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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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ERSTES BUCH. KAPITEL IX.
von da nordwärts bis zur Mündung der Macra und dem
Apennin war streitiges Grenzland, bald ligurisch, bald etrus-
kisch, ohne dass grössere Ansiedlungen daselbst gediehen.
Die Südgrenze bildete anfangs wahrscheinlich der ciminische
Wald, eine Hügelkette südlich von Viterbo, späterhin der
Tiberstrom; es ward schon oben erwähnt, dass das Gebiet
zwischen dem ciminischen Gebirg und der Tiber mit den
Städten Sutrium und Nepete, Falerii, Veii, Caere erst ge-
raume Zeit später als die nördlicheren Districte, möglicher-
weise erst im zweiten Jahrhundert Roms von den Etruskern
eingenommen zu sein scheint und dass die ursprüngliche ita-
lische Bevölkerung sich hier, namentlich in Falerii, wenn auch
in abhängigem Verhältniss behauptete. -- Seitdem der Tiber-
strom die Markscheide Etruriens gegen Umbrien und Latium
bildete, mag hier im Ganzen ein friedliches Verhältniss ein-
getreten sein und eine wesentliche Grenzverschiebung nicht
stattgefunden haben, am wenigsten gegen die Latiner. So
lebendig in den Römern das Gefühl lebte, dass der Etrusker
ihnen fremd, der Latiner ihr Landsmann war, so scheinen
sie doch vom rechten Ufer her weit weniger Ueberfall und
Gefahr befürchtet zu haben als zum Beispiel von den Stam-
mesverwandten in Gabii und Alba; ganz natürlich, denn dort
schützte die Naturgrenze des breiten Stromes und die fried-
liche Politik des caeritischen Handelsstaates, welcher den
Römern den Besitz der beiden Ufer der Tibermündung nicht
bestritten zu haben scheint. Ueberall kam es den Römern
zu Statten, dass keine der mächtigeren etruskischen Städte
unmittelbar am Fluss lag wie am latinischen Ufer Rom. Die-
jenige, die der Tiber am nächsten war, die der Veienter ge-
rieth natürlich am häufigsten mit Rom und Latium in Con-
flicte, namentlich um den Besitz von Fidenae, welches den
Veientern auf dem linken Tiberufer, ähnlich wie auf dem
rechten den Römern das Ianiculum, als eine Art Brückenkopf
diente und bald in den Händen der Albaner und nach Albas
Fall der Römer, bald in denen der Etrusker sich befand.
Schwankender sind die Spuren von Kämpfen mit den Caeri-
ten; so die alte Sage von den Siegen des Königs Mezentius
von Caere über die Latiner, die ihm Wein zinsen mussten.
-- Dass die Etrusker, namentlich als die Kelten sie aus dem
Norden zu drängen begannen, sich südwärts geworfen hätten,
wäre an sich begreiflich; doch ist es einerseits sehr zweifel-
haft, ob die keltische Invasion in die Lombardei schon dieser

ERSTES BUCH. KAPITEL IX.
von da nordwärts bis zur Mündung der Macra und dem
Apennin war streitiges Grenzland, bald ligurisch, bald etrus-
kisch, ohne daſs gröſsere Ansiedlungen daselbst gediehen.
Die Südgrenze bildete anfangs wahrscheinlich der ciminische
Wald, eine Hügelkette südlich von Viterbo, späterhin der
Tiberstrom; es ward schon oben erwähnt, daſs das Gebiet
zwischen dem ciminischen Gebirg und der Tiber mit den
Städten Sutrium und Nepete, Falerii, Veii, Caere erst ge-
raume Zeit später als die nördlicheren Districte, möglicher-
weise erst im zweiten Jahrhundert Roms von den Etruskern
eingenommen zu sein scheint und daſs die ursprüngliche ita-
lische Bevölkerung sich hier, namentlich in Falerii, wenn auch
in abhängigem Verhältniſs behauptete. — Seitdem der Tiber-
strom die Markscheide Etruriens gegen Umbrien und Latium
bildete, mag hier im Ganzen ein friedliches Verhältniſs ein-
getreten sein und eine wesentliche Grenzverschiebung nicht
stattgefunden haben, am wenigsten gegen die Latiner. So
lebendig in den Römern das Gefühl lebte, daſs der Etrusker
ihnen fremd, der Latiner ihr Landsmann war, so scheinen
sie doch vom rechten Ufer her weit weniger Ueberfall und
Gefahr befürchtet zu haben als zum Beispiel von den Stam-
mesverwandten in Gabii und Alba; ganz natürlich, denn dort
schützte die Naturgrenze des breiten Stromes und die fried-
liche Politik des caeritischen Handelsstaates, welcher den
Römern den Besitz der beiden Ufer der Tibermündung nicht
bestritten zu haben scheint. Ueberall kam es den Römern
zu Statten, daſs keine der mächtigeren etruskischen Städte
unmittelbar am Fluſs lag wie am latinischen Ufer Rom. Die-
jenige, die der Tiber am nächsten war, die der Veienter ge-
rieth natürlich am häufigsten mit Rom und Latium in Con-
flicte, namentlich um den Besitz von Fidenae, welches den
Veientern auf dem linken Tiberufer, ähnlich wie auf dem
rechten den Römern das Ianiculum, als eine Art Brückenkopf
diente und bald in den Händen der Albaner und nach Albas
Fall der Römer, bald in denen der Etrusker sich befand.
Schwankender sind die Spuren von Kämpfen mit den Caeri-
ten; so die alte Sage von den Siegen des Königs Mezentius
von Caere über die Latiner, die ihm Wein zinsen muſsten.
— Daſs die Etrusker, namentlich als die Kelten sie aus dem
Norden zu drängen begannen, sich südwärts geworfen hätten,
wäre an sich begreiflich; doch ist es einerseits sehr zweifel-
haft, ob die keltische Invasion in die Lombardei schon dieser

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[84/0098] ERSTES BUCH. KAPITEL IX. von da nordwärts bis zur Mündung der Macra und dem Apennin war streitiges Grenzland, bald ligurisch, bald etrus- kisch, ohne daſs gröſsere Ansiedlungen daselbst gediehen. Die Südgrenze bildete anfangs wahrscheinlich der ciminische Wald, eine Hügelkette südlich von Viterbo, späterhin der Tiberstrom; es ward schon oben erwähnt, daſs das Gebiet zwischen dem ciminischen Gebirg und der Tiber mit den Städten Sutrium und Nepete, Falerii, Veii, Caere erst ge- raume Zeit später als die nördlicheren Districte, möglicher- weise erst im zweiten Jahrhundert Roms von den Etruskern eingenommen zu sein scheint und daſs die ursprüngliche ita- lische Bevölkerung sich hier, namentlich in Falerii, wenn auch in abhängigem Verhältniſs behauptete. — Seitdem der Tiber- strom die Markscheide Etruriens gegen Umbrien und Latium bildete, mag hier im Ganzen ein friedliches Verhältniſs ein- getreten sein und eine wesentliche Grenzverschiebung nicht stattgefunden haben, am wenigsten gegen die Latiner. So lebendig in den Römern das Gefühl lebte, daſs der Etrusker ihnen fremd, der Latiner ihr Landsmann war, so scheinen sie doch vom rechten Ufer her weit weniger Ueberfall und Gefahr befürchtet zu haben als zum Beispiel von den Stam- mesverwandten in Gabii und Alba; ganz natürlich, denn dort schützte die Naturgrenze des breiten Stromes und die fried- liche Politik des caeritischen Handelsstaates, welcher den Römern den Besitz der beiden Ufer der Tibermündung nicht bestritten zu haben scheint. Ueberall kam es den Römern zu Statten, daſs keine der mächtigeren etruskischen Städte unmittelbar am Fluſs lag wie am latinischen Ufer Rom. Die- jenige, die der Tiber am nächsten war, die der Veienter ge- rieth natürlich am häufigsten mit Rom und Latium in Con- flicte, namentlich um den Besitz von Fidenae, welches den Veientern auf dem linken Tiberufer, ähnlich wie auf dem rechten den Römern das Ianiculum, als eine Art Brückenkopf diente und bald in den Händen der Albaner und nach Albas Fall der Römer, bald in denen der Etrusker sich befand. Schwankender sind die Spuren von Kämpfen mit den Caeri- ten; so die alte Sage von den Siegen des Königs Mezentius von Caere über die Latiner, die ihm Wein zinsen muſsten. — Daſs die Etrusker, namentlich als die Kelten sie aus dem Norden zu drängen begannen, sich südwärts geworfen hätten, wäre an sich begreiflich; doch ist es einerseits sehr zweifel- haft, ob die keltische Invasion in die Lombardei schon dieser

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/98>, abgerufen am 29.04.2024.