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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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Arbeit als lohnende Verwendung ist. Wo die übermäßige Vertheilung des
Bodens ein Ackerbauproletariat, das Verkommen des Handwerkers und die
noch mangelhafte Organisation des Fabrikbetriebes ein Gewerbeproletariat
erzeugt hat, und wo sich, bei der übermächtigen Mitwerbung anderer Länder
die Gewerbeerzeugnisse nicht nach Belieben und in jeder wünschenswerthen
Ausdehnung im Auslande verkaufen und gegen Lebensbedürfnisse eintauschen
lassen: da muß bleibendes und großes Elend sein.
4) Die Literatur über die Bevölkerungswissenschaft s. oben, § 17,
Anmerkung 4.
5) Die hauptsächlichsten Werke über die Stammes-Verschiedenheit des
Menschengeschlechtes sind § 17, Anmerk. 3 angegeben. In politischer Be-
ziehung, sind namentlich die daselbst genannten Schriften von Courtet de
Lisle, Comte
und Gobineau zu beachten.
6) Wer kennt nicht die sehr ernsten Schwierigkeiten, welche die Ver-
schiedenheit der Sprachen in Oesterreich verursacht? Oder die Uebel, welche
in britisch Indien aus der unvollkommenen Kenntniß der Landessprachen
von Seiten der europäischen Beamten entstanden sind? Selbst in der Schweiz
sind die vier verschiedenen Sprachen ein Grund großer Mißstände. -- Vgl.
Morgenstern, der Mensch, Bd. I, S. 246 fg.; und besonders Rößler,
C., System der Staatslehre, S. 527 fg.
7) Beispiele dieser verschiedenen thatsächlichen Verhältnisse liegen in
Menge vor, und eine genauere Betrachtung derselben weist auch die ange-
deuteten politischen Folgen unzweifelhaft nach. So sind Frankreich, Spanien,
England und Schottland, China (wie es scheint) Fälle großer Einheitlichkeit
der Bevölkerung. Oesterreich aber, die Niederlande von 1815--1830, die
Türkei bieten Beispiele dar von verschiedenstämmiger und deßhalb schwer
zusammengehender Bevölkerung. Von der Unverträglichkeit ganz verschieden-
artiger Racen in demselben Staatsleben aber zeugen die sämmtlichen ehe-
maligen europäischen Kolonieen, in welchen Weiße, Indier und Neger ge-
mischt leben sollen und sich gegenseitig tödtlich hassen. Hier ist denn auch
die Vergeblichkeit der Hoffnung auf ein gemeinschaftliches Band und auf
Versöhnung durch eine Mischrace an den Tag gelegt.
8) Vollständig gelungen sind die Verschmelzungen der Briten, Angel-
sachsen und Normannen zu dem englischen Volke; der Deutschen und
Slaven auf dem rechten Elbufer; der Bretagner, Basken und Lothringer
mit den Franzosen; der bunt zusammengesetzten Bestandtheile der europäi-
schen Bevölkerung der Vereinigten Staaten. -- Von keiner Ausgleichung
der Verschiedenheit zu Einer Nationalität ist aber die Rede z. B. in Oester-
reich; zwischen Polen und Russen; zwischen Deutschen, Franzosen und
Italiänern in der Schweiz; zwischen Türken und Griechen.
9) Deutschland, Italien!
Arbeit als lohnende Verwendung iſt. Wo die übermäßige Vertheilung des
Bodens ein Ackerbauproletariat, das Verkommen des Handwerkers und die
noch mangelhafte Organiſation des Fabrikbetriebes ein Gewerbeproletariat
erzeugt hat, und wo ſich, bei der übermächtigen Mitwerbung anderer Länder
die Gewerbeerzeugniſſe nicht nach Belieben und in jeder wünſchenswerthen
Ausdehnung im Auslande verkaufen und gegen Lebensbedürfniſſe eintauſchen
laſſen: da muß bleibendes und großes Elend ſein.
4) Die Literatur über die Bevölkerungswiſſenſchaft ſ. oben, § 17,
Anmerkung 4.
5) Die hauptſächlichſten Werke über die Stammes-Verſchiedenheit des
Menſchengeſchlechtes ſind § 17, Anmerk. 3 angegeben. In politiſcher Be-
ziehung, ſind namentlich die daſelbſt genannten Schriften von Courtet de
Lisle, Comte
und Gobineau zu beachten.
6) Wer kennt nicht die ſehr ernſten Schwierigkeiten, welche die Ver-
ſchiedenheit der Sprachen in Oeſterreich verurſacht? Oder die Uebel, welche
in britiſch Indien aus der unvollkommenen Kenntniß der Landesſprachen
von Seiten der europäiſchen Beamten entſtanden ſind? Selbſt in der Schweiz
ſind die vier verſchiedenen Sprachen ein Grund großer Mißſtände. — Vgl.
Morgenſtern, der Menſch, Bd. I, S. 246 fg.; und beſonders Rößler,
C., Syſtem der Staatslehre, S. 527 fg.
7) Beiſpiele dieſer verſchiedenen thatſächlichen Verhältniſſe liegen in
Menge vor, und eine genauere Betrachtung derſelben weiſt auch die ange-
deuteten politiſchen Folgen unzweifelhaft nach. So ſind Frankreich, Spanien,
England und Schottland, China (wie es ſcheint) Fälle großer Einheitlichkeit
der Bevölkerung. Oeſterreich aber, die Niederlande von 1815—1830, die
Türkei bieten Beiſpiele dar von verſchiedenſtämmiger und deßhalb ſchwer
zuſammengehender Bevölkerung. Von der Unverträglichkeit ganz verſchieden-
artiger Racen in demſelben Staatsleben aber zeugen die ſämmtlichen ehe-
maligen europäiſchen Kolonieen, in welchen Weiße, Indier und Neger ge-
miſcht leben ſollen und ſich gegenſeitig tödtlich haſſen. Hier iſt denn auch
die Vergeblichkeit der Hoffnung auf ein gemeinſchaftliches Band und auf
Verſöhnung durch eine Miſchrace an den Tag gelegt.
8) Vollſtändig gelungen ſind die Verſchmelzungen der Briten, Angel-
ſachſen und Normannen zu dem engliſchen Volke; der Deutſchen und
Slaven auf dem rechten Elbufer; der Bretagner, Basken und Lothringer
mit den Franzoſen; der bunt zuſammengeſetzten Beſtandtheile der europäi-
ſchen Bevölkerung der Vereinigten Staaten. — Von keiner Ausgleichung
der Verſchiedenheit zu Einer Nationalität iſt aber die Rede z. B. in Oeſter-
reich; zwiſchen Polen und Ruſſen; zwiſchen Deutſchen, Franzoſen und
Italiänern in der Schweiz; zwiſchen Türken und Griechen.
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[582/0596] ³⁾ Arbeit als lohnende Verwendung iſt. Wo die übermäßige Vertheilung des Bodens ein Ackerbauproletariat, das Verkommen des Handwerkers und die noch mangelhafte Organiſation des Fabrikbetriebes ein Gewerbeproletariat erzeugt hat, und wo ſich, bei der übermächtigen Mitwerbung anderer Länder die Gewerbeerzeugniſſe nicht nach Belieben und in jeder wünſchenswerthen Ausdehnung im Auslande verkaufen und gegen Lebensbedürfniſſe eintauſchen laſſen: da muß bleibendes und großes Elend ſein. ⁴⁾ Die Literatur über die Bevölkerungswiſſenſchaft ſ. oben, § 17, Anmerkung 4. ⁵⁾ Die hauptſächlichſten Werke über die Stammes-Verſchiedenheit des Menſchengeſchlechtes ſind § 17, Anmerk. 3 angegeben. In politiſcher Be- ziehung, ſind namentlich die daſelbſt genannten Schriften von Courtet de Lisle, Comte und Gobineau zu beachten. ⁶⁾ Wer kennt nicht die ſehr ernſten Schwierigkeiten, welche die Ver- ſchiedenheit der Sprachen in Oeſterreich verurſacht? Oder die Uebel, welche in britiſch Indien aus der unvollkommenen Kenntniß der Landesſprachen von Seiten der europäiſchen Beamten entſtanden ſind? Selbſt in der Schweiz ſind die vier verſchiedenen Sprachen ein Grund großer Mißſtände. — Vgl. Morgenſtern, der Menſch, Bd. I, S. 246 fg.; und beſonders Rößler, C., Syſtem der Staatslehre, S. 527 fg. ⁷⁾ Beiſpiele dieſer verſchiedenen thatſächlichen Verhältniſſe liegen in Menge vor, und eine genauere Betrachtung derſelben weiſt auch die ange- deuteten politiſchen Folgen unzweifelhaft nach. So ſind Frankreich, Spanien, England und Schottland, China (wie es ſcheint) Fälle großer Einheitlichkeit der Bevölkerung. Oeſterreich aber, die Niederlande von 1815—1830, die Türkei bieten Beiſpiele dar von verſchiedenſtämmiger und deßhalb ſchwer zuſammengehender Bevölkerung. Von der Unverträglichkeit ganz verſchieden- artiger Racen in demſelben Staatsleben aber zeugen die ſämmtlichen ehe- maligen europäiſchen Kolonieen, in welchen Weiße, Indier und Neger ge- miſcht leben ſollen und ſich gegenſeitig tödtlich haſſen. Hier iſt denn auch die Vergeblichkeit der Hoffnung auf ein gemeinſchaftliches Band und auf Verſöhnung durch eine Miſchrace an den Tag gelegt. ⁸⁾ Vollſtändig gelungen ſind die Verſchmelzungen der Briten, Angel- ſachſen und Normannen zu dem engliſchen Volke; der Deutſchen und Slaven auf dem rechten Elbufer; der Bretagner, Basken und Lothringer mit den Franzoſen; der bunt zuſammengeſetzten Beſtandtheile der europäi- ſchen Bevölkerung der Vereinigten Staaten. — Von keiner Ausgleichung der Verſchiedenheit zu Einer Nationalität iſt aber die Rede z. B. in Oeſter- reich; zwiſchen Polen und Ruſſen; zwiſchen Deutſchen, Franzoſen und Italiänern in der Schweiz; zwiſchen Türken und Griechen. ⁹⁾ Deutſchland, Italien!

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 582. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/596>, abgerufen am 29.04.2024.