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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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ERSTES BUCH. KAPITEL V.
desgenossenkrieg war das latinische Recht mit dem römischen
nicht nothwendig identisch und wir finden zum Beispiel, dass
die Klagbarkeit der Verlöbnisse, die in Rom früh abgeschafft
ward, in den latinischen Gemeinden bestehen blieb. Allein
die einfache und rein volksthümliche Entwickelung des la-
tinischen Rechtes und das Bestreben die Rechtsgleichheit
möglichst festzuhalten führten denn doch dahin, dass das Pri-
vatrecht in Inhalt und Form wesentlich dasselbe war in ganz
Latium. Am schärfsten tritt diese Rechtsgleichheit hervor in
den Bestimmungen über den Verlust und den Wiedergewinn
der Freiheit des einzelnen Bürgers. Nach einem alten ehr-
würdigen Rechtssatz des latinischen Stammes konnte kein
Bürger in dem Staat, wo er frei gewesen war, Knecht werden
oder innerhalb dessen das Bürgerrecht einbüssen; sollte er
zur Strafe die Freiheit, und was dasselbe war, das Bürger-
recht verlieren, so musste er ausgeschieden werden aus dem
Staat, um bei Fremden in die Knechtschaft einzutreten. Die-
sen Rechtssatz erstreckte man jetzt auf das gesammte Bundes-
gebiet; kein Glied eines der Bundesstaaten sollte als Knecht
leben können innerhalb der gesammten Eidgenossenschaft.
Anwendungen davon sind die Bestimmung des zweiten Ver-
trags zwischen Rom und Karthago, dass der von den Kartha-
gern gefangene römische Bundesgenosse frei sein solle, so wie
er einen römischen Hafen betrete, und die später in die zwölf
Tafeln aufgenommene Bestimmung, dass der zahlungsunfähige
Schuldner, wenn der Gläubiger ihn verkaufen wolle, verkauft
werden müsse jenseit der Tibergrenze, das heisst ausserhalb
des Bundesgebietes. Eine ächte Ehe war allerdings zwischen
Bürgern verschiedener Gemeinden an sich nicht möglich, doch
ist es nicht unwahrscheinlich, dass nach altem Herkommen
zwischen den römischen und einzelnen latinischen Patriciaten,
das heisst Vollbürgerschaften, das Recht der Zwischenheirathen
bestand. Die politischen Rechte konnte selbstverständlich jeder
nur da ausüben, wo er eingebürgert war, und streng ward
darauf gehalten, dass Niemand Bürger zweier Gemeinden sein
könne, durch jedes neu gewonnene Bürgerrecht sollte das bisher
bestehende von selbst aufgehoben sein. Sonach befanden sich
in jeder eidgenössischen Gemeinde die Angehörigen der übri-
gen eidgenössischen Communen wesentlich in dem Verhältniss,
welches zur Zeit des Zwölftafelrechts die Plebejer in Rom
gegen die Patricier einnahmen; oder, nach heutiger Termino-
logie, es bestand neben den besondern Bürgerrechten der ein-

ERSTES BUCH. KAPITEL V.
desgenossenkrieg war das latinische Recht mit dem römischen
nicht nothwendig identisch und wir finden zum Beispiel, daſs
die Klagbarkeit der Verlöbnisse, die in Rom früh abgeschafft
ward, in den latinischen Gemeinden bestehen blieb. Allein
die einfache und rein volksthümliche Entwickelung des la-
tinischen Rechtes und das Bestreben die Rechtsgleichheit
möglichst festzuhalten führten denn doch dahin, daſs das Pri-
vatrecht in Inhalt und Form wesentlich dasselbe war in ganz
Latium. Am schärfsten tritt diese Rechtsgleichheit hervor in
den Bestimmungen über den Verlust und den Wiedergewinn
der Freiheit des einzelnen Bürgers. Nach einem alten ehr-
würdigen Rechtssatz des latinischen Stammes konnte kein
Bürger in dem Staat, wo er frei gewesen war, Knecht werden
oder innerhalb dessen das Bürgerrecht einbüſsen; sollte er
zur Strafe die Freiheit, und was dasselbe war, das Bürger-
recht verlieren, so muſste er ausgeschieden werden aus dem
Staat, um bei Fremden in die Knechtschaft einzutreten. Die-
sen Rechtssatz erstreckte man jetzt auf das gesammte Bundes-
gebiet; kein Glied eines der Bundesstaaten sollte als Knecht
leben können innerhalb der gesammten Eidgenossenschaft.
Anwendungen davon sind die Bestimmung des zweiten Ver-
trags zwischen Rom und Karthago, daſs der von den Kartha-
gern gefangene römische Bundesgenosse frei sein solle, so wie
er einen römischen Hafen betrete, und die später in die zwölf
Tafeln aufgenommene Bestimmung, daſs der zahlungsunfähige
Schuldner, wenn der Gläubiger ihn verkaufen wolle, verkauft
werden müsse jenseit der Tibergrenze, das heiſst auſserhalb
des Bundesgebietes. Eine ächte Ehe war allerdings zwischen
Bürgern verschiedener Gemeinden an sich nicht möglich, doch
ist es nicht unwahrscheinlich, daſs nach altem Herkommen
zwischen den römischen und einzelnen latinischen Patriciaten,
das heiſst Vollbürgerschaften, das Recht der Zwischenheirathen
bestand. Die politischen Rechte konnte selbstverständlich jeder
nur da ausüben, wo er eingebürgert war, und streng ward
darauf gehalten, daſs Niemand Bürger zweier Gemeinden sein
könne, durch jedes neu gewonnene Bürgerrecht sollte das bisher
bestehende von selbst aufgehoben sein. Sonach befanden sich
in jeder eidgenössischen Gemeinde die Angehörigen der übri-
gen eidgenössischen Communen wesentlich in dem Verhältniſs,
welches zur Zeit des Zwölftafelrechts die Plebejer in Rom
gegen die Patricier einnahmen; oder, nach heutiger Termino-
logie, es bestand neben den besondern Bürgerrechten der ein-

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[44/0058] ERSTES BUCH. KAPITEL V. desgenossenkrieg war das latinische Recht mit dem römischen nicht nothwendig identisch und wir finden zum Beispiel, daſs die Klagbarkeit der Verlöbnisse, die in Rom früh abgeschafft ward, in den latinischen Gemeinden bestehen blieb. Allein die einfache und rein volksthümliche Entwickelung des la- tinischen Rechtes und das Bestreben die Rechtsgleichheit möglichst festzuhalten führten denn doch dahin, daſs das Pri- vatrecht in Inhalt und Form wesentlich dasselbe war in ganz Latium. Am schärfsten tritt diese Rechtsgleichheit hervor in den Bestimmungen über den Verlust und den Wiedergewinn der Freiheit des einzelnen Bürgers. Nach einem alten ehr- würdigen Rechtssatz des latinischen Stammes konnte kein Bürger in dem Staat, wo er frei gewesen war, Knecht werden oder innerhalb dessen das Bürgerrecht einbüſsen; sollte er zur Strafe die Freiheit, und was dasselbe war, das Bürger- recht verlieren, so muſste er ausgeschieden werden aus dem Staat, um bei Fremden in die Knechtschaft einzutreten. Die- sen Rechtssatz erstreckte man jetzt auf das gesammte Bundes- gebiet; kein Glied eines der Bundesstaaten sollte als Knecht leben können innerhalb der gesammten Eidgenossenschaft. Anwendungen davon sind die Bestimmung des zweiten Ver- trags zwischen Rom und Karthago, daſs der von den Kartha- gern gefangene römische Bundesgenosse frei sein solle, so wie er einen römischen Hafen betrete, und die später in die zwölf Tafeln aufgenommene Bestimmung, daſs der zahlungsunfähige Schuldner, wenn der Gläubiger ihn verkaufen wolle, verkauft werden müsse jenseit der Tibergrenze, das heiſst auſserhalb des Bundesgebietes. Eine ächte Ehe war allerdings zwischen Bürgern verschiedener Gemeinden an sich nicht möglich, doch ist es nicht unwahrscheinlich, daſs nach altem Herkommen zwischen den römischen und einzelnen latinischen Patriciaten, das heiſst Vollbürgerschaften, das Recht der Zwischenheirathen bestand. Die politischen Rechte konnte selbstverständlich jeder nur da ausüben, wo er eingebürgert war, und streng ward darauf gehalten, daſs Niemand Bürger zweier Gemeinden sein könne, durch jedes neu gewonnene Bürgerrecht sollte das bisher bestehende von selbst aufgehoben sein. Sonach befanden sich in jeder eidgenössischen Gemeinde die Angehörigen der übri- gen eidgenössischen Communen wesentlich in dem Verhältniſs, welches zur Zeit des Zwölftafelrechts die Plebejer in Rom gegen die Patricier einnahmen; oder, nach heutiger Termino- logie, es bestand neben den besondern Bürgerrechten der ein-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/58>, abgerufen am 29.04.2024.