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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

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Also sollte man die Testamente
vor das Bette, wenn er sein Gut übergeben oder ein Te-
stament machen wollte; der Geistliche aber, welcher seine
Pfeünde übergeben kann und will, muß noch jetzt seine
Uebergabe zwanzig Tage überleben; man konnte von die-
sem weder Proberitt noch Probehieb fordern. Alle schei-
nen darinn übereingestimmt zu haben, daß die Verord-
nungen auf dem Siechbette vieler Gefährde unterworfen
seyn, und daß der Augenblick, da einer sich zum Ueber-
gang in die Ewigkeit bereitet, eben so wenig eine ruhige
und bequeme Zeit sey, sein Haus zu bestellen, als der
Augenblick, worinn ein General seine Schlachtordnung
macht, die Zeit ist, den Küchenzettel zu verfertigen. Und
wie oft lernen wir aus den traurigsten Erfahrungen, daß
die Menschen auf dem Siechbette, im höchsten Grade
schwach und ungerecht handeln, und die Entschließungen
plötzlich verleugnen, die sie in gesunden Tagen gefasset
hatten?

Emilie hatte von einer alten Tante, ihrer Gevat-
terinn, ein ziemliches Vermögen geerbt, und damit früh
einen Mann angelockt, der ihrer gar nicht werth war.
Jhre Mutter und Schwestern hatten sie mehrmals vor
ihm gewarnet, und ihn ihr als einen heimlich bösen Men-
schen beschrieben, aber ihr gutes Herz, was einmal Ver-
bindungen angenommen hatte, hielt sich auf ewig und
auch zum Unglück verbunden. Das erste Jahr ihrer Ehe
gieng so hin ohne daß ihr einiges Leid wiederfuhr; sie
ward schwanger und froh sich ihren Mann durch ein neues
Band zu verbinden. Kaum aber hatte sie ihren ersten
Sohn glücklich gebohren, und ihren Eheherrn damit ge-
gen den Rückfall ihres Vermögens gesichert: so legte die-
ser die Maske ab, und überließ sich einer Person, die
ihn lange vorher gefesselt gehabt hatte. Umsonst suchte
sie ihn durch alle Arten von Gefälligkeiten wieder an sich

zu

Alſo ſollte man die Teſtamente
vor das Bette, wenn er ſein Gut uͤbergeben oder ein Te-
ſtament machen wollte; der Geiſtliche aber, welcher ſeine
Pfeuͤnde uͤbergeben kann und will, muß noch jetzt ſeine
Uebergabe zwanzig Tage uͤberleben; man konnte von die-
ſem weder Proberitt noch Probehieb fordern. Alle ſchei-
nen darinn uͤbereingeſtimmt zu haben, daß die Verord-
nungen auf dem Siechbette vieler Gefaͤhrde unterworfen
ſeyn, und daß der Augenblick, da einer ſich zum Ueber-
gang in die Ewigkeit bereitet, eben ſo wenig eine ruhige
und bequeme Zeit ſey, ſein Haus zu beſtellen, als der
Augenblick, worinn ein General ſeine Schlachtordnung
macht, die Zeit iſt, den Kuͤchenzettel zu verfertigen. Und
wie oft lernen wir aus den traurigſten Erfahrungen, daß
die Menſchen auf dem Siechbette, im hoͤchſten Grade
ſchwach und ungerecht handeln, und die Entſchließungen
ploͤtzlich verleugnen, die ſie in geſunden Tagen gefaſſet
hatten?

Emilie hatte von einer alten Tante, ihrer Gevat-
terinn, ein ziemliches Vermoͤgen geerbt, und damit fruͤh
einen Mann angelockt, der ihrer gar nicht werth war.
Jhre Mutter und Schweſtern hatten ſie mehrmals vor
ihm gewarnet, und ihn ihr als einen heimlich boͤſen Men-
ſchen beſchrieben, aber ihr gutes Herz, was einmal Ver-
bindungen angenommen hatte, hielt ſich auf ewig und
auch zum Ungluͤck verbunden. Das erſte Jahr ihrer Ehe
gieng ſo hin ohne daß ihr einiges Leid wiederfuhr; ſie
ward ſchwanger und froh ſich ihren Mann durch ein neues
Band zu verbinden. Kaum aber hatte ſie ihren erſten
Sohn gluͤcklich gebohren, und ihren Eheherrn damit ge-
gen den Ruͤckfall ihres Vermoͤgens geſichert: ſo legte die-
ſer die Maske ab, und uͤberließ ſich einer Perſon, die
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ſie ihn durch alle Arten von Gefaͤlligkeiten wieder an ſich

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[110/0122] Alſo ſollte man die Teſtamente vor das Bette, wenn er ſein Gut uͤbergeben oder ein Te- ſtament machen wollte; der Geiſtliche aber, welcher ſeine Pfeuͤnde uͤbergeben kann und will, muß noch jetzt ſeine Uebergabe zwanzig Tage uͤberleben; man konnte von die- ſem weder Proberitt noch Probehieb fordern. Alle ſchei- nen darinn uͤbereingeſtimmt zu haben, daß die Verord- nungen auf dem Siechbette vieler Gefaͤhrde unterworfen ſeyn, und daß der Augenblick, da einer ſich zum Ueber- gang in die Ewigkeit bereitet, eben ſo wenig eine ruhige und bequeme Zeit ſey, ſein Haus zu beſtellen, als der Augenblick, worinn ein General ſeine Schlachtordnung macht, die Zeit iſt, den Kuͤchenzettel zu verfertigen. Und wie oft lernen wir aus den traurigſten Erfahrungen, daß die Menſchen auf dem Siechbette, im hoͤchſten Grade ſchwach und ungerecht handeln, und die Entſchließungen ploͤtzlich verleugnen, die ſie in geſunden Tagen gefaſſet hatten? Emilie hatte von einer alten Tante, ihrer Gevat- terinn, ein ziemliches Vermoͤgen geerbt, und damit fruͤh einen Mann angelockt, der ihrer gar nicht werth war. Jhre Mutter und Schweſtern hatten ſie mehrmals vor ihm gewarnet, und ihn ihr als einen heimlich boͤſen Men- ſchen beſchrieben, aber ihr gutes Herz, was einmal Ver- bindungen angenommen hatte, hielt ſich auf ewig und auch zum Ungluͤck verbunden. Das erſte Jahr ihrer Ehe gieng ſo hin ohne daß ihr einiges Leid wiederfuhr; ſie ward ſchwanger und froh ſich ihren Mann durch ein neues Band zu verbinden. Kaum aber hatte ſie ihren erſten Sohn gluͤcklich gebohren, und ihren Eheherrn damit ge- gen den Ruͤckfall ihres Vermoͤgens geſichert: ſo legte die- ſer die Maske ab, und uͤberließ ſich einer Perſon, die ihn lange vorher gefeſſelt gehabt hatte. Umſonſt ſuchte ſie ihn durch alle Arten von Gefaͤlligkeiten wieder an ſich zu

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/122>, abgerufen am 26.04.2024.