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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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NICHTBUERGER UND REFORMIRTE VERFASSUNG.
stellen, indem die unverheiratheten Frauen, die unmündigen
Knaben und die kinderlosen Greise, welche Grundbesitz hatten,
angehalten wurden anstatt des eigenen Dienstes einzelnen Rei-
tern für das Pferd und dessen Fütterung zu sorgen. Im Ganzen
kam auf neun Fusssoldaten ein Reiter; doch wurden beim
effectiven Dienst die Reiter mehr geschont. -- Die nicht an-
sässigen Leute (,Kinderzeuger', proletarii) hatten zum Heere
die Werk- und Spielleute zu stellen so wie eine Anzahl Er-
satzmänner (zugegebene Leute, adcensi), die unbewaffnet
(velati) mit dem Heer zogen und im Felde, wo Lücken ent-
standen, mit den Waffen der Kranken und Gefallenen mit in
die Reihe gestellt wurden.

Zum Behuf der Aushebung wurde Stadt und Weichbild
eingetheilt in vier ,Theile' (tribus), wodurch die alte Drei-
theilung wenigstens in ihrer localen Bedeutung beseitigt ward:
den palatinischen, der den Hügel gleiches Namens mit der
Velia in sich schloss; den der Subura, dem der District dieses
Namens, die Carinen und der Caelius angehörten; den esqui-
linischen; und den collinischen, den der Quirinal und Vi-
minal, die ,Hügel' im Gegensatz der ,Berge' des Capitol und
Palatin, bildeten. Die Ordnung ist der alten aus der allmä-
lichen Entstehung der Stadt hervorgegangenen Rangfolge der
Quartiere entlehnt; der erste District begreift die Altstadt, der
zweite die ältere Neustadt, der dritte die alte viel später um-
mauerte ,Vorstadt', der vierte endlich das erst durch den
servianischen Wall zur Stadt gezogene Quartier. Ausserhalb
der Mauern wird zu jedem District der anliegende Landbezirk
gehört haben, wie denn Ostia zur Palatina zählt; dass die vier
Districte ungefähr gleiche Mannszahl hatten, ergiebt sich aus
ihrer gleichmässigen Anziehung bei der Aushebung. Ueber-
haupt hat diese Eintheilung, die zunächst auf den Boden al-
lein und nur folgeweise auf die Besitzer sich bezog, einen
ganz äusserlichen Charakter und namentlich ist ihr niemals eine
religiöse Bedeutung zugekommen; denn dass in jedem Stadt-
district sechs Kapellen der räthselhaften Argei sich befanden,
macht dieselben ebenso wenig zu sacralen Districten als es die
Gassen dadurch wurden, dass in jeder ein Larenaltar errichtet
ward. -- Jeder dieser vier Aushebungsdistricte hatte den vier-
ten Theil wie der ganzen Mannschaft, so jeder einzelnen mi-
litärischen Abtheilung zu stellen, so dass jede Legion und jede
Centurie gleich viel Conscribirte aus jedem Bezirk zählte; of-
fenbar um, wie diese Institution hauptsächlich bestimmt war

NICHTBUERGER UND REFORMIRTE VERFASSUNG.
stellen, indem die unverheiratheten Frauen, die unmündigen
Knaben und die kinderlosen Greise, welche Grundbesitz hatten,
angehalten wurden anstatt des eigenen Dienstes einzelnen Rei-
tern für das Pferd und dessen Fütterung zu sorgen. Im Ganzen
kam auf neun Fuſssoldaten ein Reiter; doch wurden beim
effectiven Dienst die Reiter mehr geschont. — Die nicht an-
sässigen Leute (‚Kinderzeuger‘, proletarii) hatten zum Heere
die Werk- und Spielleute zu stellen so wie eine Anzahl Er-
satzmänner (zugegebene Leute, adcensi), die unbewaffnet
(velati) mit dem Heer zogen und im Felde, wo Lücken ent-
standen, mit den Waffen der Kranken und Gefallenen mit in
die Reihe gestellt wurden.

Zum Behuf der Aushebung wurde Stadt und Weichbild
eingetheilt in vier ‚Theile‘ (tribus), wodurch die alte Drei-
theilung wenigstens in ihrer localen Bedeutung beseitigt ward:
den palatinischen, der den Hügel gleiches Namens mit der
Velia in sich schloſs; den der Subúra, dem der District dieses
Namens, die Carinen und der Caelius angehörten; den esqui-
linischen; und den collinischen, den der Quirinal und Vi-
minal, die ‚Hügel‘ im Gegensatz der ‚Berge‘ des Capitol und
Palatin, bildeten. Die Ordnung ist der alten aus der allmä-
lichen Entstehung der Stadt hervorgegangenen Rangfolge der
Quartiere entlehnt; der erste District begreift die Altstadt, der
zweite die ältere Neustadt, der dritte die alte viel später um-
mauerte ‚Vorstadt‘, der vierte endlich das erst durch den
servianischen Wall zur Stadt gezogene Quartier. Auſserhalb
der Mauern wird zu jedem District der anliegende Landbezirk
gehört haben, wie denn Ostia zur Palatina zählt; daſs die vier
Districte ungefähr gleiche Mannszahl hatten, ergiebt sich aus
ihrer gleichmäſsigen Anziehung bei der Aushebung. Ueber-
haupt hat diese Eintheilung, die zunächst auf den Boden al-
lein und nur folgeweise auf die Besitzer sich bezog, einen
ganz äuſserlichen Charakter und namentlich ist ihr niemals eine
religiöse Bedeutung zugekommen; denn daſs in jedem Stadt-
district sechs Kapellen der räthselhaften Argei sich befanden,
macht dieselben ebenso wenig zu sacralen Districten als es die
Gassen dadurch wurden, daſs in jeder ein Larenaltar errichtet
ward. — Jeder dieser vier Aushebungsdistricte hatte den vier-
ten Theil wie der ganzen Mannschaft, so jeder einzelnen mi-
litärischen Abtheilung zu stellen, so daſs jede Legion und jede
Centurie gleich viel Conscribirte aus jedem Bezirk zählte; of-
fenbar um, wie diese Institution hauptsächlich bestimmt war

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[69/0083] NICHTBUERGER UND REFORMIRTE VERFASSUNG. stellen, indem die unverheiratheten Frauen, die unmündigen Knaben und die kinderlosen Greise, welche Grundbesitz hatten, angehalten wurden anstatt des eigenen Dienstes einzelnen Rei- tern für das Pferd und dessen Fütterung zu sorgen. Im Ganzen kam auf neun Fuſssoldaten ein Reiter; doch wurden beim effectiven Dienst die Reiter mehr geschont. — Die nicht an- sässigen Leute (‚Kinderzeuger‘, proletarii) hatten zum Heere die Werk- und Spielleute zu stellen so wie eine Anzahl Er- satzmänner (zugegebene Leute, adcensi), die unbewaffnet (velati) mit dem Heer zogen und im Felde, wo Lücken ent- standen, mit den Waffen der Kranken und Gefallenen mit in die Reihe gestellt wurden. Zum Behuf der Aushebung wurde Stadt und Weichbild eingetheilt in vier ‚Theile‘ (tribus), wodurch die alte Drei- theilung wenigstens in ihrer localen Bedeutung beseitigt ward: den palatinischen, der den Hügel gleiches Namens mit der Velia in sich schloſs; den der Subúra, dem der District dieses Namens, die Carinen und der Caelius angehörten; den esqui- linischen; und den collinischen, den der Quirinal und Vi- minal, die ‚Hügel‘ im Gegensatz der ‚Berge‘ des Capitol und Palatin, bildeten. Die Ordnung ist der alten aus der allmä- lichen Entstehung der Stadt hervorgegangenen Rangfolge der Quartiere entlehnt; der erste District begreift die Altstadt, der zweite die ältere Neustadt, der dritte die alte viel später um- mauerte ‚Vorstadt‘, der vierte endlich das erst durch den servianischen Wall zur Stadt gezogene Quartier. Auſserhalb der Mauern wird zu jedem District der anliegende Landbezirk gehört haben, wie denn Ostia zur Palatina zählt; daſs die vier Districte ungefähr gleiche Mannszahl hatten, ergiebt sich aus ihrer gleichmäſsigen Anziehung bei der Aushebung. Ueber- haupt hat diese Eintheilung, die zunächst auf den Boden al- lein und nur folgeweise auf die Besitzer sich bezog, einen ganz äuſserlichen Charakter und namentlich ist ihr niemals eine religiöse Bedeutung zugekommen; denn daſs in jedem Stadt- district sechs Kapellen der räthselhaften Argei sich befanden, macht dieselben ebenso wenig zu sacralen Districten als es die Gassen dadurch wurden, daſs in jeder ein Larenaltar errichtet ward. — Jeder dieser vier Aushebungsdistricte hatte den vier- ten Theil wie der ganzen Mannschaft, so jeder einzelnen mi- litärischen Abtheilung zu stellen, so daſs jede Legion und jede Centurie gleich viel Conscribirte aus jedem Bezirk zählte; of- fenbar um, wie diese Institution hauptsächlich bestimmt war

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/83>, abgerufen am 29.04.2024.