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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

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Die Bekehrung im Alter.
ein ander das Wort, ist nur eine Abwesenheit der vori-
gen Bilder, welche sich von selbst verloren haben; die
geistlose Leere schnappet nur aus Noth, und damit das
Kinderbüchsgen, welches sich bey den Menschen im Alter
wenn er von seiner Einbildungskraft verlassen wird, jedes
mal hervorthut, nicht wieder ausdehnen möge, nach
frommen Bildern, so wie die Adern sich mit Winde er-
füllen, wenn sich das Blut verlieret. Daher kömmt es,
daß alte Leute gar oft leichtgläubig und abergläubisch wer-
den, und in fromme Ausschweifungen verfallen. Denn
ein jedes fürchterliche Bild erfüllet sie, weil in ihrem See-
lenraum nichts ist, was noch einigen Widerstand thun
könnte. Bey einem Menschen fügte Arist hinzu, der die
große Kraft seiner Leidenschaften in der Wollust abgenutzt
hat, hat endlich die Frömmigkeit außer dem Mangel des
Widerstandes, noch den Werth der Neuigkeit. Eine neue
Vergnügungsart, sie sey gut oder schlimm, hat allemal
ihre Reizungen, und das allermatteste Herz empfindet
dabey noch etliche angenehme Aufwallungen oder zärtliche
Blähungen, die ein Zeichen der Frömmigkeit sind, und
diese frommen Aufwallungen werden oft noch von dem
Vergnügen der Reue unterhalten. Auch werden viele
Sünden durch Verdruß und Langeweile geschwächet, und
durch die Veränderungsbegierde erzeuget; dahero ist ihr
Andenken noch immer und wenigstens wider Willen an-
genehm, weil unser Herz mehr seine Fehler bereuen will,
als würklich bereuet. Solche Personen opfern Gott nur
denjenigen Eckel auf, welchen sie verbannen wollen, es
koste was es wolle. Aus dieser Ursache verachtet Evre-
mont
einen gottlosen Alten, als einen ungeschickten Mann,
der sein Handwerk nicht verstehet, indem er seinem Ver-
gnügen nachhängt, so lange es lasterhaft ist, und es ver-
nachläßiget da es von selbst ansängt tugendhaft zu wer-

den.

Die Bekehrung im Alter.
ein ander das Wort, iſt nur eine Abweſenheit der vori-
gen Bilder, welche ſich von ſelbſt verloren haben; die
geiſtloſe Leere ſchnappet nur aus Noth, und damit das
Kinderbuͤchſgen, welches ſich bey den Menſchen im Alter
wenn er von ſeiner Einbildungskraft verlaſſen wird, jedes
mal hervorthut, nicht wieder ausdehnen moͤge, nach
frommen Bildern, ſo wie die Adern ſich mit Winde er-
fuͤllen, wenn ſich das Blut verlieret. Daher koͤmmt es,
daß alte Leute gar oft leichtglaͤubig und aberglaͤubiſch wer-
den, und in fromme Ausſchweifungen verfallen. Denn
ein jedes fuͤrchterliche Bild erfuͤllet ſie, weil in ihrem See-
lenraum nichts iſt, was noch einigen Widerſtand thun
koͤnnte. Bey einem Menſchen fuͤgte Ariſt hinzu, der die
große Kraft ſeiner Leidenſchaften in der Wolluſt abgenutzt
hat, hat endlich die Froͤmmigkeit außer dem Mangel des
Widerſtandes, noch den Werth der Neuigkeit. Eine neue
Vergnuͤgungsart, ſie ſey gut oder ſchlimm, hat allemal
ihre Reizungen, und das allermatteſte Herz empfindet
dabey noch etliche angenehme Aufwallungen oder zaͤrtliche
Blaͤhungen, die ein Zeichen der Froͤmmigkeit ſind, und
dieſe frommen Aufwallungen werden oft noch von dem
Vergnuͤgen der Reue unterhalten. Auch werden viele
Suͤnden durch Verdruß und Langeweile geſchwaͤchet, und
durch die Veraͤnderungsbegierde erzeuget; dahero iſt ihr
Andenken noch immer und wenigſtens wider Willen an-
genehm, weil unſer Herz mehr ſeine Fehler bereuen will,
als wuͤrklich bereuet. Solche Perſonen opfern Gott nur
denjenigen Eckel auf, welchen ſie verbannen wollen, es
koſte was es wolle. Aus dieſer Urſache verachtet Evre-
mont
einen gottloſen Alten, als einen ungeſchickten Mann,
der ſein Handwerk nicht verſtehet, indem er ſeinem Ver-
gnuͤgen nachhaͤngt, ſo lange es laſterhaft iſt, und es ver-
nachlaͤßiget da es von ſelbſt anſaͤngt tugendhaft zu wer-

den.
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[191/0203] Die Bekehrung im Alter. ein ander das Wort, iſt nur eine Abweſenheit der vori- gen Bilder, welche ſich von ſelbſt verloren haben; die geiſtloſe Leere ſchnappet nur aus Noth, und damit das Kinderbuͤchſgen, welches ſich bey den Menſchen im Alter wenn er von ſeiner Einbildungskraft verlaſſen wird, jedes mal hervorthut, nicht wieder ausdehnen moͤge, nach frommen Bildern, ſo wie die Adern ſich mit Winde er- fuͤllen, wenn ſich das Blut verlieret. Daher koͤmmt es, daß alte Leute gar oft leichtglaͤubig und aberglaͤubiſch wer- den, und in fromme Ausſchweifungen verfallen. Denn ein jedes fuͤrchterliche Bild erfuͤllet ſie, weil in ihrem See- lenraum nichts iſt, was noch einigen Widerſtand thun koͤnnte. Bey einem Menſchen fuͤgte Ariſt hinzu, der die große Kraft ſeiner Leidenſchaften in der Wolluſt abgenutzt hat, hat endlich die Froͤmmigkeit außer dem Mangel des Widerſtandes, noch den Werth der Neuigkeit. Eine neue Vergnuͤgungsart, ſie ſey gut oder ſchlimm, hat allemal ihre Reizungen, und das allermatteſte Herz empfindet dabey noch etliche angenehme Aufwallungen oder zaͤrtliche Blaͤhungen, die ein Zeichen der Froͤmmigkeit ſind, und dieſe frommen Aufwallungen werden oft noch von dem Vergnuͤgen der Reue unterhalten. Auch werden viele Suͤnden durch Verdruß und Langeweile geſchwaͤchet, und durch die Veraͤnderungsbegierde erzeuget; dahero iſt ihr Andenken noch immer und wenigſtens wider Willen an- genehm, weil unſer Herz mehr ſeine Fehler bereuen will, als wuͤrklich bereuet. Solche Perſonen opfern Gott nur denjenigen Eckel auf, welchen ſie verbannen wollen, es koſte was es wolle. Aus dieſer Urſache verachtet Evre- mont einen gottloſen Alten, als einen ungeſchickten Mann, der ſein Handwerk nicht verſtehet, indem er ſeinem Ver- gnuͤgen nachhaͤngt, ſo lange es laſterhaft iſt, und es ver- nachlaͤßiget da es von ſelbſt anſaͤngt tugendhaft zu wer- den.

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/203>, abgerufen am 29.04.2024.