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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
chische Aerzte und Rhetoren in den gallischen Cantons von
Gemeinde wegen angestellt. Allein begreiflicher Weise erhielt
der Hellenismus durch die Römer im südlichen Keltenland den-
selben Charakter, den er in Italien trug: die specifisch hellenische
Civilisation ward überwogen durch die lateinisch-griechische
Mischcultur, die bald hier Proselyten in grosser Anzahl machte.
Die ,Hosengallier', wie man im Gegensatz zu den norditalischen
,Galliern in der Toga' die Bewohner des südlichen Keltenlandes
nannte, waren zwar nicht wie diese bereits vollständig romani-
sirt, aber sie unterschieden sich doch schon sehr merklich von
den ,langhaarigen Galliern' der noch unbezwungenen nördlichen
Landschaften. Die hier sich einbürgernde Halbcultur gab zwar
Stoff genug her zu Spöttereien über ihr barbarisches Latein und
man unterliess es nicht dem, der im Verdacht keltischer Abstam-
mung stand, seine ,behoste Verwandtschaft' zu Gemüthe zu füh-
ren; aber sie reichte doch aus um selbst den entfernten Allo-
brogen den Geschäftsverkehr mit den römischen Behörden und
sogar das Ablegen von Zeugnissen in römischen Gerichten ohne
Dollmetsch möglich zu machen. -- Wenn also die keltische und
ligurische Bevölkerung dieser Gegenden auf dem Wege war ihre
Nationalität einzubüssen und daneben siechte und verkümmerte
unter einem politischen und ökonomischen Druck, von dessen
Unerträglichkeit die hoffnungslosen Aufstände hinreichend Zeug-
niss ablegen, so darf doch dabei nicht übersehen werden, dass
der Untergang der eingebornen Bevölkerung auch hier Hand in
Hand ging mit der Einbürgerung derselben höheren Cultur, wie
wir sie in dieser Zeit in Italien finden. Aquae Sextiae und mehr
noch Narbo waren ansehnliche Ortschaften, die wohl neben Bene-
vent und Capua genannt werden mochten; und Massalia, die
bestgeordnete, freieste, wehrhafteste, mächtigste unter allen von
Rom abhängigen griechischen Städten, unter ihrem streng ari-
stokratischen Regiment, auf das die römischen Conservativen
wohl als auf das Muster einer guten Stadtverfassung hinwiesen,
im Besitz eines bedeutenden von den Römern ansehnlich ver-
grösserten Gebiets und eines ausgebreiteten Handels, stand neben
jenen latinischen Städten wie in Italien neben Capua und Bene-
vent Rhegion und Neapolis.

Anders sah es aus, wenn man die römische Grenze über-
schritt. Die grosse keltische Nation, die in den südlichen Land-
schaften schon von der italischen Einwanderung anfing unter-
drückt zu werden, bewegte sich nördlich der Cevennen noch in
althergebrachter Freiheit. Es ist nicht das erste Mal, dass wir ihr

DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
chische Aerzte und Rhetoren in den gallischen Cantons von
Gemeinde wegen angestellt. Allein begreiflicher Weise erhielt
der Hellenismus durch die Römer im südlichen Keltenland den-
selben Charakter, den er in Italien trug: die specifisch hellenische
Civilisation ward überwogen durch die lateinisch-griechische
Mischcultur, die bald hier Proselyten in groſser Anzahl machte.
Die ‚Hosengallier‘, wie man im Gegensatz zu den norditalischen
‚Galliern in der Toga‘ die Bewohner des südlichen Keltenlandes
nannte, waren zwar nicht wie diese bereits vollständig romani-
sirt, aber sie unterschieden sich doch schon sehr merklich von
den ‚langhaarigen Galliern‘ der noch unbezwungenen nördlichen
Landschaften. Die hier sich einbürgernde Halbcultur gab zwar
Stoff genug her zu Spöttereien über ihr barbarisches Latein und
man unterlieſs es nicht dem, der im Verdacht keltischer Abstam-
mung stand, seine ‚behoste Verwandtschaft‘ zu Gemüthe zu füh-
ren; aber sie reichte doch aus um selbst den entfernten Allo-
brogen den Geschäftsverkehr mit den römischen Behörden und
sogar das Ablegen von Zeugnissen in römischen Gerichten ohne
Dollmetsch möglich zu machen. — Wenn also die keltische und
ligurische Bevölkerung dieser Gegenden auf dem Wege war ihre
Nationalität einzubüſsen und daneben siechte und verkümmerte
unter einem politischen und ökonomischen Druck, von dessen
Unerträglichkeit die hoffnungslosen Aufstände hinreichend Zeug-
niſs ablegen, so darf doch dabei nicht übersehen werden, daſs
der Untergang der eingebornen Bevölkerung auch hier Hand in
Hand ging mit der Einbürgerung derselben höheren Cultur, wie
wir sie in dieser Zeit in Italien finden. Aquae Sextiae und mehr
noch Narbo waren ansehnliche Ortschaften, die wohl neben Bene-
vent und Capua genannt werden mochten; und Massalia, die
bestgeordnete, freieste, wehrhafteste, mächtigste unter allen von
Rom abhängigen griechischen Städten, unter ihrem streng ari-
stokratischen Regiment, auf das die römischen Conservativen
wohl als auf das Muster einer guten Stadtverfassung hinwiesen,
im Besitz eines bedeutenden von den Römern ansehnlich ver-
gröſserten Gebiets und eines ausgebreiteten Handels, stand neben
jenen latinischen Städten wie in Italien neben Capua und Bene-
vent Rhegion und Neapolis.

Anders sah es aus, wenn man die römische Grenze über-
schritt. Die groſse keltische Nation, die in den südlichen Land-
schaften schon von der italischen Einwanderung anfing unter-
drückt zu werden, bewegte sich nördlich der Cevennen noch in
althergebrachter Freiheit. Es ist nicht das erste Mal, daſs wir ihr

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[207/0217] DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS. chische Aerzte und Rhetoren in den gallischen Cantons von Gemeinde wegen angestellt. Allein begreiflicher Weise erhielt der Hellenismus durch die Römer im südlichen Keltenland den- selben Charakter, den er in Italien trug: die specifisch hellenische Civilisation ward überwogen durch die lateinisch-griechische Mischcultur, die bald hier Proselyten in groſser Anzahl machte. Die ‚Hosengallier‘, wie man im Gegensatz zu den norditalischen ‚Galliern in der Toga‘ die Bewohner des südlichen Keltenlandes nannte, waren zwar nicht wie diese bereits vollständig romani- sirt, aber sie unterschieden sich doch schon sehr merklich von den ‚langhaarigen Galliern‘ der noch unbezwungenen nördlichen Landschaften. Die hier sich einbürgernde Halbcultur gab zwar Stoff genug her zu Spöttereien über ihr barbarisches Latein und man unterlieſs es nicht dem, der im Verdacht keltischer Abstam- mung stand, seine ‚behoste Verwandtschaft‘ zu Gemüthe zu füh- ren; aber sie reichte doch aus um selbst den entfernten Allo- brogen den Geschäftsverkehr mit den römischen Behörden und sogar das Ablegen von Zeugnissen in römischen Gerichten ohne Dollmetsch möglich zu machen. — Wenn also die keltische und ligurische Bevölkerung dieser Gegenden auf dem Wege war ihre Nationalität einzubüſsen und daneben siechte und verkümmerte unter einem politischen und ökonomischen Druck, von dessen Unerträglichkeit die hoffnungslosen Aufstände hinreichend Zeug- niſs ablegen, so darf doch dabei nicht übersehen werden, daſs der Untergang der eingebornen Bevölkerung auch hier Hand in Hand ging mit der Einbürgerung derselben höheren Cultur, wie wir sie in dieser Zeit in Italien finden. Aquae Sextiae und mehr noch Narbo waren ansehnliche Ortschaften, die wohl neben Bene- vent und Capua genannt werden mochten; und Massalia, die bestgeordnete, freieste, wehrhafteste, mächtigste unter allen von Rom abhängigen griechischen Städten, unter ihrem streng ari- stokratischen Regiment, auf das die römischen Conservativen wohl als auf das Muster einer guten Stadtverfassung hinwiesen, im Besitz eines bedeutenden von den Römern ansehnlich ver- gröſserten Gebiets und eines ausgebreiteten Handels, stand neben jenen latinischen Städten wie in Italien neben Capua und Bene- vent Rhegion und Neapolis. Anders sah es aus, wenn man die römische Grenze über- schritt. Die groſse keltische Nation, die in den südlichen Land- schaften schon von der italischen Einwanderung anfing unter- drückt zu werden, bewegte sich nördlich der Cevennen noch in althergebrachter Freiheit. Es ist nicht das erste Mal, daſs wir ihr

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/217>, abgerufen am 30.04.2024.