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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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auch wesentlich abweichend entschieden haben würde, wenn er
in der Lage gewesen wäre, sich auszusprechen. Noch weniger
bedarf es eines Beweises, daß der Wille eines dem Staate
ganz fremden Gesetzgebers, und wäre die Aehnlichkeit der Fälle
noch so schlagend, kein Recht im diesseitigen Staate schafft.
Von dem Willen einer fremden Staatsgewalt läßt sich kein lo-
gisch nothwendiger Schluß auf die Ansichten und auf den Willen
des einheimischen Gesetzgebers machen. Beispiele fremder Staats-
einrichtungen mögen zum Nachdenken und zur Nachahmung er-
muntern, allein eine zwingende Gewalt haben sie nicht 2).

4. Aus dem philosophischen Staatsrechte. Aller-
dings haben die lediglich aus dem Wesen des Staates über-
haupt abgeleiteten Sätze keine äußerlich zwingende Kraft, und
ist insoferne das philosophische Staatsrecht keine Ergänzung,
sondern vielmehr ein Gegensatz des positiven. Allein wenn in
einem bestimmten Falle weder ein schriftliches oder Gewohnheits-
recht vorliegt, noch auch nur nach Analogie geschlossen werden
kann, und doch das thatsächlich vorliegende Verhältniß eine
rechtliche Ordnung, die aufgeworfene Frage eine Antwort ver-
langt: so bleibt kein anderes Mittel zu einer Entscheidung zu
gelangen, als mittelst einer philosophisch rechtlichen Entwickelung
denjenigen Rechtssatz zu finden, welcher vernünftigerweise in
einem Staate der vorliegenden Art und Gattung zu gelten hat.
Nicht also, weil einem solchen Satze eine äußere Zwangskraft
beiwohnt, sondern weil, in Ermangelung jedes positiven Be-
fehles, es unvernünftig wäre anders zu handeln, ist er zu be-
folgen. Es kömmt hier ein ähnlicher, nur erweiterter Schluß
von der Folgerichtigkeit des Gesetzgebers zur Anwendung, wie
bei der Analogie. Man hält sich nämlich hier an den allge-
meinen Staatsgedanken, welchen der Gesetzgeber ausdrücklich
oder stillschweigend zu Grunde gelegt hat, während bei der
Analogie ein besonderer Ausspruch Grund der Vermuthung

auch weſentlich abweichend entſchieden haben würde, wenn er
in der Lage geweſen wäre, ſich auszuſprechen. Noch weniger
bedarf es eines Beweiſes, daß der Wille eines dem Staate
ganz fremden Geſetzgebers, und wäre die Aehnlichkeit der Fälle
noch ſo ſchlagend, kein Recht im diesſeitigen Staate ſchafft.
Von dem Willen einer fremden Staatsgewalt läßt ſich kein lo-
giſch nothwendiger Schluß auf die Anſichten und auf den Willen
des einheimiſchen Geſetzgebers machen. Beiſpiele fremder Staats-
einrichtungen mögen zum Nachdenken und zur Nachahmung er-
muntern, allein eine zwingende Gewalt haben ſie nicht 2).

4. Aus dem philoſophiſchen Staatsrechte. Aller-
dings haben die lediglich aus dem Weſen des Staates über-
haupt abgeleiteten Sätze keine äußerlich zwingende Kraft, und
iſt inſoferne das philoſophiſche Staatsrecht keine Ergänzung,
ſondern vielmehr ein Gegenſatz des poſitiven. Allein wenn in
einem beſtimmten Falle weder ein ſchriftliches oder Gewohnheits-
recht vorliegt, noch auch nur nach Analogie geſchloſſen werden
kann, und doch das thatſächlich vorliegende Verhältniß eine
rechtliche Ordnung, die aufgeworfene Frage eine Antwort ver-
langt: ſo bleibt kein anderes Mittel zu einer Entſcheidung zu
gelangen, als mittelſt einer philoſophiſch rechtlichen Entwickelung
denjenigen Rechtsſatz zu finden, welcher vernünftigerweiſe in
einem Staate der vorliegenden Art und Gattung zu gelten hat.
Nicht alſo, weil einem ſolchen Satze eine äußere Zwangskraft
beiwohnt, ſondern weil, in Ermangelung jedes poſitiven Be-
fehles, es unvernünftig wäre anders zu handeln, iſt er zu be-
folgen. Es kömmt hier ein ähnlicher, nur erweiterter Schluß
von der Folgerichtigkeit des Geſetzgebers zur Anwendung, wie
bei der Analogie. Man hält ſich nämlich hier an den allge-
meinen Staatsgedanken, welchen der Geſetzgeber ausdrücklich
oder ſtillſchweigend zu Grunde gelegt hat, während bei der
Analogie ein beſonderer Ausſpruch Grund der Vermuthung

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[391/0405] auch weſentlich abweichend entſchieden haben würde, wenn er in der Lage geweſen wäre, ſich auszuſprechen. Noch weniger bedarf es eines Beweiſes, daß der Wille eines dem Staate ganz fremden Geſetzgebers, und wäre die Aehnlichkeit der Fälle noch ſo ſchlagend, kein Recht im diesſeitigen Staate ſchafft. Von dem Willen einer fremden Staatsgewalt läßt ſich kein lo- giſch nothwendiger Schluß auf die Anſichten und auf den Willen des einheimiſchen Geſetzgebers machen. Beiſpiele fremder Staats- einrichtungen mögen zum Nachdenken und zur Nachahmung er- muntern, allein eine zwingende Gewalt haben ſie nicht 2). 4. Aus dem philoſophiſchen Staatsrechte. Aller- dings haben die lediglich aus dem Weſen des Staates über- haupt abgeleiteten Sätze keine äußerlich zwingende Kraft, und iſt inſoferne das philoſophiſche Staatsrecht keine Ergänzung, ſondern vielmehr ein Gegenſatz des poſitiven. Allein wenn in einem beſtimmten Falle weder ein ſchriftliches oder Gewohnheits- recht vorliegt, noch auch nur nach Analogie geſchloſſen werden kann, und doch das thatſächlich vorliegende Verhältniß eine rechtliche Ordnung, die aufgeworfene Frage eine Antwort ver- langt: ſo bleibt kein anderes Mittel zu einer Entſcheidung zu gelangen, als mittelſt einer philoſophiſch rechtlichen Entwickelung denjenigen Rechtsſatz zu finden, welcher vernünftigerweiſe in einem Staate der vorliegenden Art und Gattung zu gelten hat. Nicht alſo, weil einem ſolchen Satze eine äußere Zwangskraft beiwohnt, ſondern weil, in Ermangelung jedes poſitiven Be- fehles, es unvernünftig wäre anders zu handeln, iſt er zu be- folgen. Es kömmt hier ein ähnlicher, nur erweiterter Schluß von der Folgerichtigkeit des Geſetzgebers zur Anwendung, wie bei der Analogie. Man hält ſich nämlich hier an den allge- meinen Staatsgedanken, welchen der Geſetzgeber ausdrücklich oder ſtillſchweigend zu Grunde gelegt hat, während bei der Analogie ein beſonderer Ausſpruch Grund der Vermuthung

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/405>, abgerufen am 27.04.2024.