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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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URSPRUENGLICHE VERFASSUNG ROMS.
Tode verurtheilte Bürger die Gnade des Volkes anrufe und
der Richter ihm die Betretung des Gnadenweges gestatte.
Dies ist der Anfang der Provocation, die darum auch vor-
zugsweise nicht dem leugnenden Verbrecher gestattet wird,
der überwiesen ist, sondern dem geständigen, der Milderungs-
gründe geltend macht. Im gewöhnlichen Rechtslauf darf der
mit einem Nachbarstaat geschlossene ewige Vertrag nicht ge-
brochen werden -- es sei denn, dass wegen zugefügter Unbill
das Volk es gestatte. Daher musste das Volk nothwendig be-
fragt werden, wenn ein Angriffskrieg beabsichtigt wird, nicht
aber bei dem Vertheidigungskrieg, wo der andere Staat den
Vertrag bricht, noch auch beim Abschluss des Friedens; doch
richtete sich jene Frage, wie es scheint, nicht an die Ver-
sammlung der Curien, sondern an das Heer. So wird endlich
überhaupt, wenn der König eine Neuerung beabsichtigt, eine
Aenderung des bestehenden gemeinen Rechtes, es nothwendig
das Volk zu befragen; und insofern ist das Recht der Gesetz-
gebung von Alters her ein Recht der Gemeinde, nicht des
Königs. Es war, wie Sallust sagt, die königliche Gewalt un-
umschränkt und durch Gesetze gebunden (imperium legitimum);
unumschränkt, insofern sein Gebot unbedingt vollzogen werden
musste, gebunden, insofern ein dem Herkommen zuwiderlau-
fendes und nicht von dem wahren Souverain, dem Volke gut-
geheissenes Gebot keine rechtlichen Folgen erzeugte und zum
Beispiel der widerrechtlich vom König zum Patricier erklärte
Mann nach wie vor Plebejer blieb. Also war die älteste rö-
mische Verfassung gewissermassen die umgekehrte constitu-
tionelle Monarchie. Wie in dieser der König gilt als der In-
haber und Träger der Machtfülle und darum die Gnadenacte
von ihm ausgehen, während die Ausübung der Rechte des
Staates den Vertretern des Volkes zusteht, so war die römi-
sche Volksgemeinde ungefähr was in England der König ist,
während alle Ausübung und Verwaltung dem Vorsteher der-
selben zustand.

Die Staatsverwaltung war sehr einfach. Die öffentlichen
Leistungen, wie Frohnden und Kriegsdienst, trug im Allge-
meinen derjenige, den sie eben nach herkömmlicher Reihen-
folge trafen mit Leib und Gut; wenn eine Entschädigung ge-
geben ward, so gewährte sie der District oder wer nicht
dienen wollte oder konnte, nicht aber der Staat. Die Lasten
des Krieges trafen also die Staatskasse zunächst nicht; woher
denn auch regelmässige directe Steuern für die Bürgerschaft

URSPRUENGLICHE VERFASSUNG ROMS.
Tode verurtheilte Bürger die Gnade des Volkes anrufe und
der Richter ihm die Betretung des Gnadenweges gestatte.
Dies ist der Anfang der Provocation, die darum auch vor-
zugsweise nicht dem leugnenden Verbrecher gestattet wird,
der überwiesen ist, sondern dem geständigen, der Milderungs-
gründe geltend macht. Im gewöhnlichen Rechtslauf darf der
mit einem Nachbarstaat geschlossene ewige Vertrag nicht ge-
brochen werden — es sei denn, daſs wegen zugefügter Unbill
das Volk es gestatte. Daher muſste das Volk nothwendig be-
fragt werden, wenn ein Angriffskrieg beabsichtigt wird, nicht
aber bei dem Vertheidigungskrieg, wo der andere Staat den
Vertrag bricht, noch auch beim Abschluſs des Friedens; doch
richtete sich jene Frage, wie es scheint, nicht an die Ver-
sammlung der Curien, sondern an das Heer. So wird endlich
überhaupt, wenn der König eine Neuerung beabsichtigt, eine
Aenderung des bestehenden gemeinen Rechtes, es nothwendig
das Volk zu befragen; und insofern ist das Recht der Gesetz-
gebung von Alters her ein Recht der Gemeinde, nicht des
Königs. Es war, wie Sallust sagt, die königliche Gewalt un-
umschränkt und durch Gesetze gebunden (imperium legitimum);
unumschränkt, insofern sein Gebot unbedingt vollzogen werden
muſste, gebunden, insofern ein dem Herkommen zuwiderlau-
fendes und nicht von dem wahren Souverain, dem Volke gut-
geheiſsenes Gebot keine rechtlichen Folgen erzeugte und zum
Beispiel der widerrechtlich vom König zum Patricier erklärte
Mann nach wie vor Plebejer blieb. Also war die älteste rö-
mische Verfassung gewissermaſsen die umgekehrte constitu-
tionelle Monarchie. Wie in dieser der König gilt als der In-
haber und Träger der Machtfülle und darum die Gnadenacte
von ihm ausgehen, während die Ausübung der Rechte des
Staates den Vertretern des Volkes zusteht, so war die römi-
sche Volksgemeinde ungefähr was in England der König ist,
während alle Ausübung und Verwaltung dem Vorsteher der-
selben zustand.

Die Staatsverwaltung war sehr einfach. Die öffentlichen
Leistungen, wie Frohnden und Kriegsdienst, trug im Allge-
meinen derjenige, den sie eben nach herkömmlicher Reihen-
folge trafen mit Leib und Gut; wenn eine Entschädigung ge-
geben ward, so gewährte sie der District oder wer nicht
dienen wollte oder konnte, nicht aber der Staat. Die Lasten
des Krieges trafen also die Staatskasse zunächst nicht; woher
denn auch regelmäſsige directe Steuern für die Bürgerschaft

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[61/0075] URSPRUENGLICHE VERFASSUNG ROMS. Tode verurtheilte Bürger die Gnade des Volkes anrufe und der Richter ihm die Betretung des Gnadenweges gestatte. Dies ist der Anfang der Provocation, die darum auch vor- zugsweise nicht dem leugnenden Verbrecher gestattet wird, der überwiesen ist, sondern dem geständigen, der Milderungs- gründe geltend macht. Im gewöhnlichen Rechtslauf darf der mit einem Nachbarstaat geschlossene ewige Vertrag nicht ge- brochen werden — es sei denn, daſs wegen zugefügter Unbill das Volk es gestatte. Daher muſste das Volk nothwendig be- fragt werden, wenn ein Angriffskrieg beabsichtigt wird, nicht aber bei dem Vertheidigungskrieg, wo der andere Staat den Vertrag bricht, noch auch beim Abschluſs des Friedens; doch richtete sich jene Frage, wie es scheint, nicht an die Ver- sammlung der Curien, sondern an das Heer. So wird endlich überhaupt, wenn der König eine Neuerung beabsichtigt, eine Aenderung des bestehenden gemeinen Rechtes, es nothwendig das Volk zu befragen; und insofern ist das Recht der Gesetz- gebung von Alters her ein Recht der Gemeinde, nicht des Königs. Es war, wie Sallust sagt, die königliche Gewalt un- umschränkt und durch Gesetze gebunden (imperium legitimum); unumschränkt, insofern sein Gebot unbedingt vollzogen werden muſste, gebunden, insofern ein dem Herkommen zuwiderlau- fendes und nicht von dem wahren Souverain, dem Volke gut- geheiſsenes Gebot keine rechtlichen Folgen erzeugte und zum Beispiel der widerrechtlich vom König zum Patricier erklärte Mann nach wie vor Plebejer blieb. Also war die älteste rö- mische Verfassung gewissermaſsen die umgekehrte constitu- tionelle Monarchie. Wie in dieser der König gilt als der In- haber und Träger der Machtfülle und darum die Gnadenacte von ihm ausgehen, während die Ausübung der Rechte des Staates den Vertretern des Volkes zusteht, so war die römi- sche Volksgemeinde ungefähr was in England der König ist, während alle Ausübung und Verwaltung dem Vorsteher der- selben zustand. Die Staatsverwaltung war sehr einfach. Die öffentlichen Leistungen, wie Frohnden und Kriegsdienst, trug im Allge- meinen derjenige, den sie eben nach herkömmlicher Reihen- folge trafen mit Leib und Gut; wenn eine Entschädigung ge- geben ward, so gewährte sie der District oder wer nicht dienen wollte oder konnte, nicht aber der Staat. Die Lasten des Krieges trafen also die Staatskasse zunächst nicht; woher denn auch regelmäſsige directe Steuern für die Bürgerschaft

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/75>, abgerufen am 29.04.2024.