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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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NICHTBUERGER UND REFORMIRTE VERFASSUNG.
als Gefolge zu schaaren. -- So erwuchs neben der Bürger-
schaft eine zweite römische Gemeinde, aus den Clienten ent-
stand die Plebs. Dieser Namenwechsel ist charakteristisch;
rechtlich ist kein Unterschied zwischen dem Clienten und
dem Plebejer, dem Hörigen und dem Manne aus dem Volk,
factisch aber ein sehr bedeutender, indem jene Bezeichnung
das Schutzverhältniss zu einem der politisch berechtigten Ge-
meindeglieder, diese bloss den Mangel der politischen Rechte
hervorhebt. Wie das Gefühl der besonderen Abhängigkeit
zurücktrat, drängte das der politischen Zurücksetzung den
freien Insassen sich auf; und nur die über allen gleichmässig
waltende Herrschaft des Königs verhinderte das Ausbrechen
des politischen Kampfes zwischen der berechtigten und der
rechtlosen Gemeinde.

Der erste Schritt zur Verschmelzung der beiden Volks-
theile geschah indess schwerlich auf dem Wege der Revolu-
tion, den jener Gegensatz vorzuzeichnen schien. Die Ver-
fassungsreform, die ihren Namen trägt vom König Servius
Tullius, liegt zwar ihrem geschichtlichen Ursprung nach in
demselben Dunkel wie alle Ereignisse einer Epoche, die wir
nicht kennen durch historische Ueberlieferung, sondern nur
durch Rückschlüsse aus den späteren Institutionen; aber ihr
Wesen zeugt dafür, dass nicht die Plebejer sie gefordert haben
können, denen die neue Verfassung nur Pflichten, nicht Rechte
gab, sondern dass sie entweder der Weisheit eines der römi-
schen Könige ihren Ursprung verdankt oder dem Drängen der
Bürgerschaft auf Befreiung von dem auschliesslichen Kriegs-
dienst und auf Zuziehung der Nichtbürger zu dem Aufgebot.
Es wurde durch die servianische Verfassung die Dienstpflicht
und die damit zusammenhängende Verpflichtung dem Staat
im Nothfall vorzuschiessen (das Tributum) statt auf die Bür-
gerschaft als solche gelegt auf die Grundbesitzer, die ,Ansäs-
sigen' (adsidui) oder ,Begüterten' (locupletes), mochten sie
Bürger oder bloss Insassen sein; die Heeresfolge wurde aus
einer persönlichen zu einer Reallast. Im Einzelnen war die
Ordnung folgende. Pflichtig zum Dienst war jeder ansässige
Mann vom achtzehnten bis zum sechzigsten Lebensjahr mit
Einschluss der Hauskinder ansässiger Väter, ohne Unterschied
der Geburt; so dass selbst der entlassene Knecht zu dienen
hatte, wenn er ausnahmsweise zu Grundbesitz gelangt war.
Wie es mit den Fremden gehalten ward, die römischen Grund-
besitz inne hatten, wissen wir nicht; wahrscheinlich bestand

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NICHTBUERGER UND REFORMIRTE VERFASSUNG.
als Gefolge zu schaaren. — So erwuchs neben der Bürger-
schaft eine zweite römische Gemeinde, aus den Clienten ent-
stand die Plebs. Dieser Namenwechsel ist charakteristisch;
rechtlich ist kein Unterschied zwischen dem Clienten und
dem Plebejer, dem Hörigen und dem Manne aus dem Volk,
factisch aber ein sehr bedeutender, indem jene Bezeichnung
das Schutzverhältniſs zu einem der politisch berechtigten Ge-
meindeglieder, diese bloſs den Mangel der politischen Rechte
hervorhebt. Wie das Gefühl der besonderen Abhängigkeit
zurücktrat, drängte das der politischen Zurücksetzung den
freien Insassen sich auf; und nur die über allen gleichmäſsig
waltende Herrschaft des Königs verhinderte das Ausbrechen
des politischen Kampfes zwischen der berechtigten und der
rechtlosen Gemeinde.

Der erste Schritt zur Verschmelzung der beiden Volks-
theile geschah indeſs schwerlich auf dem Wege der Revolu-
tion, den jener Gegensatz vorzuzeichnen schien. Die Ver-
fassungsreform, die ihren Namen trägt vom König Servius
Tullius, liegt zwar ihrem geschichtlichen Ursprung nach in
demselben Dunkel wie alle Ereignisse einer Epoche, die wir
nicht kennen durch historische Ueberlieferung, sondern nur
durch Rückschlüsse aus den späteren Institutionen; aber ihr
Wesen zeugt dafür, daſs nicht die Plebejer sie gefordert haben
können, denen die neue Verfassung nur Pflichten, nicht Rechte
gab, sondern daſs sie entweder der Weisheit eines der römi-
schen Könige ihren Ursprung verdankt oder dem Drängen der
Bürgerschaft auf Befreiung von dem auschlieſslichen Kriegs-
dienst und auf Zuziehung der Nichtbürger zu dem Aufgebot.
Es wurde durch die servianische Verfassung die Dienstpflicht
und die damit zusammenhängende Verpflichtung dem Staat
im Nothfall vorzuschieſsen (das Tributum) statt auf die Bür-
gerschaft als solche gelegt auf die Grundbesitzer, die ‚Ansäs-
sigen‘ (adsidui) oder ‚Begüterten‘ (locupletes), mochten sie
Bürger oder bloſs Insassen sein; die Heeresfolge wurde aus
einer persönlichen zu einer Reallast. Im Einzelnen war die
Ordnung folgende. Pflichtig zum Dienst war jeder ansässige
Mann vom achtzehnten bis zum sechzigsten Lebensjahr mit
Einschluſs der Hauskinder ansässiger Väter, ohne Unterschied
der Geburt; so daſs selbst der entlassene Knecht zu dienen
hatte, wenn er ausnahmsweise zu Grundbesitz gelangt war.
Wie es mit den Fremden gehalten ward, die römischen Grund-
besitz inne hatten, wissen wir nicht; wahrscheinlich bestand

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[67/0081] NICHTBUERGER UND REFORMIRTE VERFASSUNG. als Gefolge zu schaaren. — So erwuchs neben der Bürger- schaft eine zweite römische Gemeinde, aus den Clienten ent- stand die Plebs. Dieser Namenwechsel ist charakteristisch; rechtlich ist kein Unterschied zwischen dem Clienten und dem Plebejer, dem Hörigen und dem Manne aus dem Volk, factisch aber ein sehr bedeutender, indem jene Bezeichnung das Schutzverhältniſs zu einem der politisch berechtigten Ge- meindeglieder, diese bloſs den Mangel der politischen Rechte hervorhebt. Wie das Gefühl der besonderen Abhängigkeit zurücktrat, drängte das der politischen Zurücksetzung den freien Insassen sich auf; und nur die über allen gleichmäſsig waltende Herrschaft des Königs verhinderte das Ausbrechen des politischen Kampfes zwischen der berechtigten und der rechtlosen Gemeinde. Der erste Schritt zur Verschmelzung der beiden Volks- theile geschah indeſs schwerlich auf dem Wege der Revolu- tion, den jener Gegensatz vorzuzeichnen schien. Die Ver- fassungsreform, die ihren Namen trägt vom König Servius Tullius, liegt zwar ihrem geschichtlichen Ursprung nach in demselben Dunkel wie alle Ereignisse einer Epoche, die wir nicht kennen durch historische Ueberlieferung, sondern nur durch Rückschlüsse aus den späteren Institutionen; aber ihr Wesen zeugt dafür, daſs nicht die Plebejer sie gefordert haben können, denen die neue Verfassung nur Pflichten, nicht Rechte gab, sondern daſs sie entweder der Weisheit eines der römi- schen Könige ihren Ursprung verdankt oder dem Drängen der Bürgerschaft auf Befreiung von dem auschlieſslichen Kriegs- dienst und auf Zuziehung der Nichtbürger zu dem Aufgebot. Es wurde durch die servianische Verfassung die Dienstpflicht und die damit zusammenhängende Verpflichtung dem Staat im Nothfall vorzuschieſsen (das Tributum) statt auf die Bür- gerschaft als solche gelegt auf die Grundbesitzer, die ‚Ansäs- sigen‘ (adsidui) oder ‚Begüterten‘ (locupletes), mochten sie Bürger oder bloſs Insassen sein; die Heeresfolge wurde aus einer persönlichen zu einer Reallast. Im Einzelnen war die Ordnung folgende. Pflichtig zum Dienst war jeder ansässige Mann vom achtzehnten bis zum sechzigsten Lebensjahr mit Einschluſs der Hauskinder ansässiger Väter, ohne Unterschied der Geburt; so daſs selbst der entlassene Knecht zu dienen hatte, wenn er ausnahmsweise zu Grundbesitz gelangt war. Wie es mit den Fremden gehalten ward, die römischen Grund- besitz inne hatten, wissen wir nicht; wahrscheinlich bestand 5 *

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/81>, abgerufen am 29.04.2024.