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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DRITTES BUCH. KAPITEL XI.
oder der Spott der Griechen; in den Kriegen gegen die Ae-
toler höhnten deren Offiziere die Römer, dass sie ihre Feld-
herren in die Schlacht schickten um zu opfern, wogegen der
einsichtigere Polybios mit seiner etwas platten Gescheitheit
die Römer gar sehr belobt wegen dieser politisch so wirksamen
Hegung der Götterfurcht und seine Landsleute belehrt, dass
sie sich darüber nicht wundern möchten: alles das geschehe
um der Menge willen und es könne doch kein Staat bestehen
aus lauter klugen Leuten. Aber schon fingen Unglaube und
Aberglaube an die Grundlagen der einheimischen Religion zu
unterwühlen. Schon im ersten punischen Krieg (505) kam
es vor, dass mit den Auspicien, die vor der Schlacht befragt
werden, der Consul selbst sträflichen Spott trieb -- freilich
ein Consul aus dem übermüthigen und im Guten und Bösen
der Zeit voraneilenden Geschlecht der Claudier. Als die Kunst-
liebhaberei dann einriss, schmückten heilige Bildnisse der
Götter gleich anderem Hausgeräth die Zimmer der Reichen,
worüber Catos frommer Eifer vergeblich zürnte. Bedenklicher
noch ist das Einreissen des wüsten Aberglaubens, den nament-
lich die schweren Zeiten des hannibalischen Krieges weckten.
Die Regierung selbst konnte nicht umhin sich dem zu fügen;
als in den letzten bangen Jahren des hannibalischen Krieges das
Orakel gebot die phrygische Göttermutter aus Pessinus, einer
Stadt der kleinasiatischen Gallier, nach Rom zu holen, musste
der Senat wohl oder übel sich dazu entschliessen eine Gesandt-
schaft zu entsenden und die feierliche Einholung des rauhen
Feldsteins anzuordnen, den die pessinuntischen Priester als
das rechte Abbild der Mutter Kybele den Fremden verehrt
hatten (550), ja zur ewigen Erinnerung an das fröhliche
Ereigniss unter sich Clubgesellschaften stiften, bei denen die
Pflicht die Gesellschaft zu bewirthen unter den Mitgliedern
umging -- Gesellschaften, die für das festere Zusammen-
schliessen der vornehmen Familien und das beginnende He-
tärienwesen nicht ohne Wichtigkeit gewesen zu sein scheinen.
Aber schlimmer als diese anfangs wenigstens unschuldigen
Sodalitäten war es, dass mit diesem öffentlich anerkannten
Cult der Göttermutter die Gottesverehrung der Orientalen zum
erstenmal Fuss fasste in Rom. Der ganze wüste Apparat jener
Priester, die zu Ehren der Göttin sich castrirt hatten und
mit ihrem Erzpriester an der Spitze in Purpurgewändern und
unter dem Schall der Pfeifen und Pauken in feierlichem Ge-
pränge durch die Strassen zogen und den bettelnden Pfaffen

DRITTES BUCH. KAPITEL XI.
oder der Spott der Griechen; in den Kriegen gegen die Ae-
toler höhnten deren Offiziere die Römer, daſs sie ihre Feld-
herren in die Schlacht schickten um zu opfern, wogegen der
einsichtigere Polybios mit seiner etwas platten Gescheitheit
die Römer gar sehr belobt wegen dieser politisch so wirksamen
Hegung der Götterfurcht und seine Landsleute belehrt, daſs
sie sich darüber nicht wundern möchten: alles das geschehe
um der Menge willen und es könne doch kein Staat bestehen
aus lauter klugen Leuten. Aber schon fingen Unglaube und
Aberglaube an die Grundlagen der einheimischen Religion zu
unterwühlen. Schon im ersten punischen Krieg (505) kam
es vor, daſs mit den Auspicien, die vor der Schlacht befragt
werden, der Consul selbst sträflichen Spott trieb — freilich
ein Consul aus dem übermüthigen und im Guten und Bösen
der Zeit voraneilenden Geschlecht der Claudier. Als die Kunst-
liebhaberei dann einriſs, schmückten heilige Bildnisse der
Götter gleich anderem Hausgeräth die Zimmer der Reichen,
worüber Catos frommer Eifer vergeblich zürnte. Bedenklicher
noch ist das Einreiſsen des wüsten Aberglaubens, den nament-
lich die schweren Zeiten des hannibalischen Krieges weckten.
Die Regierung selbst konnte nicht umhin sich dem zu fügen;
als in den letzten bangen Jahren des hannibalischen Krieges das
Orakel gebot die phrygische Göttermutter aus Pessinus, einer
Stadt der kleinasiatischen Gallier, nach Rom zu holen, muſste
der Senat wohl oder übel sich dazu entschlieſsen eine Gesandt-
schaft zu entsenden und die feierliche Einholung des rauhen
Feldsteins anzuordnen, den die pessinuntischen Priester als
das rechte Abbild der Mutter Kybele den Fremden verehrt
hatten (550), ja zur ewigen Erinnerung an das fröhliche
Ereigniſs unter sich Clubgesellschaften stiften, bei denen die
Pflicht die Gesellschaft zu bewirthen unter den Mitgliedern
umging — Gesellschaften, die für das festere Zusammen-
schlieſsen der vornehmen Familien und das beginnende He-
tärienwesen nicht ohne Wichtigkeit gewesen zu sein scheinen.
Aber schlimmer als diese anfangs wenigstens unschuldigen
Sodalitäten war es, daſs mit diesem öffentlich anerkannten
Cult der Göttermutter die Gottesverehrung der Orientalen zum
erstenmal Fuſs faſste in Rom. Der ganze wüste Apparat jener
Priester, die zu Ehren der Göttin sich castrirt hatten und
mit ihrem Erzpriester an der Spitze in Purpurgewändern und
unter dem Schall der Pfeifen und Pauken in feierlichem Ge-
pränge durch die Straſsen zogen und den bettelnden Pfaffen

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[638/0652] DRITTES BUCH. KAPITEL XI. oder der Spott der Griechen; in den Kriegen gegen die Ae- toler höhnten deren Offiziere die Römer, daſs sie ihre Feld- herren in die Schlacht schickten um zu opfern, wogegen der einsichtigere Polybios mit seiner etwas platten Gescheitheit die Römer gar sehr belobt wegen dieser politisch so wirksamen Hegung der Götterfurcht und seine Landsleute belehrt, daſs sie sich darüber nicht wundern möchten: alles das geschehe um der Menge willen und es könne doch kein Staat bestehen aus lauter klugen Leuten. Aber schon fingen Unglaube und Aberglaube an die Grundlagen der einheimischen Religion zu unterwühlen. Schon im ersten punischen Krieg (505) kam es vor, daſs mit den Auspicien, die vor der Schlacht befragt werden, der Consul selbst sträflichen Spott trieb — freilich ein Consul aus dem übermüthigen und im Guten und Bösen der Zeit voraneilenden Geschlecht der Claudier. Als die Kunst- liebhaberei dann einriſs, schmückten heilige Bildnisse der Götter gleich anderem Hausgeräth die Zimmer der Reichen, worüber Catos frommer Eifer vergeblich zürnte. Bedenklicher noch ist das Einreiſsen des wüsten Aberglaubens, den nament- lich die schweren Zeiten des hannibalischen Krieges weckten. Die Regierung selbst konnte nicht umhin sich dem zu fügen; als in den letzten bangen Jahren des hannibalischen Krieges das Orakel gebot die phrygische Göttermutter aus Pessinus, einer Stadt der kleinasiatischen Gallier, nach Rom zu holen, muſste der Senat wohl oder übel sich dazu entschlieſsen eine Gesandt- schaft zu entsenden und die feierliche Einholung des rauhen Feldsteins anzuordnen, den die pessinuntischen Priester als das rechte Abbild der Mutter Kybele den Fremden verehrt hatten (550), ja zur ewigen Erinnerung an das fröhliche Ereigniſs unter sich Clubgesellschaften stiften, bei denen die Pflicht die Gesellschaft zu bewirthen unter den Mitgliedern umging — Gesellschaften, die für das festere Zusammen- schlieſsen der vornehmen Familien und das beginnende He- tärienwesen nicht ohne Wichtigkeit gewesen zu sein scheinen. Aber schlimmer als diese anfangs wenigstens unschuldigen Sodalitäten war es, daſs mit diesem öffentlich anerkannten Cult der Göttermutter die Gottesverehrung der Orientalen zum erstenmal Fuſs faſste in Rom. Der ganze wüste Apparat jener Priester, die zu Ehren der Göttin sich castrirt hatten und mit ihrem Erzpriester an der Spitze in Purpurgewändern und unter dem Schall der Pfeifen und Pauken in feierlichem Ge- pränge durch die Straſsen zogen und den bettelnden Pfaffen

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 638. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/652>, abgerufen am 30.04.2024.