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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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URSPRUENGLICHE VERFASSUNG ROMS.
die Vollbürger die ,Descendenten' (patricii), nämlich irgend
eines jener Patriarchen, auf die der einzelne Geschlechtsgau sich
zurückführte. Jede innerhalb dieses Kreises in den üblichen
Formen abgeschlossene Ehe galt als ächte römische und be-
gründete für die Kinder das Bürgerrecht; wogegen davon aus-
geschlossen erschien, wer in unrechter Ehe oder ausser der
Ehe erzeugt war. Die Rechte des Hausherrn blieben bestehen,
ohne dass der Staat sich in deren Ausübung einmischte, und
die Geschlechter wurden mit allen in ihnen zusammengescho-
benen Familien dem Staat wie sie bestanden einverleibt; allein
dem Staate gegenüber galt die Stellung in der Familie nicht,
so dass in politischen Pflichten und Rechten der Haussohn
neben, im Hause unter dem Vater stand. Die Stellung der
Schutzbefohlenen änderte sich natürlich dahin, dass die Gäste,
die Freigelassenen, die Clienten eines jeden Schutzherrn um
seinetwillen in der ganzen Gemeinde geduldet wurden; zwar
blieben sie zunächst angewiesen auf den Schutz derjenigen
Familie, der sie angehörten, aber es konnte nicht ausbleiben,
dass sie bald auch ohne Vermittlung ihres Patrons Recht an-
sprachen und erhielten. Um so mehr galt dies von den Gästen
und Schutzbefohlenen der Gesammtschaft, namentlich den an
sie von andern Gemeinden geschickten Boten. So bestand der
Staat wie das Haus aus den eigenen und den zugewandten
Leuten, den Bürgern und den Insassen.

Wie die Elemente des Staates die auf der Familie ruhen-
den Geschlechter sind, so ist auch die Form der Staatsge-
meinschaft im Kleinen wie im Grossen der Familie nachge-
bildet. Dem Hause giebt die Natur selbst den Vater, mit dem
dasselbe entsteht und vergeht. In der Volksgemeinde aber,
die unvergänglich bestehen soll, findet sich kein natürlicher
Herr, wenigstens in der römischen nicht, die aus freien und
gleichen Bauern bestand und keines Adels von Gottes Gnaden
sich zu rühmen vermochte. Darum setzt sie aus ihrer Mitte
sich einen Herrn (rex) und Gebieter (dictator), einen Meister
des Volkes (magister populi), welcher der Herr im Hause der
römischen Gemeinde ist, wie denn auch neben oder in seiner
Wohnung der ewig flammende Heerd der Vesta und die wohl-
versperrte Vorrathskammer der Penaten zu finden sind -- sie
alle die sichtbare Einheit des obersten Hauses darstellend,
das ganz Rom einschloss. Des Königs Amt beginnt mit der
Wahl; aber Treue und Gehorsam ist die Gemeinde dem König
erst schuldig, wenn er die Versammlung der waffenfähigen

URSPRUENGLICHE VERFASSUNG ROMS.
die Vollbürger die ‚Descendenten‘ (patricii), nämlich irgend
eines jener Patriarchen, auf die der einzelne Geschlechtsgau sich
zurückführte. Jede innerhalb dieses Kreises in den üblichen
Formen abgeschlossene Ehe galt als ächte römische und be-
gründete für die Kinder das Bürgerrecht; wogegen davon aus-
geschlossen erschien, wer in unrechter Ehe oder auſser der
Ehe erzeugt war. Die Rechte des Hausherrn blieben bestehen,
ohne daſs der Staat sich in deren Ausübung einmischte, und
die Geschlechter wurden mit allen in ihnen zusammengescho-
benen Familien dem Staat wie sie bestanden einverleibt; allein
dem Staate gegenüber galt die Stellung in der Familie nicht,
so daſs in politischen Pflichten und Rechten der Haussohn
neben, im Hause unter dem Vater stand. Die Stellung der
Schutzbefohlenen änderte sich natürlich dahin, daſs die Gäste,
die Freigelassenen, die Clienten eines jeden Schutzherrn um
seinetwillen in der ganzen Gemeinde geduldet wurden; zwar
blieben sie zunächst angewiesen auf den Schutz derjenigen
Familie, der sie angehörten, aber es konnte nicht ausbleiben,
daſs sie bald auch ohne Vermittlung ihres Patrons Recht an-
sprachen und erhielten. Um so mehr galt dies von den Gästen
und Schutzbefohlenen der Gesammtschaft, namentlich den an
sie von andern Gemeinden geschickten Boten. So bestand der
Staat wie das Haus aus den eigenen und den zugewandten
Leuten, den Bürgern und den Insassen.

Wie die Elemente des Staates die auf der Familie ruhen-
den Geschlechter sind, so ist auch die Form der Staatsge-
meinschaft im Kleinen wie im Grossen der Familie nachge-
bildet. Dem Hause giebt die Natur selbst den Vater, mit dem
dasselbe entsteht und vergeht. In der Volksgemeinde aber,
die unvergänglich bestehen soll, findet sich kein natürlicher
Herr, wenigstens in der römischen nicht, die aus freien und
gleichen Bauern bestand und keines Adels von Gottes Gnaden
sich zu rühmen vermochte. Darum setzt sie aus ihrer Mitte
sich einen Herrn (rex) und Gebieter (dictator), einen Meister
des Volkes (magister populi), welcher der Herr im Hause der
römischen Gemeinde ist, wie denn auch neben oder in seiner
Wohnung der ewig flammende Heerd der Vesta und die wohl-
versperrte Vorrathskammer der Penaten zu finden sind — sie
alle die sichtbare Einheit des obersten Hauses darstellend,
das ganz Rom einschloſs. Des Königs Amt beginnt mit der
Wahl; aber Treue und Gehorsam ist die Gemeinde dem König
erst schuldig, wenn er die Versammlung der waffenfähigen

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[53/0067] URSPRUENGLICHE VERFASSUNG ROMS. die Vollbürger die ‚Descendenten‘ (patricii), nämlich irgend eines jener Patriarchen, auf die der einzelne Geschlechtsgau sich zurückführte. Jede innerhalb dieses Kreises in den üblichen Formen abgeschlossene Ehe galt als ächte römische und be- gründete für die Kinder das Bürgerrecht; wogegen davon aus- geschlossen erschien, wer in unrechter Ehe oder auſser der Ehe erzeugt war. Die Rechte des Hausherrn blieben bestehen, ohne daſs der Staat sich in deren Ausübung einmischte, und die Geschlechter wurden mit allen in ihnen zusammengescho- benen Familien dem Staat wie sie bestanden einverleibt; allein dem Staate gegenüber galt die Stellung in der Familie nicht, so daſs in politischen Pflichten und Rechten der Haussohn neben, im Hause unter dem Vater stand. Die Stellung der Schutzbefohlenen änderte sich natürlich dahin, daſs die Gäste, die Freigelassenen, die Clienten eines jeden Schutzherrn um seinetwillen in der ganzen Gemeinde geduldet wurden; zwar blieben sie zunächst angewiesen auf den Schutz derjenigen Familie, der sie angehörten, aber es konnte nicht ausbleiben, daſs sie bald auch ohne Vermittlung ihres Patrons Recht an- sprachen und erhielten. Um so mehr galt dies von den Gästen und Schutzbefohlenen der Gesammtschaft, namentlich den an sie von andern Gemeinden geschickten Boten. So bestand der Staat wie das Haus aus den eigenen und den zugewandten Leuten, den Bürgern und den Insassen. Wie die Elemente des Staates die auf der Familie ruhen- den Geschlechter sind, so ist auch die Form der Staatsge- meinschaft im Kleinen wie im Grossen der Familie nachge- bildet. Dem Hause giebt die Natur selbst den Vater, mit dem dasselbe entsteht und vergeht. In der Volksgemeinde aber, die unvergänglich bestehen soll, findet sich kein natürlicher Herr, wenigstens in der römischen nicht, die aus freien und gleichen Bauern bestand und keines Adels von Gottes Gnaden sich zu rühmen vermochte. Darum setzt sie aus ihrer Mitte sich einen Herrn (rex) und Gebieter (dictator), einen Meister des Volkes (magister populi), welcher der Herr im Hause der römischen Gemeinde ist, wie denn auch neben oder in seiner Wohnung der ewig flammende Heerd der Vesta und die wohl- versperrte Vorrathskammer der Penaten zu finden sind — sie alle die sichtbare Einheit des obersten Hauses darstellend, das ganz Rom einschloſs. Des Königs Amt beginnt mit der Wahl; aber Treue und Gehorsam ist die Gemeinde dem König erst schuldig, wenn er die Versammlung der waffenfähigen

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/67>, abgerufen am 29.04.2024.