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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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COALITION DER PRAETENDENTEN.
ihr durch die Bürgerschaft zu verschaffen; Crassus endlich, der
unvermeidliche, durfte wenigstens dem Bunde sich anschliessen,
freilich ohne für den Beitritt, den er nicht versagen konnte, eine
bestimmte Vergütung zugesagt zu erhalten. Es waren genau die-
selben Elemente, ja dieselben Personen, die im Herbst 683 und
die im Sommer 694 den Bund mit einander schlossen; aber
wie so ganz anders standen doch damals und jetzt die Parteien!
Damals war die Demokratie nichts als eine politische Partei, ihre
Verbündeten siegreiche an der Spitze ihrer Armeen stehende
Feldherren; jetzt war der Führer der Demokraten ein sieg-
gekrönter von grossartigen militärischen Entwürfen erfüllter Im-
perator, die Bundesgenossen gewesene Generale ohne Armee.
Damals siegte die Demokratie in Principienfragen und räumte um
diesen Preis die höchsten Staatsämter ihren beiden Verbündeten
ein; jetzt war sie praktischer geworden und nahm die höchste
bürgerliche und militärische Gewalt für sich selber, wogegen nur
in untergeordneten Verwaltungsfragen den Bundesgenossen Con-
cessionen gemacht und, bezeichnend genug, nicht einmal Pom-
peius alte Forderung eines zweiten Consulats berücksichtigt wurde.
Damals gab sich die Demokratie ihren Verbündeten hin; jetzt
mussten diese sich ihr anvertrauen. Alle Verhältnisse sind voll-
ständig verändert, am meisten jedoch der Charakter der Demo-
kratie selbst. Wohl hatte dieselbe, seit sie überhaupt war, im in-
nersten Kern ein monarchisches Element in sich getragen; allein
die ideale Monarchie, wie sie ihren besten Köpfen in mehr oder
minder deutlichen Umrissen vorschwebte, blieb doch immer ein
bürgerliches Gemeinwesen, eine perikleische Staatsordnung, in
der die Macht des Fürsten darauf beruhte, dass er die Bürger-
schaft in edelster und vollkommenster Weise vertrat und der voll-
kommenste und edelste Theil der Bürgerschaft ihren rechten Ver-
trauensmann in ihm erkannte. Auch Caesar ist von solchen idealen
Anschauungen ausgegangen; aber es waren nun einmal Ideale,
die wohl auf die Realitäten einwirken, aber nicht geradezu reali-
sirt werden konnten. Weder die einfache bürgerliche Gewalt, wie
Gaius Gracchus sie besessen hatte, noch die Bewaffnung der de-
mokratischen Partei, wie sie Cinna freilich in sehr unzulänglicher
Art versuchte, vermochten in dem römischen Gemeinwesen als
dauerndes Schwergewicht sich zu behaupten; die nicht für eine
Partei, sondern für einen Feldherrn fechtende Heeresmaschine,
die rohe Macht der Condottieri zeigte, nachdem sie zuerst im
Dienste der Restauration auf den Schauplatz getreten war, bald
allen politischen Parteien sich unbedingt überlegen. Auch Caesar

COALITION DER PRAETENDENTEN.
ihr durch die Bürgerschaft zu verschaffen; Crassus endlich, der
unvermeidliche, durfte wenigstens dem Bunde sich anschlieſsen,
freilich ohne für den Beitritt, den er nicht versagen konnte, eine
bestimmte Vergütung zugesagt zu erhalten. Es waren genau die-
selben Elemente, ja dieselben Personen, die im Herbst 683 und
die im Sommer 694 den Bund mit einander schlossen; aber
wie so ganz anders standen doch damals und jetzt die Parteien!
Damals war die Demokratie nichts als eine politische Partei, ihre
Verbündeten siegreiche an der Spitze ihrer Armeen stehende
Feldherren; jetzt war der Führer der Demokraten ein sieg-
gekrönter von groſsartigen militärischen Entwürfen erfüllter Im-
perator, die Bundesgenossen gewesene Generale ohne Armee.
Damals siegte die Demokratie in Principienfragen und räumte um
diesen Preis die höchsten Staatsämter ihren beiden Verbündeten
ein; jetzt war sie praktischer geworden und nahm die höchste
bürgerliche und militärische Gewalt für sich selber, wogegen nur
in untergeordneten Verwaltungsfragen den Bundesgenossen Con-
cessionen gemacht und, bezeichnend genug, nicht einmal Pom-
peius alte Forderung eines zweiten Consulats berücksichtigt wurde.
Damals gab sich die Demokratie ihren Verbündeten hin; jetzt
muſsten diese sich ihr anvertrauen. Alle Verhältnisse sind voll-
ständig verändert, am meisten jedoch der Charakter der Demo-
kratie selbst. Wohl hatte dieselbe, seit sie überhaupt war, im in-
nersten Kern ein monarchisches Element in sich getragen; allein
die ideale Monarchie, wie sie ihren besten Köpfen in mehr oder
minder deutlichen Umrissen vorschwebte, blieb doch immer ein
bürgerliches Gemeinwesen, eine perikleische Staatsordnung, in
der die Macht des Fürsten darauf beruhte, daſs er die Bürger-
schaft in edelster und vollkommenster Weise vertrat und der voll-
kommenste und edelste Theil der Bürgerschaft ihren rechten Ver-
trauensmann in ihm erkannte. Auch Caesar ist von solchen idealen
Anschauungen ausgegangen; aber es waren nun einmal Ideale,
die wohl auf die Realitäten einwirken, aber nicht geradezu reali-
sirt werden konnten. Weder die einfache bürgerliche Gewalt, wie
Gaius Gracchus sie besessen hatte, noch die Bewaffnung der de-
mokratischen Partei, wie sie Cinna freilich in sehr unzulänglicher
Art versuchte, vermochten in dem römischen Gemeinwesen als
dauerndes Schwergewicht sich zu behaupten; die nicht für eine
Partei, sondern für einen Feldherrn fechtende Heeresmaschine,
die rohe Macht der Condottieri zeigte, nachdem sie zuerst im
Dienste der Restauration auf den Schauplatz getreten war, bald
allen politischen Parteien sich unbedingt überlegen. Auch Caesar

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[191/0201] COALITION DER PRAETENDENTEN. ihr durch die Bürgerschaft zu verschaffen; Crassus endlich, der unvermeidliche, durfte wenigstens dem Bunde sich anschlieſsen, freilich ohne für den Beitritt, den er nicht versagen konnte, eine bestimmte Vergütung zugesagt zu erhalten. Es waren genau die- selben Elemente, ja dieselben Personen, die im Herbst 683 und die im Sommer 694 den Bund mit einander schlossen; aber wie so ganz anders standen doch damals und jetzt die Parteien! Damals war die Demokratie nichts als eine politische Partei, ihre Verbündeten siegreiche an der Spitze ihrer Armeen stehende Feldherren; jetzt war der Führer der Demokraten ein sieg- gekrönter von groſsartigen militärischen Entwürfen erfüllter Im- perator, die Bundesgenossen gewesene Generale ohne Armee. Damals siegte die Demokratie in Principienfragen und räumte um diesen Preis die höchsten Staatsämter ihren beiden Verbündeten ein; jetzt war sie praktischer geworden und nahm die höchste bürgerliche und militärische Gewalt für sich selber, wogegen nur in untergeordneten Verwaltungsfragen den Bundesgenossen Con- cessionen gemacht und, bezeichnend genug, nicht einmal Pom- peius alte Forderung eines zweiten Consulats berücksichtigt wurde. Damals gab sich die Demokratie ihren Verbündeten hin; jetzt muſsten diese sich ihr anvertrauen. Alle Verhältnisse sind voll- ständig verändert, am meisten jedoch der Charakter der Demo- kratie selbst. Wohl hatte dieselbe, seit sie überhaupt war, im in- nersten Kern ein monarchisches Element in sich getragen; allein die ideale Monarchie, wie sie ihren besten Köpfen in mehr oder minder deutlichen Umrissen vorschwebte, blieb doch immer ein bürgerliches Gemeinwesen, eine perikleische Staatsordnung, in der die Macht des Fürsten darauf beruhte, daſs er die Bürger- schaft in edelster und vollkommenster Weise vertrat und der voll- kommenste und edelste Theil der Bürgerschaft ihren rechten Ver- trauensmann in ihm erkannte. Auch Caesar ist von solchen idealen Anschauungen ausgegangen; aber es waren nun einmal Ideale, die wohl auf die Realitäten einwirken, aber nicht geradezu reali- sirt werden konnten. Weder die einfache bürgerliche Gewalt, wie Gaius Gracchus sie besessen hatte, noch die Bewaffnung der de- mokratischen Partei, wie sie Cinna freilich in sehr unzulänglicher Art versuchte, vermochten in dem römischen Gemeinwesen als dauerndes Schwergewicht sich zu behaupten; die nicht für eine Partei, sondern für einen Feldherrn fechtende Heeresmaschine, die rohe Macht der Condottieri zeigte, nachdem sie zuerst im Dienste der Restauration auf den Schauplatz getreten war, bald allen politischen Parteien sich unbedingt überlegen. Auch Caesar

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/201>, abgerufen am 30.04.2024.