Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

VIERTES BUCH. KAPITEL III.
ten im Staat gegeben hatte, die Regierung als verwaltende und
controlirende, die Bürgerschaft als legislative Behörde, die Ge-
richte aber zwischen beiden getheilt waren, jetzt die Geldari-
stokratie nicht bloss auf der soliden Basis der materiellen Inter-
essen als eine fest geschlossene und privilegirte Klasse sich con-
solidirte, sondern auch als richtende und controlirende Gewalt
in den Staat eintrat und der regierenden Aristokratie sich fast
ebenbürtig zur Seite stellte. All die alten Antipathien der Kauf-
leute gegen den Adel mussten fortan in den Wahrsprüchen der
Geschwornen einen nur zu praktischen Ausdruck finden; vor al-
len Dingen in den Rechenschaftsgerichten der Provinzialstatthal-
ter hatte der Senator nicht mehr wie bisher von seines Gleichen,
sondern von Grosshändlern und Banquiers die Entscheidung zu
erwarten über seine bürgerliche Existenz. Die Fehden zwischen
den römischen Capitalisten und den römischen Statthaltern ver-
pflanzten sich aus der Provinzialverwaltung auf den bedenklichen
Boden der Rechenschaftsprozesse. Die Aristokratie der Reichen
war nicht bloss gespalten, sondern es war auch dafür gesorgt,
dass der Zwist immer neue Nahrung und leichten Ausdruck finde.

Mit den also bereiteten Waffen, dem Proletariat und dem
Kaufmannsstand ging Gracchus an sein Hauptwerk, an den Sturz
der regierenden Aristokratie. Den Senat stürzen hiess einerseits
durch gesetzliche Neuerungen seine wesentliche Competenz ihm
entziehen, andrerseits durch Massregeln mehr persönlicher und
transitorischer Art die bestehende Aristokratie zu Grunde richten;
Gracchus hat beides gethan. Vor allem die Verwaltung hatte bisher
dem Senat ausschliesslich zugestanden; Gracchus nahm sie ihm
ab, indem er theils die wichtigsten Administrativfragen durch
Comitialgesetze, das heisst thatsächlich durch Machtsprüche ent-
schied, theils in den laufenden Angelegenheiten den Senat mög-
lichst beschränkte, theils selbst in der umfassendsten Weise die
Geschäfte an sich zog. Die Massregeln der ersten Gattung sind
schon erwähnt; der neue Herr des Staats disponirte ohne den
Senat zu fragen über die Staatskasse, indem er durch die
Getreidevertheilung den öffentlichen Finanzen eine dauernde und
drückende Last aufbürdete, über die Domänen, indem er Colo-
nien nicht wie bisher nach Senats-, sondern nach Volksschluss
aussandte, über die Provinzialverwaltung, indem er die vom Se-
nat der Provinz Asia gegebene Steuerverfassung durch ein Volks-
gesetz umstiess und eine durchaus andere an deren Stelle setzte.
Eines der wichtigsten unter den laufenden Geschäften des Se-
nats, die willkürliche Feststellung der jedesmaligen Competenz

VIERTES BUCH. KAPITEL III.
ten im Staat gegeben hatte, die Regierung als verwaltende und
controlirende, die Bürgerschaft als legislative Behörde, die Ge-
richte aber zwischen beiden getheilt waren, jetzt die Geldari-
stokratie nicht bloſs auf der soliden Basis der materiellen Inter-
essen als eine fest geschlossene und privilegirte Klasse sich con-
solidirte, sondern auch als richtende und controlirende Gewalt
in den Staat eintrat und der regierenden Aristokratie sich fast
ebenbürtig zur Seite stellte. All die alten Antipathien der Kauf-
leute gegen den Adel muſsten fortan in den Wahrsprüchen der
Geschwornen einen nur zu praktischen Ausdruck finden; vor al-
len Dingen in den Rechenschaftsgerichten der Provinzialstatthal-
ter hatte der Senator nicht mehr wie bisher von seines Gleichen,
sondern von Groſshändlern und Banquiers die Entscheidung zu
erwarten über seine bürgerliche Existenz. Die Fehden zwischen
den römischen Capitalisten und den römischen Statthaltern ver-
pflanzten sich aus der Provinzialverwaltung auf den bedenklichen
Boden der Rechenschaftsprozesse. Die Aristokratie der Reichen
war nicht bloſs gespalten, sondern es war auch dafür gesorgt,
daſs der Zwist immer neue Nahrung und leichten Ausdruck finde.

Mit den also bereiteten Waffen, dem Proletariat und dem
Kaufmannsstand ging Gracchus an sein Hauptwerk, an den Sturz
der regierenden Aristokratie. Den Senat stürzen hieſs einerseits
durch gesetzliche Neuerungen seine wesentliche Competenz ihm
entziehen, andrerseits durch Maſsregeln mehr persönlicher und
transitorischer Art die bestehende Aristokratie zu Grunde richten;
Gracchus hat beides gethan. Vor allem die Verwaltung hatte bisher
dem Senat ausschlieſslich zugestanden; Gracchus nahm sie ihm
ab, indem er theils die wichtigsten Administrativfragen durch
Comitialgesetze, das heiſst thatsächlich durch Machtsprüche ent-
schied, theils in den laufenden Angelegenheiten den Senat mög-
lichst beschränkte, theils selbst in der umfassendsten Weise die
Geschäfte an sich zog. Die Maſsregeln der ersten Gattung sind
schon erwähnt; der neue Herr des Staats disponirte ohne den
Senat zu fragen über die Staatskasse, indem er durch die
Getreidevertheilung den öffentlichen Finanzen eine dauernde und
drückende Last aufbürdete, über die Domänen, indem er Colo-
nien nicht wie bisher nach Senats-, sondern nach Volksschluſs
aussandte, über die Provinzialverwaltung, indem er die vom Se-
nat der Provinz Asia gegebene Steuerverfassung durch ein Volks-
gesetz umstieſs und eine durchaus andere an deren Stelle setzte.
Eines der wichtigsten unter den laufenden Geschäften des Se-
nats, die willkürliche Feststellung der jedesmaligen Competenz

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0116" n="106"/><fw place="top" type="header">VIERTES BUCH. KAPITEL III.</fw><lb/>
ten im Staat gegeben hatte, die Regierung als verwaltende und<lb/>
controlirende, die Bürgerschaft als legislative Behörde, die Ge-<lb/>
richte aber zwischen beiden getheilt waren, jetzt die Geldari-<lb/>
stokratie nicht blo&#x017F;s auf der soliden Basis der materiellen Inter-<lb/>
essen als eine fest geschlossene und privilegirte Klasse sich con-<lb/>
solidirte, sondern auch als richtende und controlirende Gewalt<lb/>
in den Staat eintrat und der regierenden Aristokratie sich fast<lb/>
ebenbürtig zur Seite stellte. All die alten Antipathien der Kauf-<lb/>
leute gegen den Adel mu&#x017F;sten fortan in den Wahrsprüchen der<lb/>
Geschwornen einen nur zu praktischen Ausdruck finden; vor al-<lb/>
len Dingen in den Rechenschaftsgerichten der Provinzialstatthal-<lb/>
ter hatte der Senator nicht mehr wie bisher von seines Gleichen,<lb/>
sondern von Gro&#x017F;shändlern und Banquiers die Entscheidung zu<lb/>
erwarten über seine bürgerliche Existenz. Die Fehden zwischen<lb/>
den römischen Capitalisten und den römischen Statthaltern ver-<lb/>
pflanzten sich aus der Provinzialverwaltung auf den bedenklichen<lb/>
Boden der Rechenschaftsprozesse. Die Aristokratie der Reichen<lb/>
war nicht blo&#x017F;s gespalten, sondern es war auch dafür gesorgt,<lb/>
da&#x017F;s der Zwist immer neue Nahrung und leichten Ausdruck finde.</p><lb/>
          <p>Mit den also bereiteten Waffen, dem Proletariat und dem<lb/>
Kaufmannsstand ging Gracchus an sein Hauptwerk, an den Sturz<lb/>
der regierenden Aristokratie. Den Senat stürzen hie&#x017F;s einerseits<lb/>
durch gesetzliche Neuerungen seine wesentliche Competenz ihm<lb/>
entziehen, andrerseits durch Ma&#x017F;sregeln mehr persönlicher und<lb/>
transitorischer Art die bestehende Aristokratie zu Grunde richten;<lb/>
Gracchus hat beides gethan. Vor allem die Verwaltung hatte bisher<lb/>
dem Senat ausschlie&#x017F;slich zugestanden; Gracchus nahm sie ihm<lb/>
ab, indem er theils die wichtigsten Administrativfragen durch<lb/>
Comitialgesetze, das hei&#x017F;st thatsächlich durch Machtsprüche ent-<lb/>
schied, theils in den laufenden Angelegenheiten den Senat mög-<lb/>
lichst beschränkte, theils selbst in der umfassendsten Weise die<lb/>
Geschäfte an sich zog. Die Ma&#x017F;sregeln der ersten Gattung sind<lb/>
schon erwähnt; der neue Herr des Staats disponirte ohne den<lb/>
Senat zu fragen über die Staatskasse, indem er durch die<lb/>
Getreidevertheilung den öffentlichen Finanzen eine dauernde und<lb/>
drückende Last aufbürdete, über die Domänen, indem er Colo-<lb/>
nien nicht wie bisher nach Senats-, sondern nach Volksschlu&#x017F;s<lb/>
aussandte, über die Provinzialverwaltung, indem er die vom Se-<lb/>
nat der Provinz Asia gegebene Steuerverfassung durch ein Volks-<lb/>
gesetz umstie&#x017F;s und eine durchaus andere an deren Stelle setzte.<lb/>
Eines der wichtigsten unter den laufenden Geschäften des Se-<lb/>
nats, die willkürliche Feststellung der jedesmaligen Competenz<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[106/0116] VIERTES BUCH. KAPITEL III. ten im Staat gegeben hatte, die Regierung als verwaltende und controlirende, die Bürgerschaft als legislative Behörde, die Ge- richte aber zwischen beiden getheilt waren, jetzt die Geldari- stokratie nicht bloſs auf der soliden Basis der materiellen Inter- essen als eine fest geschlossene und privilegirte Klasse sich con- solidirte, sondern auch als richtende und controlirende Gewalt in den Staat eintrat und der regierenden Aristokratie sich fast ebenbürtig zur Seite stellte. All die alten Antipathien der Kauf- leute gegen den Adel muſsten fortan in den Wahrsprüchen der Geschwornen einen nur zu praktischen Ausdruck finden; vor al- len Dingen in den Rechenschaftsgerichten der Provinzialstatthal- ter hatte der Senator nicht mehr wie bisher von seines Gleichen, sondern von Groſshändlern und Banquiers die Entscheidung zu erwarten über seine bürgerliche Existenz. Die Fehden zwischen den römischen Capitalisten und den römischen Statthaltern ver- pflanzten sich aus der Provinzialverwaltung auf den bedenklichen Boden der Rechenschaftsprozesse. Die Aristokratie der Reichen war nicht bloſs gespalten, sondern es war auch dafür gesorgt, daſs der Zwist immer neue Nahrung und leichten Ausdruck finde. Mit den also bereiteten Waffen, dem Proletariat und dem Kaufmannsstand ging Gracchus an sein Hauptwerk, an den Sturz der regierenden Aristokratie. Den Senat stürzen hieſs einerseits durch gesetzliche Neuerungen seine wesentliche Competenz ihm entziehen, andrerseits durch Maſsregeln mehr persönlicher und transitorischer Art die bestehende Aristokratie zu Grunde richten; Gracchus hat beides gethan. Vor allem die Verwaltung hatte bisher dem Senat ausschlieſslich zugestanden; Gracchus nahm sie ihm ab, indem er theils die wichtigsten Administrativfragen durch Comitialgesetze, das heiſst thatsächlich durch Machtsprüche ent- schied, theils in den laufenden Angelegenheiten den Senat mög- lichst beschränkte, theils selbst in der umfassendsten Weise die Geschäfte an sich zog. Die Maſsregeln der ersten Gattung sind schon erwähnt; der neue Herr des Staats disponirte ohne den Senat zu fragen über die Staatskasse, indem er durch die Getreidevertheilung den öffentlichen Finanzen eine dauernde und drückende Last aufbürdete, über die Domänen, indem er Colo- nien nicht wie bisher nach Senats-, sondern nach Volksschluſs aussandte, über die Provinzialverwaltung, indem er die vom Se- nat der Provinz Asia gegebene Steuerverfassung durch ein Volks- gesetz umstieſs und eine durchaus andere an deren Stelle setzte. Eines der wichtigsten unter den laufenden Geschäften des Se- nats, die willkürliche Feststellung der jedesmaligen Competenz

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/116
Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/116>, abgerufen am 07.05.2024.