vorgeschrie-
benen Formel geschehen waren. Die erstern hielten sie für
dasjenige was sie waren, nemlich für Complimente, und
wenn einer darum klagen wollte: so wiesen sie ihn gleich von
der Gerichtsschwelle weg. Nur die letztern waren unter
ihnen bedachtsame und kräftige Versprechungen. Die alten
Deutschen waren gleicher Meinung, obwohl auf eine andre
Art. Sie hielten nemlich alle Zusagen, welche des Nach-
mittags oder auch vielleicht wohl Vormittages über geschehen,
für unkräftig, wenn sie nicht des andern Tages noch einmal
wiederholet würden; a) und der Narr, der zuerst das Sprich-
wort; ein Mann ein Mann, ein Wort ein Wort, so aus-
gelegt hat, daß ein ehrlicher Mann sein erstes Wort nicht
wiederrufen könne, hat mehr Unglück angestiftet, als man
glauben sollte. Denn wie viele kostbare Processe sind nicht
seitdem über bloße Versprechungen, die in einem unüberlegten
Augenblick, in der Hitze einer Leidenschaft, oder aus Höflich-
keit geschehen, geführet; wie viel falsche Eyde sind nicht dar-
über geschworen, und wie mancher ehrlicher Kerl ist darüber
nicht an eine schlechte Frau gefesselt worden?

Warum haben wir neuern nun aber jene ebne Bahn ver-
lassen? warum halten wir jedes Versprechen sogleich für
bündig? und was hat uns in aller Welt bewogen zu glauben,
das uns eine Handlung weniger gereuen könne als unsern
Vorfahren? In der That, ich weiß keine Ursache anzugeben.
Die einzige so mir beyfällt, ist der Begriff einer Romanti-
schen Ehre, der uns noch aus den Ritterzeiten übrig ist, der
sich aber zu bürgerlichen Handlungen gar nicht schickt. Der

ge-
a) Detecta et nuda omnium mens postera die revoca-
tur et salva utriusque temporis ratio est. tacit.
de M. G. c. 22.
Q 5

wieder einfuͤhren.
auf eine gewiſſe ſeyrliche Art und mittelſt einer vorgeſchrie-
benen Formel geſchehen waren. Die erſtern hielten ſie fuͤr
dasjenige was ſie waren, nemlich fuͤr Complimente, und
wenn einer darum klagen wollte: ſo wieſen ſie ihn gleich von
der Gerichtsſchwelle weg. Nur die letztern waren unter
ihnen bedachtſame und kraͤftige Verſprechungen. Die alten
Deutſchen waren gleicher Meinung, obwohl auf eine andre
Art. Sie hielten nemlich alle Zuſagen, welche des Nach-
mittags oder auch vielleicht wohl Vormittages uͤber geſchehen,
fuͤr unkraͤftig, wenn ſie nicht des andern Tages noch einmal
wiederholet wuͤrden; a) und der Narr, der zuerſt das Sprich-
wort; ein Mann ein Mann, ein Wort ein Wort, ſo aus-
gelegt hat, daß ein ehrlicher Mann ſein erſtes Wort nicht
wiederrufen koͤnne, hat mehr Ungluͤck angeſtiftet, als man
glauben ſollte. Denn wie viele koſtbare Proceſſe ſind nicht
ſeitdem uͤber bloße Verſprechungen, die in einem unuͤberlegten
Augenblick, in der Hitze einer Leidenſchaft, oder aus Hoͤflich-
keit geſchehen, gefuͤhret; wie viel falſche Eyde ſind nicht dar-
uͤber geſchworen, und wie mancher ehrlicher Kerl iſt daruͤber
nicht an eine ſchlechte Frau gefeſſelt worden?

Warum haben wir neuern nun aber jene ebne Bahn ver-
laſſen? warum halten wir jedes Verſprechen ſogleich fuͤr
buͤndig? und was hat uns in aller Welt bewogen zu glauben,
das uns eine Handlung weniger gereuen koͤnne als unſern
Vorfahren? In der That, ich weiß keine Urſache anzugeben.
Die einzige ſo mir beyfaͤllt, iſt der Begriff einer Romanti-
ſchen Ehre, der uns noch aus den Ritterzeiten uͤbrig iſt, der
ſich aber zu buͤrgerlichen Handlungen gar nicht ſchickt. Der

ge-
a) Detecta et nuda omnium mens poſtera die revoca-
tur et ſalva utriusque temporis ratio eſt. tacit.
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Q 5
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[249/0267] wieder einfuͤhren. auf eine gewiſſe ſeyrliche Art und mittelſt einer vorgeſchrie- benen Formel geſchehen waren. Die erſtern hielten ſie fuͤr dasjenige was ſie waren, nemlich fuͤr Complimente, und wenn einer darum klagen wollte: ſo wieſen ſie ihn gleich von der Gerichtsſchwelle weg. Nur die letztern waren unter ihnen bedachtſame und kraͤftige Verſprechungen. Die alten Deutſchen waren gleicher Meinung, obwohl auf eine andre Art. Sie hielten nemlich alle Zuſagen, welche des Nach- mittags oder auch vielleicht wohl Vormittages uͤber geſchehen, fuͤr unkraͤftig, wenn ſie nicht des andern Tages noch einmal wiederholet wuͤrden; a) und der Narr, der zuerſt das Sprich- wort; ein Mann ein Mann, ein Wort ein Wort, ſo aus- gelegt hat, daß ein ehrlicher Mann ſein erſtes Wort nicht wiederrufen koͤnne, hat mehr Ungluͤck angeſtiftet, als man glauben ſollte. Denn wie viele koſtbare Proceſſe ſind nicht ſeitdem uͤber bloße Verſprechungen, die in einem unuͤberlegten Augenblick, in der Hitze einer Leidenſchaft, oder aus Hoͤflich- keit geſchehen, gefuͤhret; wie viel falſche Eyde ſind nicht dar- uͤber geſchworen, und wie mancher ehrlicher Kerl iſt daruͤber nicht an eine ſchlechte Frau gefeſſelt worden? Warum haben wir neuern nun aber jene ebne Bahn ver- laſſen? warum halten wir jedes Verſprechen ſogleich fuͤr buͤndig? und was hat uns in aller Welt bewogen zu glauben, das uns eine Handlung weniger gereuen koͤnne als unſern Vorfahren? In der That, ich weiß keine Urſache anzugeben. Die einzige ſo mir beyfaͤllt, iſt der Begriff einer Romanti- ſchen Ehre, der uns noch aus den Ritterzeiten uͤbrig iſt, der ſich aber zu buͤrgerlichen Handlungen gar nicht ſchickt. Der ge- a) Detecta et nuda omnium mens poſtera die revoca- tur et ſalva utriusque temporis ratio eſt. tacit. de M. G. c. 22. Q 5

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/267>, abgerufen am 27.04.2024.