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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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ERSTES BUCH. KAPITEL VI.
nicht bestanden. Die ansässigen Metöken scheinen ein Schutz-
geld erlegt zu haben (aerarii); ausserdem flossen in die Staats-
kasse die uralten Hafenzölle und die Einnahme von den Do-
mänen, namentlich das Weidegeld (scriptura) von dem auf
die Gemeinweide aufgetriebenen Vieh und die Fruchtquote
(vectigalia), die vom Ackerland des Staats die Pächter abzu-
geben hatten; ferner der Kriegsgewinn an Land und Beute,
der nicht Eigenthum des Königs war, sondern Eigenthum des
Staats. Reichten in ausserordentlichen Fällen diese Einkünfte
nicht aus, so ward eine Umlage (tributum) ausgeschrieben,
die als gezwungene Anleihe betrachtet und in besseren Zeit-
läuften zurückgezahlt ward; ob dieselbe erhoben ward von den
Ansässigen, mochten sie Bürger sein oder nicht, oder, wie es
wahrscheinlicher ist, von den Bürgern als solchen, lässt sich
nicht entscheiden. Dass der König die Finanzen leitete, ver-
steht sich von selbst; wie weit er herkömmlich beschränkt war,
ist nicht wohl mehr auszumachen, das Volk indess ist unzwei-
felhaft hierbei nie gefragt worden, wogegen bei Auflage des
Tributum und Vertheilung des im Kriege gewonnenen Acker-
landes es wohl Sitte war den Senat zu befragen. Einnahmen
hatte der König als solcher nicht; das Amt war eine Ehre,
kein nutzbares Gut und selbst von regelmässigen Ehrengaben
ist nicht die Rede. Dagegen finden sich Spuren, dass das
letzte Königsgeschlecht, das der Tarquinier, von Haus aus
reich war und ausgedehnte Ländereien besass.

So regierte sich die römische Gemeinde, ein freies Volk,
das zu gehorchen verstand, in klarer Absagung von allem
mystischen Priesterschwindel, in unbedingter Gleichheit vor
dem Gesetz und unter sich, in scharfer Ausprägung der
eigenen Nationalität, während zugleich -- es wird dies so-
gleich dargestellt werden -- dem Verkehr mit dem Auslande
grossherzig die Thore weit aufgethan wurden. Diese Ver-
fassung ist weder gemacht noch entlehnt, sondern erwachsen
in und mit dem römischen Volke; es mag sein, dass, wie
der Purpurmantel und der Elfenbeinstab sicher den Grie-
chen -- nicht den Etruskern -- entlehnt wurden, man auch
die vierundzwanzig Lictoren vom Ausland herübergenommen
hat, aber wie wenig und wie unbedeutend das Geborgte ist
im römischen Staatsrecht, beweist die durchgängige Bezeich-
nung aller seiner Begriffe mit Wörtern latinischer Prägung.
Diese Verfassung ist es, die die Grundgedanken des römischen
Staats für alle Zeiten thatsächlich festgestellt hat; denn trotz

ERSTES BUCH. KAPITEL VI.
nicht bestanden. Die ansässigen Metöken scheinen ein Schutz-
geld erlegt zu haben (aerarii); auſserdem flossen in die Staats-
kasse die uralten Hafenzölle und die Einnahme von den Do-
mänen, namentlich das Weidegeld (scriptura) von dem auf
die Gemeinweide aufgetriebenen Vieh und die Fruchtquote
(vectigalia), die vom Ackerland des Staats die Pächter abzu-
geben hatten; ferner der Kriegsgewinn an Land und Beute,
der nicht Eigenthum des Königs war, sondern Eigenthum des
Staats. Reichten in auſserordentlichen Fällen diese Einkünfte
nicht aus, so ward eine Umlage (tributum) ausgeschrieben,
die als gezwungene Anleihe betrachtet und in besseren Zeit-
läuften zurückgezahlt ward; ob dieselbe erhoben ward von den
Ansässigen, mochten sie Bürger sein oder nicht, oder, wie es
wahrscheinlicher ist, von den Bürgern als solchen, läſst sich
nicht entscheiden. Daſs der König die Finanzen leitete, ver-
steht sich von selbst; wie weit er herkömmlich beschränkt war,
ist nicht wohl mehr auszumachen, das Volk indeſs ist unzwei-
felhaft hierbei nie gefragt worden, wogegen bei Auflage des
Tributum und Vertheilung des im Kriege gewonnenen Acker-
landes es wohl Sitte war den Senat zu befragen. Einnahmen
hatte der König als solcher nicht; das Amt war eine Ehre,
kein nutzbares Gut und selbst von regelmäſsigen Ehrengaben
ist nicht die Rede. Dagegen finden sich Spuren, daſs das
letzte Königsgeschlecht, das der Tarquinier, von Haus aus
reich war und ausgedehnte Ländereien besaſs.

So regierte sich die römische Gemeinde, ein freies Volk,
das zu gehorchen verstand, in klarer Absagung von allem
mystischen Priesterschwindel, in unbedingter Gleichheit vor
dem Gesetz und unter sich, in scharfer Ausprägung der
eigenen Nationalität, während zugleich — es wird dies so-
gleich dargestellt werden — dem Verkehr mit dem Auslande
groſsherzig die Thore weit aufgethan wurden. Diese Ver-
fassung ist weder gemacht noch entlehnt, sondern erwachsen
in und mit dem römischen Volke; es mag sein, daſs, wie
der Purpurmantel und der Elfenbeinstab sicher den Grie-
chen — nicht den Etruskern — entlehnt wurden, man auch
die vierundzwanzig Lictoren vom Ausland herübergenommen
hat, aber wie wenig und wie unbedeutend das Geborgte ist
im römischen Staatsrecht, beweist die durchgängige Bezeich-
nung aller seiner Begriffe mit Wörtern latinischer Prägung.
Diese Verfassung ist es, die die Grundgedanken des römischen
Staats für alle Zeiten thatsächlich festgestellt hat; denn trotz

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[62/0076] ERSTES BUCH. KAPITEL VI. nicht bestanden. Die ansässigen Metöken scheinen ein Schutz- geld erlegt zu haben (aerarii); auſserdem flossen in die Staats- kasse die uralten Hafenzölle und die Einnahme von den Do- mänen, namentlich das Weidegeld (scriptura) von dem auf die Gemeinweide aufgetriebenen Vieh und die Fruchtquote (vectigalia), die vom Ackerland des Staats die Pächter abzu- geben hatten; ferner der Kriegsgewinn an Land und Beute, der nicht Eigenthum des Königs war, sondern Eigenthum des Staats. Reichten in auſserordentlichen Fällen diese Einkünfte nicht aus, so ward eine Umlage (tributum) ausgeschrieben, die als gezwungene Anleihe betrachtet und in besseren Zeit- läuften zurückgezahlt ward; ob dieselbe erhoben ward von den Ansässigen, mochten sie Bürger sein oder nicht, oder, wie es wahrscheinlicher ist, von den Bürgern als solchen, läſst sich nicht entscheiden. Daſs der König die Finanzen leitete, ver- steht sich von selbst; wie weit er herkömmlich beschränkt war, ist nicht wohl mehr auszumachen, das Volk indeſs ist unzwei- felhaft hierbei nie gefragt worden, wogegen bei Auflage des Tributum und Vertheilung des im Kriege gewonnenen Acker- landes es wohl Sitte war den Senat zu befragen. Einnahmen hatte der König als solcher nicht; das Amt war eine Ehre, kein nutzbares Gut und selbst von regelmäſsigen Ehrengaben ist nicht die Rede. Dagegen finden sich Spuren, daſs das letzte Königsgeschlecht, das der Tarquinier, von Haus aus reich war und ausgedehnte Ländereien besaſs. So regierte sich die römische Gemeinde, ein freies Volk, das zu gehorchen verstand, in klarer Absagung von allem mystischen Priesterschwindel, in unbedingter Gleichheit vor dem Gesetz und unter sich, in scharfer Ausprägung der eigenen Nationalität, während zugleich — es wird dies so- gleich dargestellt werden — dem Verkehr mit dem Auslande groſsherzig die Thore weit aufgethan wurden. Diese Ver- fassung ist weder gemacht noch entlehnt, sondern erwachsen in und mit dem römischen Volke; es mag sein, daſs, wie der Purpurmantel und der Elfenbeinstab sicher den Grie- chen — nicht den Etruskern — entlehnt wurden, man auch die vierundzwanzig Lictoren vom Ausland herübergenommen hat, aber wie wenig und wie unbedeutend das Geborgte ist im römischen Staatsrecht, beweist die durchgängige Bezeich- nung aller seiner Begriffe mit Wörtern latinischer Prägung. Diese Verfassung ist es, die die Grundgedanken des römischen Staats für alle Zeiten thatsächlich festgestellt hat; denn trotz

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/76>, abgerufen am 29.04.2024.