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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
Hütten nicht den Germanen zu gönnen als auch sich selber die
Rückkehr unmöglich zu machen, hatten sie ihre Städte und Wei-
ler niedergebrannt und lange Wagenzüge mit Weibern, Kindern
und dem besten Theil der Fahrniss beladen, trafen von allen Sei-
ten her am Leman ein, wo die Helvetier und ihre Genossen sich
zum 28. März * dieses Jahres Rendezvous gegeben hatten. Nach
ihrer eigenen Zählung bestand die gesammte Masse aus 368000
Köpfen, wovon etwa der vierte Theil im Stande war die Waffen
zu tragen. Das Juragebirge, das vom Rhein bis zur Rhone sich
erstreckend die helvetische Landschaft gegen Westen fast voll-
ständig abschloss und dessen schmale Defileen für den Durchzug
einer solchen Karawane ebenso schlecht geeignet waren wie gut
für die Vertheidigung, hatten die Führer darum beschlossen in
südlicher Richtung zu umgehen und den Weg nach Westen sich
da zu eröffnen, wo zwischen dem südwestlichen und höchsten
Theil des Jura und den savoyischen Bergen die Rhone bei dem
heutigen Fort de l'Ecluse die Gebirgsketten durchbrochen hat.
Allein an der Nordseite treten die Felsen und Abgründe so hart
an den Fluss, dass hier in der Gegend des Fort de l'Ecluse jedes
Heer sich völlig gehemmt findet; es blieb nichts übrig als ober-
halb dieses Punktes auf das südliche Ufer überzugehen, um spä-
ter, wo die Rhone in die Ebene eintritt, wieder das nördliche zu
gewinnen und dann weiter nach dem ebenen Westen Galliens zu
ziehen, wo der fruchtbare Canton der Santonen (Saintonge, das
Thal der Charente) am atlantischen Meer von den Wanderern zu
ihrem neuen Wohnsitz ausersehen war. Caesar, ohnehin nicht
gemeint den Helvetiern die Festsetzung im westlichen Gallien zu
gestatten, konnte es um so weniger sich gefallen lassen, dass sie
das römische Gebiet auf ihrem Marsche betraten. Allein von sei-
nen vier Legionen standen drei weit entfernt bei Aquileia; ob-
wohl er die Milizen der jenseitigen Provinz schleunigst aufbot,
war die Aufgabe dennoch nicht leicht mit einer so geringen Mann-
schaft dem zahllosen Keltenschwarm den Uebergang über die
Rhone, von ihrem Austritt aus dem Leman bei Genf bis zu ihrem
Durchbruch, auf einer Strecke von mehr als drei deutschen Mei-
len, zu verwehren. Caesar gewann indess durch Unterhandlun-
gen mit den Helvetiern, die den Uebergang über den Fluss und
den Marsch durch das allobrogische Gebiet gern in friedlicher

* Nach dem unberichtigten Kalender. Nach der gangbaren
Rectifica-
tion, die indess hier keineswegs auf hinreichend zuverlässigen Daten be-
ruht, entspricht dieser Tag dem 16. April des julianischen Kalenders.

FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
Hütten nicht den Germanen zu gönnen als auch sich selber die
Rückkehr unmöglich zu machen, hatten sie ihre Städte und Wei-
ler niedergebrannt und lange Wagenzüge mit Weibern, Kindern
und dem besten Theil der Fahrniſs beladen, trafen von allen Sei-
ten her am Leman ein, wo die Helvetier und ihre Genossen sich
zum 28. März * dieses Jahres Rendezvous gegeben hatten. Nach
ihrer eigenen Zählung bestand die gesammte Masse aus 368000
Köpfen, wovon etwa der vierte Theil im Stande war die Waffen
zu tragen. Das Juragebirge, das vom Rhein bis zur Rhone sich
erstreckend die helvetische Landschaft gegen Westen fast voll-
ständig abschloſs und dessen schmale Defileen für den Durchzug
einer solchen Karawane ebenso schlecht geeignet waren wie gut
für die Vertheidigung, hatten die Führer darum beschlossen in
südlicher Richtung zu umgehen und den Weg nach Westen sich
da zu eröffnen, wo zwischen dem südwestlichen und höchsten
Theil des Jura und den savoyischen Bergen die Rhone bei dem
heutigen Fort de l'Ecluse die Gebirgsketten durchbrochen hat.
Allein an der Nordseite treten die Felsen und Abgründe so hart
an den Fluſs, daſs hier in der Gegend des Fort de l'Ecluse jedes
Heer sich völlig gehemmt findet; es blieb nichts übrig als ober-
halb dieses Punktes auf das südliche Ufer überzugehen, um spä-
ter, wo die Rhone in die Ebene eintritt, wieder das nördliche zu
gewinnen und dann weiter nach dem ebenen Westen Galliens zu
ziehen, wo der fruchtbare Canton der Santonen (Saintonge, das
Thal der Charente) am atlantischen Meer von den Wanderern zu
ihrem neuen Wohnsitz ausersehen war. Caesar, ohnehin nicht
gemeint den Helvetiern die Festsetzung im westlichen Gallien zu
gestatten, konnte es um so weniger sich gefallen lassen, daſs sie
das römische Gebiet auf ihrem Marsche betraten. Allein von sei-
nen vier Legionen standen drei weit entfernt bei Aquileia; ob-
wohl er die Milizen der jenseitigen Provinz schleunigst aufbot,
war die Aufgabe dennoch nicht leicht mit einer so geringen Mann-
schaft dem zahllosen Keltenschwarm den Uebergang über die
Rhone, von ihrem Austritt aus dem Leman bei Genf bis zu ihrem
Durchbruch, auf einer Strecke von mehr als drei deutschen Mei-
len, zu verwehren. Caesar gewann indeſs durch Unterhandlun-
gen mit den Helvetiern, die den Uebergang über den Fluſs und
den Marsch durch das allobrogische Gebiet gern in friedlicher

* Nach dem unberichtigten Kalender. Nach der gangbaren
Rectifica-
tion, die indeſs hier keineswegs auf hinreichend zuverlässigen Daten be-
ruht, entspricht dieser Tag dem 16. April des julianischen Kalenders.
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[228/0238] FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII. Hütten nicht den Germanen zu gönnen als auch sich selber die Rückkehr unmöglich zu machen, hatten sie ihre Städte und Wei- ler niedergebrannt und lange Wagenzüge mit Weibern, Kindern und dem besten Theil der Fahrniſs beladen, trafen von allen Sei- ten her am Leman ein, wo die Helvetier und ihre Genossen sich zum 28. März * dieses Jahres Rendezvous gegeben hatten. Nach ihrer eigenen Zählung bestand die gesammte Masse aus 368000 Köpfen, wovon etwa der vierte Theil im Stande war die Waffen zu tragen. Das Juragebirge, das vom Rhein bis zur Rhone sich erstreckend die helvetische Landschaft gegen Westen fast voll- ständig abschloſs und dessen schmale Defileen für den Durchzug einer solchen Karawane ebenso schlecht geeignet waren wie gut für die Vertheidigung, hatten die Führer darum beschlossen in südlicher Richtung zu umgehen und den Weg nach Westen sich da zu eröffnen, wo zwischen dem südwestlichen und höchsten Theil des Jura und den savoyischen Bergen die Rhone bei dem heutigen Fort de l'Ecluse die Gebirgsketten durchbrochen hat. Allein an der Nordseite treten die Felsen und Abgründe so hart an den Fluſs, daſs hier in der Gegend des Fort de l'Ecluse jedes Heer sich völlig gehemmt findet; es blieb nichts übrig als ober- halb dieses Punktes auf das südliche Ufer überzugehen, um spä- ter, wo die Rhone in die Ebene eintritt, wieder das nördliche zu gewinnen und dann weiter nach dem ebenen Westen Galliens zu ziehen, wo der fruchtbare Canton der Santonen (Saintonge, das Thal der Charente) am atlantischen Meer von den Wanderern zu ihrem neuen Wohnsitz ausersehen war. Caesar, ohnehin nicht gemeint den Helvetiern die Festsetzung im westlichen Gallien zu gestatten, konnte es um so weniger sich gefallen lassen, daſs sie das römische Gebiet auf ihrem Marsche betraten. Allein von sei- nen vier Legionen standen drei weit entfernt bei Aquileia; ob- wohl er die Milizen der jenseitigen Provinz schleunigst aufbot, war die Aufgabe dennoch nicht leicht mit einer so geringen Mann- schaft dem zahllosen Keltenschwarm den Uebergang über die Rhone, von ihrem Austritt aus dem Leman bei Genf bis zu ihrem Durchbruch, auf einer Strecke von mehr als drei deutschen Mei- len, zu verwehren. Caesar gewann indeſs durch Unterhandlun- gen mit den Helvetiern, die den Uebergang über den Fluſs und den Marsch durch das allobrogische Gebiet gern in friedlicher * Nach dem unberichtigten Kalender. Nach der gangbaren Rectifica- tion, die indeſs hier keineswegs auf hinreichend zuverlässigen Daten be- ruht, entspricht dieser Tag dem 16. April des julianischen Kalenders.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/238>, abgerufen am 30.04.2024.