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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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ERSTES BUCH. KAPITEL VI.
Freien zusammenberufen und sie förmlich in Pflicht genom-
men hat. Alsdann hat er ganz die Macht in der Gemeinde,
die im Hause dem Hausvater zukommt, und herrscht wie die-
ser auf Lebenszeit. Er verkehrt mit den Göttern der Ge-
meinde, die er befragt und befriedigt (auspicia publica). Die
Verträge, die er abschliesst im Namen der Gemeinde mit
Fremden, sind verpflichtend für das ganze Volk, obwohl sonst
kein Gemeindeglied durch einen Vertrag mit dem Nichtmitglied
der Gemeinschaft gebunden wird. Sein Gebot (imperium) ist
allmächtig im Frieden wie im Kriege, wesshalb die Boten (li-
ctores,
von licereladen) mit Beilen und Ruthen ihm überall
voranschreiten, wo er in amtlicher Function auftritt. Er sitzt
zu Gericht in allen privaten und criminellen Rechtshändeln,
und entscheidet unbedingt über Leben und Tod wie über die
Freiheit, so dass er den Bürger dem Mitbürger an Knechtes
Statt zusprechen oder auch den Verkauf desselben in die
wirkliche Sclaverei, also ins Ausland anordnen kann; der Be-
rufung an das Volk um Begnadigung nach gefälltem Bluturtheil
stattzugeben ist er berechtigt, jedoch nicht verpflichtet. Er
bietet das Volk zum Kriege auf und er selbst oder wen er
mit seiner Macht bekleidet, befehligt das Heer. Wie der
Hausherr im Hause nicht der mächtigste ist, sondern der
allein mächtige, so ist auch der König nicht der erste, son-
dern der einzige Machthaber im Staate; er mag um sich die
Uebung der Macht zu erleichtern, einzelne Befugnisse Andern
übertragen, den Befehl im Kriege, die Entscheidung der min-
der wichtigen Prozesse, die Aufspürung der Verbrechen, aber
jede Amtsgewalt neben der königlichen ist aus dieser abge-
leitet und jeder Beamte nur durch den König und so lange
dieser will im Amt. Alle die Beamten der ältesten Zeit, die
,Spürer des argen Mordes' (quaestores paricidii), die
Abthei-
lungsführer (tribuni, von tribus Theil) des Fussvolks (milites
das heisst die Tausendgänger) und der Reiterei (celeres), der
während der Abwesenheit des Königs im Felde ernannte Stadt-
vogt (praefectus urbi) sind nichts als königliche Commissarien
und keineswegs Magistrate im spätern Sinn. Eine äussere
rechtliche Schranke hat die Königsgewalt nicht und kann sie
nicht haben; im Staate ist er so wenig einem Richter verant-
wortlich wie der Hausherr im Hause. Nur der Tod beendigt
seine Macht; hat er sich nicht selbst einen Nachfolger ernannt,
was ihm rechtlich nicht bloss freigestanden haben muss, son-
dern wohl im Kreise seiner Pflichten lag, so tritt der Rath

ERSTES BUCH. KAPITEL VI.
Freien zusammenberufen und sie förmlich in Pflicht genom-
men hat. Alsdann hat er ganz die Macht in der Gemeinde,
die im Hause dem Hausvater zukommt, und herrscht wie die-
ser auf Lebenszeit. Er verkehrt mit den Göttern der Ge-
meinde, die er befragt und befriedigt (auspicia publica). Die
Verträge, die er abschlieſst im Namen der Gemeinde mit
Fremden, sind verpflichtend für das ganze Volk, obwohl sonst
kein Gemeindeglied durch einen Vertrag mit dem Nichtmitglied
der Gemeinschaft gebunden wird. Sein Gebot (imperium) ist
allmächtig im Frieden wie im Kriege, weſshalb die Boten (li-
ctores,
von licereladen) mit Beilen und Ruthen ihm überall
voranschreiten, wo er in amtlicher Function auftritt. Er sitzt
zu Gericht in allen privaten und criminellen Rechtshändeln,
und entscheidet unbedingt über Leben und Tod wie über die
Freiheit, so daſs er den Bürger dem Mitbürger an Knechtes
Statt zusprechen oder auch den Verkauf desselben in die
wirkliche Sclaverei, also ins Ausland anordnen kann; der Be-
rufung an das Volk um Begnadigung nach gefälltem Bluturtheil
stattzugeben ist er berechtigt, jedoch nicht verpflichtet. Er
bietet das Volk zum Kriege auf und er selbst oder wen er
mit seiner Macht bekleidet, befehligt das Heer. Wie der
Hausherr im Hause nicht der mächtigste ist, sondern der
allein mächtige, so ist auch der König nicht der erste, son-
dern der einzige Machthaber im Staate; er mag um sich die
Uebung der Macht zu erleichtern, einzelne Befugnisse Andern
übertragen, den Befehl im Kriege, die Entscheidung der min-
der wichtigen Prozesse, die Aufspürung der Verbrechen, aber
jede Amtsgewalt neben der königlichen ist aus dieser abge-
leitet und jeder Beamte nur durch den König und so lange
dieser will im Amt. Alle die Beamten der ältesten Zeit, die
‚Spürer des argen Mordes‘ (quaestores paricidii), die
Abthei-
lungsführer (tribuni, von tribus Theil) des Fussvolks (milites
das heiſst die Tausendgänger) und der Reiterei (celeres), der
während der Abwesenheit des Königs im Felde ernannte Stadt-
vogt (praefectus urbi) sind nichts als königliche Commissarien
und keineswegs Magistrate im spätern Sinn. Eine äuſsere
rechtliche Schranke hat die Königsgewalt nicht und kann sie
nicht haben; im Staate ist er so wenig einem Richter verant-
wortlich wie der Hausherr im Hause. Nur der Tod beendigt
seine Macht; hat er sich nicht selbst einen Nachfolger ernannt,
was ihm rechtlich nicht bloſs freigestanden haben muſs, son-
dern wohl im Kreise seiner Pflichten lag, so tritt der Rath

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[54/0068] ERSTES BUCH. KAPITEL VI. Freien zusammenberufen und sie förmlich in Pflicht genom- men hat. Alsdann hat er ganz die Macht in der Gemeinde, die im Hause dem Hausvater zukommt, und herrscht wie die- ser auf Lebenszeit. Er verkehrt mit den Göttern der Ge- meinde, die er befragt und befriedigt (auspicia publica). Die Verträge, die er abschlieſst im Namen der Gemeinde mit Fremden, sind verpflichtend für das ganze Volk, obwohl sonst kein Gemeindeglied durch einen Vertrag mit dem Nichtmitglied der Gemeinschaft gebunden wird. Sein Gebot (imperium) ist allmächtig im Frieden wie im Kriege, weſshalb die Boten (li- ctores, von licereladen) mit Beilen und Ruthen ihm überall voranschreiten, wo er in amtlicher Function auftritt. Er sitzt zu Gericht in allen privaten und criminellen Rechtshändeln, und entscheidet unbedingt über Leben und Tod wie über die Freiheit, so daſs er den Bürger dem Mitbürger an Knechtes Statt zusprechen oder auch den Verkauf desselben in die wirkliche Sclaverei, also ins Ausland anordnen kann; der Be- rufung an das Volk um Begnadigung nach gefälltem Bluturtheil stattzugeben ist er berechtigt, jedoch nicht verpflichtet. Er bietet das Volk zum Kriege auf und er selbst oder wen er mit seiner Macht bekleidet, befehligt das Heer. Wie der Hausherr im Hause nicht der mächtigste ist, sondern der allein mächtige, so ist auch der König nicht der erste, son- dern der einzige Machthaber im Staate; er mag um sich die Uebung der Macht zu erleichtern, einzelne Befugnisse Andern übertragen, den Befehl im Kriege, die Entscheidung der min- der wichtigen Prozesse, die Aufspürung der Verbrechen, aber jede Amtsgewalt neben der königlichen ist aus dieser abge- leitet und jeder Beamte nur durch den König und so lange dieser will im Amt. Alle die Beamten der ältesten Zeit, die ‚Spürer des argen Mordes‘ (quaestores paricidii), die Abthei- lungsführer (tribuni, von tribus Theil) des Fussvolks (milites das heiſst die Tausendgänger) und der Reiterei (celeres), der während der Abwesenheit des Königs im Felde ernannte Stadt- vogt (praefectus urbi) sind nichts als königliche Commissarien und keineswegs Magistrate im spätern Sinn. Eine äuſsere rechtliche Schranke hat die Königsgewalt nicht und kann sie nicht haben; im Staate ist er so wenig einem Richter verant- wortlich wie der Hausherr im Hause. Nur der Tod beendigt seine Macht; hat er sich nicht selbst einen Nachfolger ernannt, was ihm rechtlich nicht bloſs freigestanden haben muſs, son- dern wohl im Kreise seiner Pflichten lag, so tritt der Rath

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/68>, abgerufen am 29.04.2024.