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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
liegen die vermuthlich stark gefärbten Schilderungen von der ar-
vernischen Königspracht (II, 154) und den Tempelschätzen von
Tolosa (II, 168) zu Grunde; es ist aber doch nicht völlig aus der
Luft gegriffen. Es ist sehr glaublich, dass in und an den Flüssen,
welche aus den Alpen und den Pyrenäen strömen, Goldwäschereien
und Goldsuchereien, die bei dem heutigen Werth der Arbeitskraft
unergiebig sind, in roheren Zeiten und bei Sclavenwirthschaft mit
Nutzen und in bedeutendem Umfang betrieben wurden; überdies
mögen die Handelsverhältnisse Galliens wie nicht selten die der
halbcivilisirten Völker das Aufhäufen eines todten Capitals edler
Metalle begünstigt haben. -- Bemerkenswerth ist der niedrige
Stand der bildenden Kunst, der bei der mechanischen Geschick-
lichkeit in Behandlung der Metalle nur um so greller hervortritt.
Die Vorliebe für bunte und glänzende Zierrathen zeigt den Mangel
an Schönheitssinn und eine leidige Bestätigung gewähren die gal-
lischen Münzen mit ihren bald übereinfach, bald abenteuerlich,
immer aber kindisch entworfenen und fast ohne Ausnahme mit
unvergleichlicher Rohheit ausgeführten Darstellungen. Es ist viel-
leicht ohne Beispiel, dass eine Jahrhunderte hindurch mit einem
gewissen technischen Geschick geübte Münzprägung sich wesent-
lich darauf beschränkt hat, zwei oder drei griechische Stempel
immer wieder und immer entstellter nachzuschneiden. Dagegen
wurde die Dichtkunst von den Kelten hoch geschätzt und ver-
wuchs eng mit den religiösen und selbst mit den politischen In-
stitutionen der Nation; wir finden die geistliche und die Hof-
und Bettelpoesie in Blüthe (II, 154). Auch Naturwissenschaft und
Philosophie fanden, wenn gleich in den Formen und den Banden
der Landestheologie, bei den Kelten eine gewisse Pflege und der
hellenische Humanismus eine bereitwillige Aufnahme, wo und wie
er an sie herantrat. Die Kunde der Schrift war wenigstens bei
den Priestern allgemein. Meistentheils bediente man sich der
griechischen, wie unter Andern zu Caesars Zeit die Helvetier tha-
ten; nur in den südlichsten Districten auch des freien Galliens
war schon damals in Folge des Verkehrs mit den romanisirten
Kelten die lateinische überwiegend, der wir zum Beispiel auf den
arvernischen Münzen dieser Zeit begegnen.

Auch die politische Entwickelung der keltischen Nation bietet
sehr bemerkenswerthe Erscheinungen. Die staatliche Verfassung
ruht bei ihr wie überall auf dem Geschlechtsgau, mit dem Für-
sten, dem Rath der Aeltesten und der Gemeinde der freien waf-
fenfähigen Männer; das aber ist ihr eigenthümlich, dass sie über
diese Gauverfassung niemals hinausgelangt ist. Bei den Griechen

FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
liegen die vermuthlich stark gefärbten Schilderungen von der ar-
vernischen Königspracht (II, 154) und den Tempelschätzen von
Tolosa (II, 168) zu Grunde; es ist aber doch nicht völlig aus der
Luft gegriffen. Es ist sehr glaublich, daſs in und an den Flüssen,
welche aus den Alpen und den Pyrenäen strömen, Goldwäschereien
und Goldsuchereien, die bei dem heutigen Werth der Arbeitskraft
unergiebig sind, in roheren Zeiten und bei Sclavenwirthschaft mit
Nutzen und in bedeutendem Umfang betrieben wurden; überdies
mögen die Handelsverhältnisse Galliens wie nicht selten die der
halbcivilisirten Völker das Aufhäufen eines todten Capitals edler
Metalle begünstigt haben. — Bemerkenswerth ist der niedrige
Stand der bildenden Kunst, der bei der mechanischen Geschick-
lichkeit in Behandlung der Metalle nur um so greller hervortritt.
Die Vorliebe für bunte und glänzende Zierrathen zeigt den Mangel
an Schönheitssinn und eine leidige Bestätigung gewähren die gal-
lischen Münzen mit ihren bald übereinfach, bald abenteuerlich,
immer aber kindisch entworfenen und fast ohne Ausnahme mit
unvergleichlicher Rohheit ausgeführten Darstellungen. Es ist viel-
leicht ohne Beispiel, daſs eine Jahrhunderte hindurch mit einem
gewissen technischen Geschick geübte Münzprägung sich wesent-
lich darauf beschränkt hat, zwei oder drei griechische Stempel
immer wieder und immer entstellter nachzuschneiden. Dagegen
wurde die Dichtkunst von den Kelten hoch geschätzt und ver-
wuchs eng mit den religiösen und selbst mit den politischen In-
stitutionen der Nation; wir finden die geistliche und die Hof-
und Bettelpoesie in Blüthe (II, 154). Auch Naturwissenschaft und
Philosophie fanden, wenn gleich in den Formen und den Banden
der Landestheologie, bei den Kelten eine gewisse Pflege und der
hellenische Humanismus eine bereitwillige Aufnahme, wo und wie
er an sie herantrat. Die Kunde der Schrift war wenigstens bei
den Priestern allgemein. Meistentheils bediente man sich der
griechischen, wie unter Andern zu Caesars Zeit die Helvetier tha-
ten; nur in den südlichsten Districten auch des freien Galliens
war schon damals in Folge des Verkehrs mit den romanisirten
Kelten die lateinische überwiegend, der wir zum Beispiel auf den
arvernischen Münzen dieser Zeit begegnen.

Auch die politische Entwickelung der keltischen Nation bietet
sehr bemerkenswerthe Erscheinungen. Die staatliche Verfassung
ruht bei ihr wie überall auf dem Geschlechtsgau, mit dem Für-
sten, dem Rath der Aeltesten und der Gemeinde der freien waf-
fenfähigen Männer; das aber ist ihr eigenthümlich, daſs sie über
diese Gauverfassung niemals hinausgelangt ist. Bei den Griechen

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[212/0222] FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII. liegen die vermuthlich stark gefärbten Schilderungen von der ar- vernischen Königspracht (II, 154) und den Tempelschätzen von Tolosa (II, 168) zu Grunde; es ist aber doch nicht völlig aus der Luft gegriffen. Es ist sehr glaublich, daſs in und an den Flüssen, welche aus den Alpen und den Pyrenäen strömen, Goldwäschereien und Goldsuchereien, die bei dem heutigen Werth der Arbeitskraft unergiebig sind, in roheren Zeiten und bei Sclavenwirthschaft mit Nutzen und in bedeutendem Umfang betrieben wurden; überdies mögen die Handelsverhältnisse Galliens wie nicht selten die der halbcivilisirten Völker das Aufhäufen eines todten Capitals edler Metalle begünstigt haben. — Bemerkenswerth ist der niedrige Stand der bildenden Kunst, der bei der mechanischen Geschick- lichkeit in Behandlung der Metalle nur um so greller hervortritt. Die Vorliebe für bunte und glänzende Zierrathen zeigt den Mangel an Schönheitssinn und eine leidige Bestätigung gewähren die gal- lischen Münzen mit ihren bald übereinfach, bald abenteuerlich, immer aber kindisch entworfenen und fast ohne Ausnahme mit unvergleichlicher Rohheit ausgeführten Darstellungen. Es ist viel- leicht ohne Beispiel, daſs eine Jahrhunderte hindurch mit einem gewissen technischen Geschick geübte Münzprägung sich wesent- lich darauf beschränkt hat, zwei oder drei griechische Stempel immer wieder und immer entstellter nachzuschneiden. Dagegen wurde die Dichtkunst von den Kelten hoch geschätzt und ver- wuchs eng mit den religiösen und selbst mit den politischen In- stitutionen der Nation; wir finden die geistliche und die Hof- und Bettelpoesie in Blüthe (II, 154). Auch Naturwissenschaft und Philosophie fanden, wenn gleich in den Formen und den Banden der Landestheologie, bei den Kelten eine gewisse Pflege und der hellenische Humanismus eine bereitwillige Aufnahme, wo und wie er an sie herantrat. Die Kunde der Schrift war wenigstens bei den Priestern allgemein. Meistentheils bediente man sich der griechischen, wie unter Andern zu Caesars Zeit die Helvetier tha- ten; nur in den südlichsten Districten auch des freien Galliens war schon damals in Folge des Verkehrs mit den romanisirten Kelten die lateinische überwiegend, der wir zum Beispiel auf den arvernischen Münzen dieser Zeit begegnen. Auch die politische Entwickelung der keltischen Nation bietet sehr bemerkenswerthe Erscheinungen. Die staatliche Verfassung ruht bei ihr wie überall auf dem Geschlechtsgau, mit dem Für- sten, dem Rath der Aeltesten und der Gemeinde der freien waf- fenfähigen Männer; das aber ist ihr eigenthümlich, daſs sie über diese Gauverfassung niemals hinausgelangt ist. Bei den Griechen

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/222>, abgerufen am 30.04.2024.