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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
seeischen Handels und der Fischerei. Es waren die Kelten na-
mentlich der Bretagne, die das Zinn der Gruben von Cornwallis
aus England holten und es auf den Fluss- und Landstrassen des
Keltenlandes nach Narbo und Massalia verfuhren. Die Angabe,
dass zu Caesars Zeit einzelne Völkerschaften an der Rheinmün-
dung von Fischen und Vogeleiern lebten, darf man wohl darauf
deuten, dass hier die Seefischerei und das Einsammeln der See-
vögeleier in ausgedehntem Umfang betrieben ward. Fasst man
die vereinzelten und spärlichen Angaben, die über den keltischen
Handel und Verkehr uns geblieben sind, in Gedanken ergänzend
zusammen, so begreift man wohl, dass die Zölle der Fluss- und
Seehäfen in den Budgets einzelner Cantons, z. B. in dem der
Haeduer und der Veneter, eine grosse Rolle spielen und dass der
Hauptgott der Nation ihr galt als der Beschützer der Strassen
und des Handels und zugleich als Erfinder der Gewerke. Ganz
nichtig kann danach auch die keltische Industrie nicht gewesen
sein. In den meisten Zweigen scheint dieselbe allerdings sich nicht
über das Mass des Gewöhnlichen erhoben zu haben und die spä-
ter im mittleren und nördlichen Gallien blühende Fabrication lei-
nener und wollener Stoffe ist nachweislich erst durch die Rö-
mer ins Leben gerufen worden. Eine Ausnahme aber, und so
viel wir wissen, die einzige macht die Bereitung der Metalle. Das
nicht selten technisch vorzügliche und noch jetzt geschmeidige
Kupfergeräth, das in den Gräbern des Keltenlandes zum Vor-
schein kommt, und die sorgfältig justirten arvernischen Gold-
münzen sind heute noch lebendige Zeugen der Geschicklichkeit
der keltischen Kupfer- und Goldarbeiter; und wohl stimmen dazu
die Berichte der Alten, dass die Römer von den Biturigen das
Verzinnen, von den Alesinern das Versilbern lernten -- Erfin-
dungen, von denen die erste durch den Zinnhandel nahe genug
gelegt war und die doch wahrscheinlich beide noch in der Zeit
der keltischen Freiheit gemacht worden sind. Hand in Hand mit
der Gewandtheit in der Bearbeitung der Metalle ging die Kunst
sie zu gewinnen, die zum Theil, namentlich in den Eisengruben
an der Loire, eine solche bergmännische Höhe erreicht hatte, dass
die Grubenarbeiter bei den Belagerungen eine bedeutende Rolle
spielten. Die den Römern dieser Zeit geläufige Meinung, dass Gal-
lien eines der goldreichsten Länder der Erde sei, wird freilich wi-
derlegt durch die wohlbekannten Bodenverhältnisse und durch die
Fundbestände der keltischen Gräber, in denen Gold nur sparsam
und bei weitem minder häufig als in den gleichartigen Funden
der wahren Heimathländer des Goldes erscheint. Jenem Gerede

14 *

DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
seeischen Handels und der Fischerei. Es waren die Kelten na-
mentlich der Bretagne, die das Zinn der Gruben von Cornwallis
aus England holten und es auf den Fluſs- und Landstraſsen des
Keltenlandes nach Narbo und Massalia verfuhren. Die Angabe,
daſs zu Caesars Zeit einzelne Völkerschaften an der Rheinmün-
dung von Fischen und Vogeleiern lebten, darf man wohl darauf
deuten, daſs hier die Seefischerei und das Einsammeln der See-
vögeleier in ausgedehntem Umfang betrieben ward. Faſst man
die vereinzelten und spärlichen Angaben, die über den keltischen
Handel und Verkehr uns geblieben sind, in Gedanken ergänzend
zusammen, so begreift man wohl, daſs die Zölle der Fluſs- und
Seehäfen in den Budgets einzelner Cantons, z. B. in dem der
Haeduer und der Veneter, eine groſse Rolle spielen und daſs der
Hauptgott der Nation ihr galt als der Beschützer der Straſsen
und des Handels und zugleich als Erfinder der Gewerke. Ganz
nichtig kann danach auch die keltische Industrie nicht gewesen
sein. In den meisten Zweigen scheint dieselbe allerdings sich nicht
über das Maſs des Gewöhnlichen erhoben zu haben und die spä-
ter im mittleren und nördlichen Gallien blühende Fabrication lei-
nener und wollener Stoffe ist nachweislich erst durch die Rö-
mer ins Leben gerufen worden. Eine Ausnahme aber, und so
viel wir wissen, die einzige macht die Bereitung der Metalle. Das
nicht selten technisch vorzügliche und noch jetzt geschmeidige
Kupfergeräth, das in den Gräbern des Keltenlandes zum Vor-
schein kommt, und die sorgfältig justirten arvernischen Gold-
münzen sind heute noch lebendige Zeugen der Geschicklichkeit
der keltischen Kupfer- und Goldarbeiter; und wohl stimmen dazu
die Berichte der Alten, daſs die Römer von den Biturigen das
Verzinnen, von den Alesinern das Versilbern lernten — Erfin-
dungen, von denen die erste durch den Zinnhandel nahe genug
gelegt war und die doch wahrscheinlich beide noch in der Zeit
der keltischen Freiheit gemacht worden sind. Hand in Hand mit
der Gewandtheit in der Bearbeitung der Metalle ging die Kunst
sie zu gewinnen, die zum Theil, namentlich in den Eisengruben
an der Loire, eine solche bergmännische Höhe erreicht hatte, daſs
die Grubenarbeiter bei den Belagerungen eine bedeutende Rolle
spielten. Die den Römern dieser Zeit geläufige Meinung, daſs Gal-
lien eines der goldreichsten Länder der Erde sei, wird freilich wi-
derlegt durch die wohlbekannten Bodenverhältnisse und durch die
Fundbestände der keltischen Gräber, in denen Gold nur sparsam
und bei weitem minder häufig als in den gleichartigen Funden
der wahren Heimathländer des Goldes erscheint. Jenem Gerede

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[211/0221] DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS. seeischen Handels und der Fischerei. Es waren die Kelten na- mentlich der Bretagne, die das Zinn der Gruben von Cornwallis aus England holten und es auf den Fluſs- und Landstraſsen des Keltenlandes nach Narbo und Massalia verfuhren. Die Angabe, daſs zu Caesars Zeit einzelne Völkerschaften an der Rheinmün- dung von Fischen und Vogeleiern lebten, darf man wohl darauf deuten, daſs hier die Seefischerei und das Einsammeln der See- vögeleier in ausgedehntem Umfang betrieben ward. Faſst man die vereinzelten und spärlichen Angaben, die über den keltischen Handel und Verkehr uns geblieben sind, in Gedanken ergänzend zusammen, so begreift man wohl, daſs die Zölle der Fluſs- und Seehäfen in den Budgets einzelner Cantons, z. B. in dem der Haeduer und der Veneter, eine groſse Rolle spielen und daſs der Hauptgott der Nation ihr galt als der Beschützer der Straſsen und des Handels und zugleich als Erfinder der Gewerke. Ganz nichtig kann danach auch die keltische Industrie nicht gewesen sein. In den meisten Zweigen scheint dieselbe allerdings sich nicht über das Maſs des Gewöhnlichen erhoben zu haben und die spä- ter im mittleren und nördlichen Gallien blühende Fabrication lei- nener und wollener Stoffe ist nachweislich erst durch die Rö- mer ins Leben gerufen worden. Eine Ausnahme aber, und so viel wir wissen, die einzige macht die Bereitung der Metalle. Das nicht selten technisch vorzügliche und noch jetzt geschmeidige Kupfergeräth, das in den Gräbern des Keltenlandes zum Vor- schein kommt, und die sorgfältig justirten arvernischen Gold- münzen sind heute noch lebendige Zeugen der Geschicklichkeit der keltischen Kupfer- und Goldarbeiter; und wohl stimmen dazu die Berichte der Alten, daſs die Römer von den Biturigen das Verzinnen, von den Alesinern das Versilbern lernten — Erfin- dungen, von denen die erste durch den Zinnhandel nahe genug gelegt war und die doch wahrscheinlich beide noch in der Zeit der keltischen Freiheit gemacht worden sind. Hand in Hand mit der Gewandtheit in der Bearbeitung der Metalle ging die Kunst sie zu gewinnen, die zum Theil, namentlich in den Eisengruben an der Loire, eine solche bergmännische Höhe erreicht hatte, daſs die Grubenarbeiter bei den Belagerungen eine bedeutende Rolle spielten. Die den Römern dieser Zeit geläufige Meinung, daſs Gal- lien eines der goldreichsten Länder der Erde sei, wird freilich wi- derlegt durch die wohlbekannten Bodenverhältnisse und durch die Fundbestände der keltischen Gräber, in denen Gold nur sparsam und bei weitem minder häufig als in den gleichartigen Funden der wahren Heimathländer des Goldes erscheint. Jenem Gerede 14 *

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/221>, abgerufen am 30.04.2024.