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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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ROMS HEGEMONIE IN LATIUM.
zelnen Gemeinden ein allgemeines eidgenössisches Niederlas-
sungsrecht. Dass dies wesentlich zum Vortheil der Hauptstadt
ausschlug, die allein in Latium städtischen Verkehr, städtischen
Erwerb, städtische Genüsse darzubieten hatte, und dass die
Zahl der römischen Insassen sich reissend schnell vermehrte,
seit die latinische Landschaft im ewigen Frieden mit Rom
lebte, ist begreiflich. -- In Verfassung und Verwaltung blieb
nicht bloss die einzelne Gemeinde selbstständig und souverain,
so weit nicht die Bundespflichten eingriffen, sondern, was mehr
bedeutet, es blieb dem Bunde der dreissig Gemeinden als sol-
chem die Autonomie gegen Rom; ja es wird versichert und
ist nicht unwahrscheinlich, dass Albas Stellung zu den abhän-
gigen Orten eine mehr überlegene gewesen sei als die Roms zu
den latinischen Gemeinden und dass die letzteren durch Albas
Sturz die Autonomie erlangt hätten. Es scheint glaublich,
dass Alba im Bundesrath den Vorsitz führte, während Rom
die latinischen Abgeordneten selbstständig rathschlagen liess
am Quell der Ferentina, unter Vorsitz wie es scheint eines
aus der Mitte der Versammlung gewählten Beamten; ja es war
sogar, offenbar zur Festigung des Bundes, in dem Vertrag
zwischen Rom und Latium den Römern jedes Sonderbündniss
mit einzelnen Bundesstaaten untersagt worden. Mehr ein Ehren-
recht war es, dass bei dem latinischen Bundesfest anstatt
der albischen jetzt als deren Rechtsnachfolger die römischen
Magistrate den Vorsitz führten und dass für Rom und Latium
das Opfer dargebracht ward wie früher für Alba und die albi-
schen Völker; womit es auch zusammenhängt, dass neben dem
alten Bundesheiligthum auf der Stätte von Alba ein zweites in
Rom gegründet ward, der Tempel der Diana auf dem Aventin,
so dass theils auf römischen Boden für Rom und Latium,
theils auf latinischem für Latium und Rom geopfert ward. --
Auch im Kriegswesen ward das Gleichgewicht beider Theile
festgehalten. Das Bundesheer ward gebildet aus den römischen
Truppen und aus dem durch die Contingente der einzelnen
Gemeinden gebildeten latinischen Heer; wie das die spätere
Weise des Aufgebots lehrt und für die ältere Zeit zum Beispiel
die Erzählung, dass, während König Tullus Veii belagerte, der
Zuzug der Tusculaner auf dem Oppius, der der Anagniner
auf dem Cispius aufgestellt war zur Verstärkung der städti-
schen Besatzung. Wenn dem Bericht, dass König Tarquinius
jeden Manipel halb aus Römern, halb aus Latinern gebildet
habe, wirklich eine ächte Kunde zu Grunde liegt, so kann

ROMS HEGEMONIE IN LATIUM.
zelnen Gemeinden ein allgemeines eidgenössisches Niederlas-
sungsrecht. Daſs dies wesentlich zum Vortheil der Hauptstadt
ausschlug, die allein in Latium städtischen Verkehr, städtischen
Erwerb, städtische Genüsse darzubieten hatte, und daſs die
Zahl der römischen Insassen sich reiſsend schnell vermehrte,
seit die latinische Landschaft im ewigen Frieden mit Rom
lebte, ist begreiflich. — In Verfassung und Verwaltung blieb
nicht bloſs die einzelne Gemeinde selbstständig und souverain,
so weit nicht die Bundespflichten eingriffen, sondern, was mehr
bedeutet, es blieb dem Bunde der dreiſsig Gemeinden als sol-
chem die Autonomie gegen Rom; ja es wird versichert und
ist nicht unwahrscheinlich, daſs Albas Stellung zu den abhän-
gigen Orten eine mehr überlegene gewesen sei als die Roms zu
den latinischen Gemeinden und daſs die letzteren durch Albas
Sturz die Autonomie erlangt hätten. Es scheint glaublich,
daſs Alba im Bundesrath den Vorsitz führte, während Rom
die latinischen Abgeordneten selbstständig rathschlagen lieſs
am Quell der Ferentina, unter Vorsitz wie es scheint eines
aus der Mitte der Versammlung gewählten Beamten; ja es war
sogar, offenbar zur Festigung des Bundes, in dem Vertrag
zwischen Rom und Latium den Römern jedes Sonderbündniſs
mit einzelnen Bundesstaaten untersagt worden. Mehr ein Ehren-
recht war es, daſs bei dem latinischen Bundesfest anstatt
der albischen jetzt als deren Rechtsnachfolger die römischen
Magistrate den Vorsitz führten und daſs für Rom und Latium
das Opfer dargebracht ward wie früher für Alba und die albi-
schen Völker; womit es auch zusammenhängt, daſs neben dem
alten Bundesheiligthum auf der Stätte von Alba ein zweites in
Rom gegründet ward, der Tempel der Diana auf dem Aventin,
so daſs theils auf römischen Boden für Rom und Latium,
theils auf latinischem für Latium und Rom geopfert ward. —
Auch im Kriegswesen ward das Gleichgewicht beider Theile
festgehalten. Das Bundesheer ward gebildet aus den römischen
Truppen und aus dem durch die Contingente der einzelnen
Gemeinden gebildeten latinischen Heer; wie das die spätere
Weise des Aufgebots lehrt und für die ältere Zeit zum Beispiel
die Erzählung, daſs, während König Tullus Veii belagerte, der
Zuzug der Tusculaner auf dem Oppius, der der Anagniner
auf dem Cispius aufgestellt war zur Verstärkung der städti-
schen Besatzung. Wenn dem Bericht, daſs König Tarquinius
jeden Manipel halb aus Römern, halb aus Latinern gebildet
habe, wirklich eine ächte Kunde zu Grunde liegt, so kann

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[45/0059] ROMS HEGEMONIE IN LATIUM. zelnen Gemeinden ein allgemeines eidgenössisches Niederlas- sungsrecht. Daſs dies wesentlich zum Vortheil der Hauptstadt ausschlug, die allein in Latium städtischen Verkehr, städtischen Erwerb, städtische Genüsse darzubieten hatte, und daſs die Zahl der römischen Insassen sich reiſsend schnell vermehrte, seit die latinische Landschaft im ewigen Frieden mit Rom lebte, ist begreiflich. — In Verfassung und Verwaltung blieb nicht bloſs die einzelne Gemeinde selbstständig und souverain, so weit nicht die Bundespflichten eingriffen, sondern, was mehr bedeutet, es blieb dem Bunde der dreiſsig Gemeinden als sol- chem die Autonomie gegen Rom; ja es wird versichert und ist nicht unwahrscheinlich, daſs Albas Stellung zu den abhän- gigen Orten eine mehr überlegene gewesen sei als die Roms zu den latinischen Gemeinden und daſs die letzteren durch Albas Sturz die Autonomie erlangt hätten. Es scheint glaublich, daſs Alba im Bundesrath den Vorsitz führte, während Rom die latinischen Abgeordneten selbstständig rathschlagen lieſs am Quell der Ferentina, unter Vorsitz wie es scheint eines aus der Mitte der Versammlung gewählten Beamten; ja es war sogar, offenbar zur Festigung des Bundes, in dem Vertrag zwischen Rom und Latium den Römern jedes Sonderbündniſs mit einzelnen Bundesstaaten untersagt worden. Mehr ein Ehren- recht war es, daſs bei dem latinischen Bundesfest anstatt der albischen jetzt als deren Rechtsnachfolger die römischen Magistrate den Vorsitz führten und daſs für Rom und Latium das Opfer dargebracht ward wie früher für Alba und die albi- schen Völker; womit es auch zusammenhängt, daſs neben dem alten Bundesheiligthum auf der Stätte von Alba ein zweites in Rom gegründet ward, der Tempel der Diana auf dem Aventin, so daſs theils auf römischen Boden für Rom und Latium, theils auf latinischem für Latium und Rom geopfert ward. — Auch im Kriegswesen ward das Gleichgewicht beider Theile festgehalten. Das Bundesheer ward gebildet aus den römischen Truppen und aus dem durch die Contingente der einzelnen Gemeinden gebildeten latinischen Heer; wie das die spätere Weise des Aufgebots lehrt und für die ältere Zeit zum Beispiel die Erzählung, daſs, während König Tullus Veii belagerte, der Zuzug der Tusculaner auf dem Oppius, der der Anagniner auf dem Cispius aufgestellt war zur Verstärkung der städti- schen Besatzung. Wenn dem Bericht, daſs König Tarquinius jeden Manipel halb aus Römern, halb aus Latinern gebildet habe, wirklich eine ächte Kunde zu Grunde liegt, so kann

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/59>, abgerufen am 29.04.2024.