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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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der Alten ungerufen zusammen und bezeichnet, wir wissen
nicht ob durch Loos oder Wahl, einen ,Zwischenkönig' (in-
terrex
), der indess nur fünf Tage im Amte bleiben und das
Volk sich nicht verpflichten darf. Dieser kann, da er in un-
gebotenem Ding, also mangelhaft ernannt ist, selbst den König
nicht ernennen, sondern ernennt einen zweiten Zwischenkönig
auf andere fünf Tage, der nun den neuen König bezeichnet,
ohne dass nach der richtigen Ansicht eine formelle Einwir-
kung des Senats oder gar des Volkes auf die Wahl des Kö-
nigs angenommen werden dürfte -- der König wird von sei-
nem Vorgänger oder im Nothfall vom Zwischenkönig ernannt
wie später vom Consul der Dictator. So wird ,der hohe
Göttersegen, unter dem die berühmte Roma gegründet ist,'
von dem ersten königlichen Empfänger in stetiger Folge auf
die Nachfolger übertragen und die Einheit des Staats trotz
des Wechsels der Machthaber unveränderlich bewahrt. Diese
Einheit des römischen Volkes, die im religiösen Gebiet der
römische Diovis darstellt, repräsentirt rechtlich der Fürst und
darum ist auch seine Tracht die des höchsten Gottes; den
Elfenbeinstab mit dem Adler, die rothe Schminke des Gesichts,
den goldenen Eichenkranz führen der römische Gott wie der
römische König in gleicher Weise. Aber man würde sehr
irren darum aus der römischen Verfassung eine Theokratie
zu machen; nicht der Gott des Volkes ist der König sondern
viel eher der Eigenthümer des Staats. Darum weiss man auch
nichts von besonderer göttlicher Begnadigung eines Geschlech-
tes oder von irgend einem geheimnissvollen Zauber, danach
der König von anderem Stoff wäre als andre Menschen; die
edle Abkunft, die Verwandtschaft mit frühern Regenten ist
eine Empfehlung, aber keine Bedingung. Der König ist eben
nur ein gewöhnlicher Bürger, den Verdienst oder Glück, vor
allem aber die Nothwendigkeit dass Einer Herr sein müsse
in jedem Hause, zum Herrn gesetzt haben über seines Glei-
chen, den Bauer über Bauern, den Krieger über Krieger. Wie
der Sohn dem Vater unbedingt gehorcht und doch sich nicht
geringer achtet als den Vater, so unterwirft sich der Bürger
dem Gebieter. Darin liegt die sittliche und factische Begren-
zung der Königsgewalt. Der König konnte zwar, auch ohne
gerade das Landrecht zu brechen, viel Unbilliges thun; er
konnte den Mitstreitern ihren Antheil an der Beute schmälern,
er konnte übermässige Frohnden auflegen oder sonst durch
Auflagen unbillig eingreifen in das Eigenthum des Bürgers;

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der Alten ungerufen zusammen und bezeichnet, wir wissen
nicht ob durch Loos oder Wahl, einen ‚Zwischenkönig‘ (in-
terrex
), der indeſs nur fünf Tage im Amte bleiben und das
Volk sich nicht verpflichten darf. Dieser kann, da er in un-
gebotenem Ding, also mangelhaft ernannt ist, selbst den König
nicht ernennen, sondern ernennt einen zweiten Zwischenkönig
auf andere fünf Tage, der nun den neuen König bezeichnet,
ohne daſs nach der richtigen Ansicht eine formelle Einwir-
kung des Senats oder gar des Volkes auf die Wahl des Kö-
nigs angenommen werden dürfte — der König wird von sei-
nem Vorgänger oder im Nothfall vom Zwischenkönig ernannt
wie später vom Consul der Dictator. So wird ‚der hohe
Göttersegen, unter dem die berühmte Roma gegründet ist‚‘
von dem ersten königlichen Empfänger in stetiger Folge auf
die Nachfolger übertragen und die Einheit des Staats trotz
des Wechsels der Machthaber unveränderlich bewahrt. Diese
Einheit des römischen Volkes, die im religiösen Gebiet der
römische Diovis darstellt, repräsentirt rechtlich der Fürst und
darum ist auch seine Tracht die des höchsten Gottes; den
Elfenbeinstab mit dem Adler, die rothe Schminke des Gesichts,
den goldenen Eichenkranz führen der römische Gott wie der
römische König in gleicher Weise. Aber man würde sehr
irren darum aus der römischen Verfassung eine Theokratie
zu machen; nicht der Gott des Volkes ist der König sondern
viel eher der Eigenthümer des Staats. Darum weiſs man auch
nichts von besonderer göttlicher Begnadigung eines Geschlech-
tes oder von irgend einem geheimniſsvollen Zauber, danach
der König von anderem Stoff wäre als andre Menschen; die
edle Abkunft, die Verwandtschaft mit frühern Regenten ist
eine Empfehlung, aber keine Bedingung. Der König ist eben
nur ein gewöhnlicher Bürger, den Verdienst oder Glück, vor
allem aber die Nothwendigkeit daſs Einer Herr sein müsse
in jedem Hause, zum Herrn gesetzt haben über seines Glei-
chen, den Bauer über Bauern, den Krieger über Krieger. Wie
der Sohn dem Vater unbedingt gehorcht und doch sich nicht
geringer achtet als den Vater, so unterwirft sich der Bürger
dem Gebieter. Darin liegt die sittliche und factische Begren-
zung der Königsgewalt. Der König konnte zwar, auch ohne
gerade das Landrecht zu brechen, viel Unbilliges thun; er
konnte den Mitstreitern ihren Antheil an der Beute schmälern,
er konnte übermäſsige Frohnden auflegen oder sonst durch
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[55/0069] URSPRUENGLICHE VERFASSUNG ROMS. der Alten ungerufen zusammen und bezeichnet, wir wissen nicht ob durch Loos oder Wahl, einen ‚Zwischenkönig‘ (in- terrex), der indeſs nur fünf Tage im Amte bleiben und das Volk sich nicht verpflichten darf. Dieser kann, da er in un- gebotenem Ding, also mangelhaft ernannt ist, selbst den König nicht ernennen, sondern ernennt einen zweiten Zwischenkönig auf andere fünf Tage, der nun den neuen König bezeichnet, ohne daſs nach der richtigen Ansicht eine formelle Einwir- kung des Senats oder gar des Volkes auf die Wahl des Kö- nigs angenommen werden dürfte — der König wird von sei- nem Vorgänger oder im Nothfall vom Zwischenkönig ernannt wie später vom Consul der Dictator. So wird ‚der hohe Göttersegen, unter dem die berühmte Roma gegründet ist‚‘ von dem ersten königlichen Empfänger in stetiger Folge auf die Nachfolger übertragen und die Einheit des Staats trotz des Wechsels der Machthaber unveränderlich bewahrt. Diese Einheit des römischen Volkes, die im religiösen Gebiet der römische Diovis darstellt, repräsentirt rechtlich der Fürst und darum ist auch seine Tracht die des höchsten Gottes; den Elfenbeinstab mit dem Adler, die rothe Schminke des Gesichts, den goldenen Eichenkranz führen der römische Gott wie der römische König in gleicher Weise. Aber man würde sehr irren darum aus der römischen Verfassung eine Theokratie zu machen; nicht der Gott des Volkes ist der König sondern viel eher der Eigenthümer des Staats. Darum weiſs man auch nichts von besonderer göttlicher Begnadigung eines Geschlech- tes oder von irgend einem geheimniſsvollen Zauber, danach der König von anderem Stoff wäre als andre Menschen; die edle Abkunft, die Verwandtschaft mit frühern Regenten ist eine Empfehlung, aber keine Bedingung. Der König ist eben nur ein gewöhnlicher Bürger, den Verdienst oder Glück, vor allem aber die Nothwendigkeit daſs Einer Herr sein müsse in jedem Hause, zum Herrn gesetzt haben über seines Glei- chen, den Bauer über Bauern, den Krieger über Krieger. Wie der Sohn dem Vater unbedingt gehorcht und doch sich nicht geringer achtet als den Vater, so unterwirft sich der Bürger dem Gebieter. Darin liegt die sittliche und factische Begren- zung der Königsgewalt. Der König konnte zwar, auch ohne gerade das Landrecht zu brechen, viel Unbilliges thun; er konnte den Mitstreitern ihren Antheil an der Beute schmälern, er konnte übermäſsige Frohnden auflegen oder sonst durch Auflagen unbillig eingreifen in das Eigenthum des Bürgers;

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/69>, abgerufen am 29.04.2024.