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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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ERSTES BUCH. KAPITEL VI.
ursprüngliche Civilehe eben eingeführt ward um das Zusam-
menschwinden des Patriciats zu hemmen. Es ist sogar nicht
unglaublich, dass alle in ungleicher oder ausser der Ehe von
patricischen Müttern erzeugten Kinder in späterer Zeit gleich-
falls in die Bürgerschaft eintraten. -- Wenn so die Zahl der
Insassen in beständigem und keiner Minderung unterliegenden
Wachsen begriffen war, während die der Bürger sich im besten
Fall nicht vermindern mochte, musste gleichzeitig auch die
Stellung der Insassen unmerklich einen anderen und freieren
Charakter annehmen. Die Nichtbürger waren nicht mehr
bloss entlassene Knechte und schutzbedürftige Fremde; es
gehörten dazu die ehemaligen Bürgerschaften der im Krieg
unterlegenen latinischen Gemeinden und vor allen Dingen die
latinischen Ansiedler, die nicht durch Gunst des Königs oder
eines anderen Bürgers, sondern nach Bundesrecht in Rom
lebten. Vermögensrechtlich unbeschränkt gewannen sie Geld
und Gut in der neuen Heimath, und vererbten gleich dem
Bürger ihren Hof auf Kinder und Kindeskinder. Die drückende
Abhängigkeit von den einzelnen Bürgerhäusern lockerte sich
allmählig. Stand der befreite Knecht, der eingewanderte
Fremde auch noch ganz isolirt im Staat, so galt dies schon
nicht mehr von seinen Kindern, noch weniger von den Enkeln
und die Beziehungen zu dem Patron traten damit von selbst
immer mehr zurück. War in älterer Zeit der Client aus-
schliesslich für den Rechtsschutz angewiesen auf die Vermitt-
lung des Patrons, so musste, je mehr der Staat sich consoli-
dirte und folgeweise die Bedeutung der Geschlechtsvereine
und der Häuser sank, desto häufiger auch ohne Vermittlung
des Patrons vom König dem einzelnen Clienten Rechtsfolge
und Abhülfe der Unbill gewährt werden; es ist sehr wahr-
scheinlich, dass eine grosse Zahl der Nichtbürger, namentlich
die Mitglieder der aufgelösten latinischen Gemeinden dies da-
durch bewerkstelligten, dass sie sich geradezu in die Clientel
des Königs begaben und also nur dem einen Herrn dienten,
dem wenn gleich in anderer Art auch die Bürger gehorchten.
Dem König, dessen Herrschaft über die Bürger denn doch
am Ende abhing von dem guten Willen der Gehorchenden,
musste es willkommen sein, in diesen seinen eigenen Schutz-
leuten eine ihm näher verpflichtete Genossenschaft zu bilden,
deren Geschenke und Erbschaften seinen Schatz füllten, deren
Frohnden er kraft eigenen Rechts in Anspruch nehmen
konnte, und die er stets bereit fand sich um den Beschützer

ERSTES BUCH. KAPITEL VI.
ursprüngliche Civilehe eben eingeführt ward um das Zusam-
menschwinden des Patriciats zu hemmen. Es ist sogar nicht
unglaublich, daſs alle in ungleicher oder auſser der Ehe von
patricischen Müttern erzeugten Kinder in späterer Zeit gleich-
falls in die Bürgerschaft eintraten. — Wenn so die Zahl der
Insassen in beständigem und keiner Minderung unterliegenden
Wachsen begriffen war, während die der Bürger sich im besten
Fall nicht vermindern mochte, muſste gleichzeitig auch die
Stellung der Insassen unmerklich einen anderen und freieren
Charakter annehmen. Die Nichtbürger waren nicht mehr
bloſs entlassene Knechte und schutzbedürftige Fremde; es
gehörten dazu die ehemaligen Bürgerschaften der im Krieg
unterlegenen latinischen Gemeinden und vor allen Dingen die
latinischen Ansiedler, die nicht durch Gunst des Königs oder
eines anderen Bürgers, sondern nach Bundesrecht in Rom
lebten. Vermögensrechtlich unbeschränkt gewannen sie Geld
und Gut in der neuen Heimath, und vererbten gleich dem
Bürger ihren Hof auf Kinder und Kindeskinder. Die drückende
Abhängigkeit von den einzelnen Bürgerhäusern lockerte sich
allmählig. Stand der befreite Knecht, der eingewanderte
Fremde auch noch ganz isolirt im Staat, so galt dies schon
nicht mehr von seinen Kindern, noch weniger von den Enkeln
und die Beziehungen zu dem Patron traten damit von selbst
immer mehr zurück. War in älterer Zeit der Client aus-
schlieſslich für den Rechtsschutz angewiesen auf die Vermitt-
lung des Patrons, so muſste, je mehr der Staat sich consoli-
dirte und folgeweise die Bedeutung der Geschlechtsvereine
und der Häuser sank, desto häufiger auch ohne Vermittlung
des Patrons vom König dem einzelnen Clienten Rechtsfolge
und Abhülfe der Unbill gewährt werden; es ist sehr wahr-
scheinlich, daſs eine groſse Zahl der Nichtbürger, namentlich
die Mitglieder der aufgelösten latinischen Gemeinden dies da-
durch bewerkstelligten, daſs sie sich geradezu in die Clientel
des Königs begaben und also nur dem einen Herrn dienten,
dem wenn gleich in anderer Art auch die Bürger gehorchten.
Dem König, dessen Herrschaft über die Bürger denn doch
am Ende abhing von dem guten Willen der Gehorchenden,
muſste es willkommen sein, in diesen seinen eigenen Schutz-
leuten eine ihm näher verpflichtete Genossenschaft zu bilden,
deren Geschenke und Erbschaften seinen Schatz füllten, deren
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[66/0080] ERSTES BUCH. KAPITEL VI. ursprüngliche Civilehe eben eingeführt ward um das Zusam- menschwinden des Patriciats zu hemmen. Es ist sogar nicht unglaublich, daſs alle in ungleicher oder auſser der Ehe von patricischen Müttern erzeugten Kinder in späterer Zeit gleich- falls in die Bürgerschaft eintraten. — Wenn so die Zahl der Insassen in beständigem und keiner Minderung unterliegenden Wachsen begriffen war, während die der Bürger sich im besten Fall nicht vermindern mochte, muſste gleichzeitig auch die Stellung der Insassen unmerklich einen anderen und freieren Charakter annehmen. Die Nichtbürger waren nicht mehr bloſs entlassene Knechte und schutzbedürftige Fremde; es gehörten dazu die ehemaligen Bürgerschaften der im Krieg unterlegenen latinischen Gemeinden und vor allen Dingen die latinischen Ansiedler, die nicht durch Gunst des Königs oder eines anderen Bürgers, sondern nach Bundesrecht in Rom lebten. Vermögensrechtlich unbeschränkt gewannen sie Geld und Gut in der neuen Heimath, und vererbten gleich dem Bürger ihren Hof auf Kinder und Kindeskinder. Die drückende Abhängigkeit von den einzelnen Bürgerhäusern lockerte sich allmählig. Stand der befreite Knecht, der eingewanderte Fremde auch noch ganz isolirt im Staat, so galt dies schon nicht mehr von seinen Kindern, noch weniger von den Enkeln und die Beziehungen zu dem Patron traten damit von selbst immer mehr zurück. War in älterer Zeit der Client aus- schlieſslich für den Rechtsschutz angewiesen auf die Vermitt- lung des Patrons, so muſste, je mehr der Staat sich consoli- dirte und folgeweise die Bedeutung der Geschlechtsvereine und der Häuser sank, desto häufiger auch ohne Vermittlung des Patrons vom König dem einzelnen Clienten Rechtsfolge und Abhülfe der Unbill gewährt werden; es ist sehr wahr- scheinlich, daſs eine groſse Zahl der Nichtbürger, namentlich die Mitglieder der aufgelösten latinischen Gemeinden dies da- durch bewerkstelligten, daſs sie sich geradezu in die Clientel des Königs begaben und also nur dem einen Herrn dienten, dem wenn gleich in anderer Art auch die Bürger gehorchten. Dem König, dessen Herrschaft über die Bürger denn doch am Ende abhing von dem guten Willen der Gehorchenden, muſste es willkommen sein, in diesen seinen eigenen Schutz- leuten eine ihm näher verpflichtete Genossenschaft zu bilden, deren Geschenke und Erbschaften seinen Schatz füllten, deren Frohnden er kraft eigenen Rechts in Anspruch nehmen konnte, und die er stets bereit fand sich um den Beschützer

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/80>, abgerufen am 29.04.2024.